Berlin. Die Union fordert Neuwahlen. Aber wer wird dann Kanzlerkandidat? Die Antwort des CSU-Vorsitzenden Markus Söder lässt Deutungen zu.
Was ist, wenn plötzlich die Union regiert? Der CSU-Vorsitzende und bayerische Ministerpräsident Markus Söder sagt im Interview, was sich für die Menschen in Deutschland ändern würde. Ein Blick in die Zukunft, der Kontroversen auslösen wird.
Sie fordern Neuwahlen. Ist die Union denn darauf vorbereitet, die Regierung zu übernehmen?
Markus Söder: Ja, eindeutig. Die Union hat die richtigen Konzepte, um Deutschland gut durch die Krise zu führen: Es braucht eine Wende in der Migrationspolitik, um die Zuwanderung zu begrenzen. Eine andere Wirtschaftspolitik mit niedrigeren Steuern und einer Einschränkung des Bürgergeldes, um den Sozialstaat vernünftig aufzustellen. Und eine bessere Energiepolitik, zu der neben dem massiven Ausbau der Erneuerbaren Energien auch die Kernenergie gehört, um die Energiepreise zu stabilisieren. Der Ausstieg aus der Kernkraft war ein schwerer Fehler der Ampel.
Wollen Sie tatsächlich neue Atomkraftwerke bauen?
Bei der Weltklimakonferenz in Dubai zeigt sich, dass viele Staaten die Klimaziele mit Kernkraft erreichen wollen. Deutschland wirkt dagegen wie ein Geisterfahrer in der internationalen Energiepolitik. Deswegen sollten die bestehenden Kernkraftwerke reaktiviert und der Bau neuer kleiner Reaktoren geprüft werden, die auch Atommüll verarbeiten können. Dann stellt sich die Frage der Lagerung nicht mehr.
Klingt nach Science Fiction.
In den USA gibt es dazu gerade spannende Ansätze.
Für einen Wiedereinstieg in die Atomkraft – den auch die CDU in ihrem neuen Grundsatzprogramm fordert – bekommen Sie in Deutschland keine Mehrheit.
Im Gegenteil: Die Mehrheit in Deutschland hält den Atomausstieg für falsch. Wir betreiben gerade grünen Selbstbetrug. Statt eigene Kernkraftwerke zu betreiben, kaufen wir Atomstrom aus Nachbarländern und teures Fracking-Gas aus den USA und werfen umweltfeindliche Kohlekraftwerke wieder an. Damit versündigt sich die Ampel am Klima und hält die Energiepreise unnötig hoch.
Würden Sie die Atomkraft auch militärisch nutzen? Der renommierte Politologe Herfried Münkler hat jetzt für gemeinsame europäische Nuklearwaffen plädiert – aus Sorge um die Verlässlichkeit der USA.
Die Bedrohungslage würde in Europa eine noch viel größere Dimension bekommen, sollte Russland den Krieg in der Ukraine gewinnen. Deshalb darf das keinesfalls passieren. Wir müssen vor allem unsere konventionelle Verteidigungsbereitschaft erhöhen. Deutschland ist leider nicht verteidigungsbereit. Die Zeitenwende des Bundeskanzlers geht viel zu langsam voran. Wir haben zu wenige Panzer und zu wenig Munition. Die Frage nach einem zusätzlichen atomaren Potenzial käme erst dann, sollten sich die USA aus Europa zurückziehen.
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Wie sieht Ihre Antwort aus?
Es gibt das Angebot Frankreichs, mit ihrem Atomschirm ganz Europa zu schützen. Darüber sollte Deutschland nachdenken.
Ist Frankreich verlässlicher als die USA? Unter Umständen regiert in Washington bald wieder Donald Trump – und in Paris die Rechtsextremistin Marine Le Pen…
Frankreich hat seinen europäischen Partnern die Hand ausgestreckt.
Die Bundesregierung müht sich, die Haushaltskrise einzudämmen. Wie würden Sie die Milliardenlücke schließen, die sich nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts aufgetan hat?
Es ist Handwerk und kein Zauberwerk, in einem Haushalt von 445 Milliarden Euro fehlende 17 Milliarden zu ermitteln. Die Ampel scheint aber nicht mal das Einmaleins der Finanzpolitik zu beherrschen. Gespart werden könnte beim vermurksten Heizungsgesetz, bei der immensen Bürokratie der Kindergrundsicherung und bei der geplanten Ausweitung des Bürgergelds. Es passt nicht zusammen, dass Bezieher von Bürgergeld fast so viel bekommen wie Arbeitnehmer. Das gilt auch für die Kopplung von Bürgergeld und Flucht. Jemand, der nie die Chance hatte, in die Sozialkassen einzuzahlen, sollte nicht genauso viel bekommen wie jemand, der jahrelang eingezahlt hat. Da muss man ran, so wie damals mit der Agenda 2010 und Hartz IV. Das war ein Schlüsselfaktor für den Wiederaufstieg Deutschlands zum ökonomischen Leader in Europa.
