Tel Aviv. Seit dem Angriff der Hamas steigt jeden Tag die Zahl der Toten und Verletzten. Jetzt starben 24 israelische Soldaten an einem Tag.
Mehr als drei Monate sind vergangen seit dem Angriff der Hamas auf Israel. Die Zahl der Toten auf beiden Seiten steigt nahezu jeden Tag. Das palästinensische Gesundheitsministerium, das sich auf Todesmeldungen aus Krankenhäusern im Gazastreifen stützt und der Hamas unterstellt ist, spricht von mehr als 25.000 Toten seit Kriegsbeginn. Israels Armee gibt an, dass jeder dritte Getötete in Gaza ein Hamas-Kämpfer sei. Bei den Massakern am 7. Oktober, als mehr als 3000 Terroristen aus dem Gazastreifen nach Israel eindrangen, wurden fast 1200 Menschen ermordet, die meisten von ihnen Zivilisten. Seit Kriegsbeginn wurden 552 israelische Soldaten getötet, 542 im Gazastreifen, acht durch Angriffe aus dem Libanon, zwei Soldaten kamen im Westjordanland zu Tode.
Der vergangene Montag war der blutigste Tag für Israels Armee seit Beginn der Bodenoffensive. Allein 21 Reservisten waren im Gazastreifen bei einem einzigen Vorfall getötet worden, als am Nachmittag zwei Gebäude explodierten und einstürzten, wie der israelische Militärsprecher Daniel Hagari nach Aufhebung einer Nachrichtensperre mitteilte. Die Armee war in den Stunden danach damit beschäftigt, die Familien der Gefallenen zu verständigen. Es sei einer „der schwierigsten Tage seit Kriegsausbruch“ gewesen, sagte Ministerpräsident Benjamin Netanjahu. „Ich trauere um unsere heldenhaften, gefallenen Soldaten.“
Was ist passiert?
Die Namen der Gefallenen bilden einen Querschnitt der israelischen Gesellschaft ab: Ein Beduine aus der Wüstenstadt Rahat, ein Siedler aus dem Westjordanland, ein auf den Philippinen geborener Immigrant und 18 weitere Namen wurden am Dienstag nach und nach „zur Veröffentlichung freigegeben“, wie es im trockenen Armeejargon heißt. Die 21 getöteten Reservisten kamen ersten Berichten zufolge nur einen halben Kilometer entfernt von der Grenze zu Israel zu Tode. Bei der Vorbereitung einer gezielten Sprengung eines Gebäudes habe eine von Terroristen gezündete Panzerabwehrgranate den Sprengstoff vorzeitig gezündet.
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Schon zuvor hatte die Armee den Tod dreier Soldaten der Fallschirmjägerbrigade bekannt gegeben, die am Montag bei Kämpfen in der Stadt Khan Junis durch eine Panzerabwehrrakete getötet worden waren, einer wurde schwer verwundet. Damit liegt die Anzahl der Gefallenen allein am Montag bei 24 Soldaten. Es ist die größte Zahl getöteter Soldaten binnen eines Tages seit Beginn der Kämpfe im Gazastreifen. Auch am Dienstag gab es an der Grenze zwischen Israel und dem Libanon gegenseitigen Beschuss zwischen Israels Armee und der libanesischen Hisbollah. Israels Militär hat eigenen Angaben zufolge mehrere Raketenstarts aus dem Nachbarland registriert. Einige Raketen seien abgefangen worden.
Wie geht es jetzt weiter?
Israel ist in Staatstrauer. Bevor alle Namen der Gefallenen veröffentlicht wurden und alle Nachrichten die Fotos der Gefallenen zeigten, begann traurige Kriegsroutine: Anrufe bei Freunden und Verwandten, deren Söhne im Krieg sind. Ob alles in Ordnung ist? Das ganze Land trauert mit. Und Teile der Regierung nutzen die Trauer für eigene Zwecke.
Man müsse aus dem Vorfall „die nötigen Lehren ziehen“, forderte Netanjahu die Armee auf. Es ist einer von vielen Versuchen des angeschlagenen Regierungschefs, die Kritik, die ihn spätestens seit dem 7. Oktober trifft, an die Militärführung umzuleiten. „Im Namen unserer Helden und zum Schutz von uns selbst, werden wir den Kampf nicht einstellen, bis wir vollständig gesiegt haben“, kündigte Netanjahu an.
Was passiert mit den Geiseln?
