Kiew. Kiew braucht dringend Soldaten. Nun hat der Verteidigungsminister mit einem Vorschlag für Aufregung gesorgt. Nicht nur in der Ukraine.
Der ukrainische Verteidigungsminister hat zu Hause für viel Wirbel gesorgt, mit einem Interview, das er Medien des Axel-Springer-Verlags gegeben hat. Rustem Umerow, der seit September im Amt ist und zu den mächtigsten Funktionären der gehört, äußerte den Wunsch, eine Einladung für eine Rückkehr sowie den Wehrdienst an die wehrpflichtigen Männer im Ausland zu verschicken. Sollten sich diese weigern, könnte es laut Umerow nicht näher definierte „Sanktionen“ geben, über die gerade diskutiert werde. Den Vorstoß begründete der Minister mit „Gerechtigkeit“.
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Die ukrainische Regierung ruderte am Donnerstag schon wieder zurück. Ein Sprecher des Verteidigungsministeriums sagte, die ausländischen Medien hätten den Fokus verlagert. Umerow habe lediglich betonen wollen, dass man den Ukrainern im Ausland die Bedeutung des Armeedienstes verdeutlichen wolle. Aktuell gebe es keine Diskussionen über die Mechanismen einer solchen Auslandseinberufung.
Rückholung der Ukrainer aus dem Ausland gehört nicht zu den akutesten Problemen
Doch tatsächlich sorgen ukrainische Männer, die ins Ausland gegangen sind, für Spannungen in der Gesellschaft. Dabei geht es weniger um jene, die die Ukraine schon vor Langem verlassen haben – sondern vor allem um die Männer, die trotz der Ausreisesperre für männliche Staatsbürger zwischen 18 und 60 Jahren die Grenze seit Beginn des Krieges illegal überquert haben. Dies sorgt für massive Empörung. Daher gab es im ukrainischen Parlament stets populistische Vorschläge dazu, dass man diese Männer ausbürgern oder mit EU-Ländern an ihrer Auslieferung zusammenarbeiten könnte. Zu einer ernsthaften Diskussion dazu kam es nie, zumal mehrere EU-Staaten die Unmöglichkeit solcher Auslieferungen betonten.
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Der ukrainische Staat könnte sowieso technisch nur Menschen einladen, die konsularisch registriert sind, was schon ein Problem darstellt. Die Männer dazu zwingen, in ihr Land zurückzukehren, kann er auch kaum – und die „Sanktionen“ würden lediglich innerukrainisch ziehen. Dass die EU-Länder dabei mitspielen, ist nahezu ausgeschlossen. Außerdem gehört die Rückholung der Männer aus dem Ausland ohnehin nicht zu den akutesten Problemen der . Deren Mobilisierungspotenzial liegt immerhin zwischen sieben und acht Millionen und sie zieht lediglich Männer ein, die älter sind als 27.
Umerows Aussagen sind in der aktuellen Mobilisierungsdebatte zudem etwas unglücklich. Während seiner Jahrespressekonferenz am Dienstag sprach der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj von dem Vorschlag des Generalstabs, 450.000 bis 500.000 weitere Soldaten mobilmachen zu müssen. Dem wolle Selenskyj lediglich dann zustimmen, wenn ihm ein angemessener Anwendungsplan für diese Menschen vorliege. Zudem müsste er dafür quasi aus dem Nichts umgerechnet 12,2 Milliarden Euro finden, und das in einer Zeit, in der eh alle Steuereinnahmen ins Militär fließen und der Rest des Haushalts aus dem Ausland stammt.
Es ist daher zu erwarten, dass das faktische Ausmaß der weiteren Mobilmachung zunächst kleiner als die angeblichen Vorschläge des Generalstabs ausfallen wird – da muss vor allem eine Balance zwischen wirtschaftlichen und militärischen Aspekten gefunden werden. Neben dem Geld existiert eine weitere Schwierigkeit: Die Entlassung von allen Chefs der regionalen Einberufungsämter nach einer Reihe von Korruptionsskandalen hat sich im Nachhinein in der Praxis als nicht besonders effektiv erwiesen – die Mobilmachung verläuft seitdem schleppender. Ukrainische Männer etwa aus anderen Ländern zurückzuholen, wird diese Probleme nicht lösen.