Sie appellieren, von Schröder zu lernen?
So schwierig Gerhard Schröder ist: Die Agenda 2010 war ein Erfolg. Niedrigere Steuern, niedrigere Energiepreise und ein effektiverer Sozialstaat – dahin müssen wir zurück. Wir brauchen eine Agenda 2030.
SPD und Grüne rütteln an der Schuldenbremse und bekommen Unterstützung von CDU-Ministerpräsidenten. Wie lange stemmen Sie sich noch dagegen?
Die Aufweichung der Schuldenbremse hat keinen positiven Effekt und bedeutet den Wiedereinstieg in die Schuldenspirale. Wenn Deutschland als eigentlicher Musterknabe in der Finanzpolitik zum Problemfall wird, löst das eine Kaskade der Schuldenpolitik in Europa aus. Das könnte den Euro in kürzester Zeit in Konflikte stürzen.
Zieht die Union vor Gericht, wenn die Ampel die Schuldenbremse weiter aussetzt?
Die Union würde eine Klage gegen eine Aussetzung der Schuldenbremse auch im Jahr 2024 prüfen. Das Aussetzen wäre Verfassungsmissbrauch, denn eine neue Notlage liegt nicht vor. Der Notstand besteht darin, dass die Ampel sich nicht einigen kann, Geld zu sparen. Das werden die Verfassungsrichter vermutlich nicht gelten lassen.
Höhere Steuern für Superreiche, wie die SPD sie auf ihrem Parteitag beschlossen hat, lehnen Sie ab?
Steuererhöhungen schaden Innovationen und dem Leistungsklima. Das gilt für eine Reichensteuer und eine Vermögensteuer gleichermaßen. Das ist eine alte sozialistische Träumerei, die am Ende jedoch zu Mindereinnahmen führt. Staatsdirigismus wird nie erfolgreich sein.
Sie haben Sorge um die deutsche Demokratie geäußert und den Weimar-Vergleich bemüht. Ist die Bundesrepublik 2023 so gefährdet wie die Weimarer Republik 1933?
Die Demokratie war in der Geschichte der Bundesrepublik noch nie in so großer Gefahr wie jetzt. Destruktive Kräfte wie die AfD und die Wagenknecht-Gruppe gewinnen an Boden. Die amtierende Regierung zeigt wenig Handlungsfähigkeit. Auf diesem Nährboden ist auch Weimar gescheitert. Die Ampel müsste endlich bessere Arbeit machen. Statt um ein tragfähiges Zukunftsmodell für unser Land kümmert sich die Bundesregierung leider um Nebensächlichkeiten wie die Legalisierung von Drogen.
Sie tragen auch nicht zur Stabilisierung bei, wenn Sie Neuwahlen fordern. Nach Lage der Dinge wäre die AfD der große Gewinner.
Die AfD kann doch kein Grund sein, dass wir uns als Demokraten nicht mehr trauen, wählen zu gehen.
In drei Bundesländern – Thüringen, Sachsen-Anhalt und Sachsen – hat der Verfassungsschutz die AfD als gesichert rechtsextrem eingestuft. Ist die Zeit für ein Verbotsverfahren gekommen?
Ein AfD-Verbotsverfahren würde genauso scheitern wie der Versuch, die NPD zu verbieten. Wir müssen die AfD politisch bekämpfen und ihre absurden Ansichten benennen und entlarven. Die AfD verachtet unsere Demokratie und würde unserer Sicherheit und unserem Wohlstand massiv schaden. Helfen würde, wenn das Bundesamt für Verfassungsschutz die AfD auf nationaler Ebene als gesichert rechtsextrem einstuft.
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Sie haben sich einem Feldzug angeschlossen, den die AfD schon länger führt: gegen das Gendern. Was soll ein Gender-Verbot an bayerischen Schulen bringen?
Wir sehen in der neuen Pisa-Studie Schwächen beim Rechnen, Lesen und Schreiben. Da sollte man die Kinder nicht mit Sprachexperimenten zusätzlich belasten, sondern eine verständliche Sprache pflegen. Jeder darf privat sagen, was er will. Aber im staatlichen Umfeld braucht es das Gendern nicht.
Was genau wollen Sie verbieten?
Wir orientieren uns an bestehenden Regeln in anderen Bundesländern und den Empfehlungen des Rats für deutsche Rechtschreibung. Wir werden eine gute Lösung finden.
