Tel Aviv. Ayre Shalicar erklärt den Nahost-Krieg aus israelischer Sicht. Der Armeesprecher zieht damit in Deutschland Hass auf sich.
Der Krieg zwischen der israelischen Armee und der Terrororganisation Hamas hat längst die gesamte Region erfasst. Libanon, Jemen, Irak, Syrien. Überall glimmen Glutnester, die das Zeug haben, zu einem Großbrand zu eskalieren. Ein Krieg mit der libanesischen Hisbollah ist nicht ausgeschlossen. Ayre Sharuz Shalicar weiß: Ein solcher Krieg würde „verheerende Folgen“ auch für Israel haben. Trotzdem sagt der Sprecher der israelischen Streitkräfte leidenschaftslos: „Wenn die Regierung entscheidet, dass wir in den Libanon hineingehen sollen, um die Hisbollah hinter den Litani-Fluss zurückzudrängen, dann machen wir das.“
Die libanesische Hisbollah hat den Beschuss des israelischen Nordens in den vergangenen Tagen intensiviert. Die israelischen Streitkräfte feuern zurück. Es schaukelt sich etwas hoch im Norden Israels. Die Hisbollah ist ein deutlich schlagkräftigerer Gegner als die Hamas. Sie verfügt über besser ausgebildete Kämpfer und ein gewaltiges Raketenarsenal mit Geschossen, die jeden Punkt in Israel treffen können. Die Armee werde einer solchen Auseinandersetzung aber nicht aus dem Weg gehen, sagt Shalicar.
Israel vs. Libanon: 100.000 israelische Bürger mussten in Sicherheit gebracht werden
„Wir können nicht mit der Situation leben, dass Terroristen sich direkt an der israelischen Grenze aufhalten und die Sicherheit israelischer Bürger bedrohen“, betont er. Seit dem Beginn des ständigen Beschusses sind bereits rund 100.000 Israelis aus den grenznahen Gemeinden evakuiert worden. Der Litani-Fluss verläuft im Libanon parallel zur Grenze zu Israel und ist etwa 30 Kilometer entfernt von ihr. Hinter den Fluss sollen sich die Kämpfer der Hisbollah zurückziehen, so will es Israel.
„Wenn die Hisbollah sich nicht freiwillig Richtung Norden zurückzieht, wird uns nichts anderes übrigbleiben, als in den Süden Libanons einzudringen“, warnt Shalicar. Dann werde Israel aber nicht „so pinzettenartig“ vorgehen wie im Gazastreifen. Es ist eine dieser provokanten Aussagen, mit denen sich der 46-Jährige viele Feinde gemacht hat.
Shalicar ist der Sohn iranischer Juden, die in den siebziger Jahren nach Deutschland kamen. Aktuell ist er in Deutschland das Gesicht der israelischen Streitkräfte. Der Mann mit der Glatze und der Brille erklärt der deutschen Öffentlichkeit seit dem 7. Oktober das Vorgehen der Armee und warum beispielsweise das gewaltige Ausmaß der Zerstörung im Gaza-Streifen aus militärischer Sicht nicht zu vermeiden ist.
Gegner Israels sagen: Er ist ein Propagandist. Für Shalicar hingegen ist seine Arbeit auch der Versuch, der wachsenden Kritik am Krieg etwas entgegenzusetzen und die Informationsbalance zu gewährleisten.
Israels Armee-Sprecher: Vom pöbelnden Gangsta-Rapper zum Sprecher der Streitkräfte
Mitte Dezember ist Ayre Sharuz Shalicar zu Gast beim Zentralrat der Juden in Berlin und hält eine Rede, 27 Minuten ist sie lang. Er trägt dabei eine olivgrüne Uniform, und er wirbt eindringlich für die deutsche Unterstützung Israels, im Publikum sitzt unter anderem Außenministerin Annalena Baerbock. In seinem Deutsch schwingt der Klang der Straße mit. Shalicar hat ein Heimspiel, er ist in Berlin großgeworden und ist einen weiten Weg gegangen. Vom kriminellen Graffiti-Sprüher und pöbelnden Gangsta-Rapper im Wedding zum Sprecher der israelischen Streitkräfte.
