Berlin. Die Hisbollah schwört Rache. Israel droht ein weiterer Krieg und militärisch ein Déjà-vu-Erlebnis: Wieder geht es um ein Tunnelsystem.
Israel droht, was seine Armee (IDF) eigentlich vermeiden wollte: ein Zwei-Fronten-Krieg. Nach dem Attentat auf einen Hamas-Anführer im Libanon schwört die dortige Hisbollah Rache. Die schiitische Organisation (arabisch: „Partei Gottes“) dürfte ihre Angriffe auf Israel verstärken. Damit stehen die Soldaten vor einer Bedrohung, die ihnen aus dem Krieg gegen die Hamas im Gazastreifen bekannt ist: ein Tunnelsystem. Davor hat der Geheimdienstexperte Tal Beeri, Direktor der Forschungsabteilung des israelischen Alma-Instituts, am Mittwoch in der Zeitung „Times of Israel“ gewarnt.
Nichts davon ist für die Militärs überraschend, weder die Tunnel noch die Ausgangslage. Ein Feldzug an mehreren Fronten ist ein Szenario, worauf sich die IDF seit langem einstellen. Seit über zehn Jahren versuchen die Israelis, die unterirdischen Gänge der Hisbollah zu finden und zu zerstören. Die letzte große Operation – „Nördlicher Schutzschild“ – verlief von Dezember 2018 bis Januar 2019.
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Das Tunnelsystem der Hamas im Gazastreifen ist eine Parallelwelt mit Büros und Wohnungen; sogar mit Aufzügen in eine unterirdische Stadt. Die Hisbollah hingegen muss sich im Libanon nicht verstecken. Sie agiert in einem souveränen Staat. Ihre Tunnel erfüllen für ihre Miliz vor allem einen Zweck: als Angriffsbasis. Die israelische Armee hat die Schlagkraft der Hisbollah stets höher eingeschätzt als die der Hamas. So vermutet sie, dass die Hisbollah aktuell über rund 120.000 Raketen verfügt.
Angriffstunnel bedrohen Israel
Ende 2018 befasste sich sogar der UN-Sicherheitsrat mit den Tunneln. Der Untergeneralsekretär der Vereinten Nationen für Friedensmissionen, Jean-Pierre Lacroix, bezeichnete die Enthüllungen zu den Tunneln als „Angelegenheit für ernsthafte Besorgnis“. Die UN-Truppe im Libanon (UNIFIL) war im Bilde, wurde aber von der Regierung in Beirut daran gehindert, sie aufzuspüren.
Viele der Angriffstunnel reichen in israelisches Gebiet hinein. Die Israelis haben regelmäßig solche unterirdischen Gänge gefunden. Sie sind etwa 55 Meter tief, belüftet und elektrifiziert, entlang der Wände führt ein Transportband, um Güter zu bewegen. Schon einmal pumpten die Israelis von ihrer Seite Beton aus hinein und schauten zu, wie er im Nachbarland wieder herausquoll.
Nordkorea half beim Bau der Tunnel
Eine Kennerin der Tunnel ist Daphne Richemond-Barak. Sie leitet in der Nähe von Tel Aviv ein Institut für Terrorismusbekämpfung und schrieb ein Buch mit dem Titel Untergrund-Kriegsführung. Sie warnt seit Jahren vor dem Szenario, das erst im Gaza real geworden ist und jetzt an der Grenze zum Libanon droht. Sie vermutet auch in den Golanhöhen bedrohliche Tunnelanlagen.
Israel hat entlang seiner Nordgrenze eine neun Meter hohe Sperranlage aufgestellt, regelmäßig Tunnel zubetoniert und Stellungen bombardiert. Die Israelis bauten auch ein Warnsystem auf, das auf akustische oder seismische Signale reagiert. Bereits 2014 stellten die Streitkräfte eine Taskforce auf, die sich mit dem „Angriffstunnel“ befasst. In einem Video der Armee sieht man, wie zwei Männer – offensichtlich von der Hisbollah – einen steilen, holprigen Weg in einem schlecht beleuchteten Tunnel hinaufgehen, sich über die Kamera eines Militärroboters beugen und wenig später davonrennen, als ein Sprengsatz explodiert.
Drei verschiedene Tunnel der Hisbollah
Tal Beeri behautet, das Tunnelsystem sei älter, größer und anspruchsvoller als das von der Hamas. Er schätzt seine Gesamtlänge im Südlibanon auf Hunderte Kilometer und unterscheidet zwischen drei Arten:
- Angriffstunnel sind besonders groß, lang und so breit, dass man sie mit einem Truck mit Raketenwerfern befahren kann.
- Taktische Tunnel sind Waffenlager und Verstecke, aus denen heraus Kämpfer schießen und wieder abtauchen können.
- Sprengtunnel sind Fallen. Sie sind mit Sprengstoff präpariert und werden gezündet, wenn Israelis ihnen nahekommen.
Nach seiner Darstellung wurden die Tunnel ab den 1980er Jahren mit Unterstützung Nordkoreas gebaut, spätestens ab 2006 habe der Iran geholfen. Die Nordkoreaner sind im Tunnelbau erfahren. Südkorea hat mehrere aufwendige Tunnelsysteme aufgespürt, die für eine Invasion angelegt worden waren.
Israelis haben Videos, Fotos, sogar Karten
Laut Beeri sind die Hisbollah-Tunnel an mindestens 36 Einstiegsstellen mit Ortschaften verbunden. Im Laufe der Jahre hat er alle möglichen Informationen dazu gesammelt, Bilder und Videos – selbst eine Karte, die das Land der Tunnel darstellen soll und 36 geografische Regionen, Städte und Dörfer markiert, einschließlich eine etwa 45 Kilometer lange Route eines „Angriffstunnels“.
Das Alma-Forschungszentrum glaubt, dass die libanesischen Tunnel unterirdische Kommando- und Kontrollräume, Waffen- und Nachschubdepots, Feldlazarette und Schächte zum Abfeuern von Raketen und Flugkörpern enthalten. Das Tunnelnetz könnte Beirut und den Raum Beqaa mit dem Südlibanon verbinden. Die Israelis können sogar die Baufirmen benennen, die am Projekt beteiligt waren. Vor allem machen sie sich militärisch keine Illusionen. „Was wir bei der Hamas im Gazastreifen gesehen haben“, versichert Beeri, „ist ein kleinere Ausgabe dessen, was die Hisbollah im Libanon hat.“
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