Das wird nicht reichen, um die miserablen Schulleistungen aus der Pisa-Studie zu verbessern.
Die Schulen müssen sich wieder auf die Vermittlung von Kernkompetenzen konzentrieren. Das ist das Wichtigste. So schön es ist, Mandarin und Englisch im Unterricht zu haben: Zuerst braucht es gute Deutschkenntnisse.
Englisch und Mandarin also erst in der weiterführenden Schule?
Das sollten wir nicht von vornherein ausschließen. Deutsch muss als Heimatsprache als erstes gut beherrscht werden. Erst danach sollten andere Sprachen folgen. In Bayern führen wir übrigens verpflichtende Deutschtests an Schulen ein. Wir sind davon überzeugt, dass wir damit die Integration erleichtern.
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Bremst der Föderalismus die Leistungen der Schüler?
Bei Vereinheitlichungen orientiert man sich nicht am stärksten, sondern am schwächsten. Wir wollen kein Zentralabitur auf Bremer Niveau, sondern unser gutes bayerisches Abi behalten. Andere können gerne von unserem sehr guten Bildungssystem abschreiben. Dazu braucht es aber keinen Zentralismus.
Wollen Sie auch, dass der Anteil von Migranten in deutschen Schulklassen auf Bayern-Niveau reduziert wird?
Darum geht es nicht. Entscheidend ist die richtige Sprachförderung.
Die Bundesregierung will Einbürgerungen erleichtern, die doppelte Staatsbürgerschaft generell zulassen. Gut oder schlecht für die Integration?
Integration muss vor der Einbürgerung stehen und nicht andersherum. Eine Turbo-Staatsbürgerschaft ist das falsche Signal und wird es mit uns an der Regierung nicht geben. Vielmehr brauchen wir strengere Regeln: Wer für ein Kalifat wirbt, muss die doppelte Staatsbürgerschaft verlieren.
Sie wollen die Migration vor allem mit nationalen Maßnahmen begrenzen. Kommt es in dieser Frage nicht auf Europa an?
Europäische Regelungen sind gut, aber wir müssen sie national ergänzen. Die neu eingeführten Grenzkontrollen zu Polen und Tschechien zeigen schon Wirkung. Darauf haben wir als Union lange gedrängt. Außerdem müssen wir die Sozialleistungen für Asylbewerber reduzieren. Die vollen Leistungen sollte es nicht nach 18 Monaten, sondern erst nach fünf Jahren geben. Zudem müssen die Möglichkeiten für Rückführungen deutlich erleichtert und ausgeweitet werden. Die Bundesregierung sollte endlich mehr Abkommen mit Herkunftsländern schließen und Länder wie Marokko oder Indien als sichere Herkunftsstaaten einstufen. Auch über eine Änderung des Grundgesetzes müssen wir offen diskutieren.
Sie wollen das Grundrecht auf Asyl schleifen.
Wir sind für Humanität, aber gegen unkontrollierte Zuwanderung. Das Grundrecht auf Asyl wurde nicht gemacht für die jetzige Herausforderung der Migration. Das sagt selbst Otto Schily. Wer nicht als Asylbewerber anerkannt wird, muss das Land wieder verlassen – und nur wenige werden anerkannt. Zuwanderung sollte in den Arbeitsmarkt stattfinden, aber nicht in die soziale Sicherung. An diesem Grundsatz sollte sich auch das Grundrecht auf Asyl orientieren.
Wenn Sie vorzeitig die Regierung übernehmen wollen, brauchen Sie schleunigst einen Kanzlerkandidaten. Der ist aber noch nicht in Sicht.
Der Vorsitzende der CDU und der Unionsfraktion hat immer die besten Chancen. Friedrich Merz wäre im Moment der klare Favorit. Die Ampel ist in einer Vertrauenskrise, die am besten mit Neuwahlen aufzulösen wäre. Aber auch wenn es beim Wahltermin 2025 bleibt, werden sich CDU und CSU zusammensetzen und einen gemeinsamen Vorschlag machen.
Was muss passieren, damit Sie antreten? Eine Bittprozession der CDU-Landesfürsten in Ihre fränkische Heimat?
Ich freue mich immer über Gäste in Nürnberg und serviere gerne unsere hervorragenden Bratwürste. Ich bin gerade zum bayerischen Ministerpräsidenten wiedergewählt worden und übe dieses Amt mit voller Hingabe aus. Das bleibt auch so. Aber natürlich schaue ich als Ministerpräsident eines großen Bundeslandes und CSU-Chef auch in Berlin nach dem Rechten. (lacht)
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