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Shalicar ist 2001 nach Israel gekommen. In ein Land, dessen Sprache er erst lernen musste, in dem sein Jüdischsein ihn aber nicht an jeder Straßenecke zum Hasssubjekt macht, so wie er es früher in Berlin erlebt hatte. In Berlin wächst Shalicar in einem säkularen Elternhaus auf. „Meine jüdische Identität hat mein Umfeld für mich entdeckt“, erzählt er.
Der Wedding ist schon zu seiner Jugendzeit ein schwieriges Pflaster für Juden. Auf den Straßen ist rüder Antisemitismus selbstverständlich. Shalicar setzt sich mit wüstem Mackertum und Gangster-Attitüde durch, so berichtet er es in seiner Autobiografie. Bereits zwischen 2009 und 2017 arbeitete er als Sprecher der israelischen Streitkräfte.
Shalicar hat sich viele Feinde unter Muslimen in Deutschland gemacht
An dem Tag, als die Hamas die Gemeinden nahe dem Gazastreifen überfällt und 1200 Menschen massakriert, streift Shalicar sich wieder die Uniform über, die er vor sechs Jahren abgelegt hatte, um im Büro des Ministerpräsidenten als Abteilungsleiter für internationale Beziehungen zu arbeiten. Seit er die Uniform wieder trägt, kämpft er an der Informationsfront – und ist erneut zum Feindbild geworden. Er hat sich in den vergangenen Wochen viele Gegner gemacht.
Pro Tag, erzählt Shalicar, erhalte er etwa tausend Nachrichten auf verschiedensten Kanälen. Zu Beginn des Krieges seien neunzig Prozent dieser Nachrichten positiv gefärbt gewesen. Jetzt sei mindestens die Hälfte voller Kritik, Wut und Hass. „Einige muslimische Influencer in Deutschland haben es offenbar als Geschäftsmodell entdeckt, den Sprecher der israelischen Streitkräfte anzupöbeln, und sie stacheln ihre Follower auf.“ Unter den Wutnachrichten seien regelmäßig Morddrohungen.
Angesichts der Bilder von den Verwüstungen im Gazastreifen, der Videos von verzweifelt auf der Suche nach Schutz umherirrender Menschen, den Berichten über Nahrungsengpässe und über das Leid und den Tod so vieler Menschen, drängt sich die Frage auf, ob das israelische Vorgehen noch angemessen oder ein Kriegsverbrechen ist.
Shalicar sagt: Die Bereiche im Gazastreifen, die am meisten zerstört sind, sähen nicht deswegen so aus, weil die israelischen Streitkräfte es so wollten, sondern weil sie Hochburgen der Hamas seien. „Der Grad der Verwüstung zeigt, welche Orte die Hamas besonders intensiv für Terroraktivitäten missbraucht hat.“
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Israels Armee-Sprecher: Keine Hoffnung auf ein schnelles Ende des Krieges
Hoffnung auf ein schnelles Ende der Militäroperation hat er nicht. Es gebe im Gazastreifen noch große Bereiche, in denen die israelischen Streitkräfte noch nicht aktiv seien. Zwei komplette Hamas-Brigaden seien noch nicht attackiert worden und entsprechend kampffähig, noch immer seien 130 Geiseln in den Händen der Terroristen, noch immer feuere die Hamas Raketen auf Israel ab.
Ihm ist klar: „Wir werden nicht alle Terroristen ausschalten, nicht alle Tunnel und Raketenabschussbasen zerstören können. Aber wir müssen die Geiseln herausholen und die Terrorinfrastruktur weitgehend vernichten.“
Kein Verständnis hat der Armeesprecher für die Überlegungen rechtsextremer israelischer Politiker, die palästinensische Bevölkerung aus dem Gazastreifen zu deportieren und den Landstrich durch jüdische Siedler bevölkern zu lassen. „Das kann man nicht ernst nehmen. Niemand hat Lust, den Gazastreifen zu besetzen. Wir sind als Militär nicht dazu da, zu besetzen und zu bestrafen. Unsere Aufgabe ist es, die Hamas in die Knie zu zwingen.“
Am Ende, sagt Shalicar, gehe es darum, dass Israelis und Palästinenser in Zukunft friedlich Seite an Seite leben können.
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