Der Vorfall könnte einen bevorstehenden Geisel-Deal in Gefahr bringen. Wie der Journalist Barak Ravid unter Berufung auf hochrangige israelische Quellen berichtet, gab es zuletzt Fortschritte in den Verhandlungen mit der Hamas. Israel soll sich bereit erklärt haben, eine zweimonatige Waffenruhe unter teilweisem Rückzug der Truppen einzugehen, wenn dafür sämtliche zivile Geiseln an Israel übergeben werden. Es soll sich um 136 Menschen handeln, wobei man zuerst die verbleibenden Minderjährigen, Kinder, Ältere und Schwerkranke befreien will. Erst in einem späteren Schritt könnten auch Männer unter 60 Jahren freikommen.
Wie viele palästinensische Gefangene im Gegenzug aus israelischen Gefängnissen entlassen werden könnten, ist unklar. An dieser Frage könnte der Deal letztlich noch scheitern. In Israel haben die Angehörigen der Geiseln in den vergangenen Tagen ihren Druck auf die Regierung erhöht und ein Protestcamp vor der Residenz Netanjahus in Jerusalem aufgeschlagen.
Durch die hohen Verluste unter den israelischen Soldaten sehen sich nun jene bestätigt, die vor einer Waffenruhe warnen: Sie könnte den Terrorgruppen in Gaza dazu dienen, sich neu zu sortieren, warnen sie. Man befürchtet, dass eine solche Aufholphase die Hamas befähigen könnte, nach dem Ende der Waffenruhe weitere tödliche Attacken auf israelische Truppen zu verüben. Erwartungsgemäß trommelte der rechtsextreme Sicherheitsminister Itamar Ben Gvir für eine bedingungslose Fortsetzung der Kämpfe.
Wie ist die Lage im Gazastreifen?
Berichte aus Khan Junis zeigen, dass von einem Nachlassen der Intensität ohnedies keine Rede sein kann. Allein am Montag habe man „500 Terroristen getötet“, berichtet die israelische Armee. Humanitäre Helfer in Gaza wiederum berichten von schweren Kämpfen nahe zweier Krankenhäuser im Süden des Gazastreifens. Laut UN-Angaben wurden bei Einschlägen nahe dem Al-Amal-Krankenhaus in Khan Junis, das mehreren Tausend Menschen als Zufluchtsort vor Luftangriffen dient, Dutzende Menschen getötet und viele weitere verletzt. Die Rettungsorganisation Roter Halbmond berichtete, dass israelische Truppen ihre Zentrale in Khan Junis umstellt hätten, wodurch Rettungswagen nicht ausfahren konnten, um die vielen Verwundeten zu versorgen.
Seit Wochen verschlechtert sich die Lage in Gaza massiv. Die vielen Verwundeten infolge der anhaltenden Luftschläge und Artilleriekämpfe können oft nicht versorgt werden, weil es in den Krankenhäusern an Ärzten und Pflegern fehlt – viele von ihnen mussten flüchten, weil ihre Häuser zerstört sind. Auch dort, wo nicht geschossen wird, befürchten Hilfsorganisationen, dass Seuchen, Hunger und Wassermangel immer mehr Tote fordern werden. Praktisch die gesamte noch lebende zivile Bevölkerung im Gazastreifen ist laut UN-Angaben von Hunger bedroht, rund 380.000 leiden unter extremem Hunger.
Besonders große Sorge bereitet den Helfern die Unterernährung unter Kindern und schwangeren und stillenden Müttern: Laut UN-Angaben reichen die Hilfslieferungen gerade einmal aus, um ein Viertel der Kinder, Schwangeren und Mütter von Säuglingen in den kommenden zwei Monaten zu decken. Sollte nicht mehr Hilfe kommen, drohen viele von ihnen zu sterben.
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Akuter Hunger und die teils seit Monaten anhaltende Mangelernährung macht die Menschen anfällig für Infektionskrankheiten, die sich rasant ausbreiten. Im Gebiet Rafah nahe der Grenze zu Ägypten leben die Menschen eng gedrängt in selbst gebastelten Behausungen, vielfach ohne Zugang zu Hygiene und zu sauberem Wasser. Seuchen breiten sich aus, mehr als die Hälfte der Kinder unter fünf Jahren leiden laut WHO unter Durchfall. Seit Wochen weisen Hilfsorganisationen darauf hin, dass sich ohne eine mehrwöchige Waffenruhe der Zustand der Zivilbevölkerung massiv verschlechtern wird.