Berlin. SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert erklärt, wie die Ampel aus der Haushaltskrise kommen soll. Klare Worte findet er für CDU-Chef Merz.
Kevin Kühnert war als Juso-Chef einer der schärfsten Kritiker der Großen Koalition. Das gilt bis heute: Im Interview sagt der 34-jährige SPD-Generalsekretär, warum er trotz der Ampel-Krise ein Bündnis mit der Union weiter vehement ablehnt - und mit welchen Einsparungen die Regierung durch die Haushaltskrise kommen soll.
Herr Kühnert, ist die Ampel-Koalition am Ende?
Kevin Kühnert: Nein.
Ist alles gut?
Offenkundig nicht. Aber ich rate zu einer differenzierten Betrachtung, denn zwischen „Ampel am Ende“ und „alles gut“ gibt es ja noch zahlreiche Zwischentöne, die die Wirklichkeit besser beschreiben. Es sind krisenhafte Zeiten, mit denen jede Koalition zu kämpfen hätte. Und die Mehrheiten im Bundestag sind nun mal so, dass wir die großen Fragen über die Grenzen der politischen Lager links und rechts der Mitte hinweg beantworten müssen. Das sorgt eben für Diskussionen.
Hat die SPD noch Lust auf die Ampel?
Gäbe es die Ampel nicht, wäre die Union in der Regierung. 12 Euro Mindestlohn, Energiepreisbremsen oder eine dringend benötigte Krankenhausreform könnten wir uns dann abschminken. Angesichts dieser Perspektive habe ich kein Motivationsproblem. Im Gegenteil: Mit Friedrich Merz gäbe es in der aktuellen Lage vielleicht weniger Unklarheiten über den Haushalt 2024. Aber der Preis dafür wäre, dass er mit dem Rasenmäher schon dreimal über den Sozialstaat gebrettert wäre. Die Aufgabe der SPD ist es, sich reinzuknien, damit der gesellschaftliche Zusammenhalt nicht geopfert wird.
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Schließen Sie aus, dass die Regierung vorzeitig zerbricht?
Dinge, die die Zukunft betreffen, kann ich ganz grundsätzlich nicht ausschließen. Das täte ich auch dann nicht, wenn Sie mich fragten, ob es beim Bäcker morgen Brötchen gibt. Ich kann Ihnen aber versichern, dass ich die Stabilität der Koalition und die Verfügbarkeit der Brötchen gleichermaßen für sehr wahrscheinlich halte. Meine Einschätzung zur Union und ihrem Fraktionsvorsitzenden Merz teilen übrigens viele auch bei FDP und Grünen.
Die Union wirbt für eine große Koalition. Ist das eine Option?
Es ist keine Option, weil wir ja gar keinen Koalitionspartner suchen. Wir haben bereits zwei. Außerdem haben wir es in den großen Fragen dieser Tage auch gar nicht mit einer geeinten Union zu tun.
Inwiefern?
Beispiel Schuldenbremse: Bei dem Thema gibt es in der Union reichlich Meinungsvielfalt. Berlins Regierender Bürgermeister Kai Wegner fordert eine Reform der Schuldenregeln. Dafür ist er von Merz auf offener Bühne im Bundestag lächerlich gemacht worden. Die Linie in der Union verläuft zwischen Merz, der noch nie politische Verantwortung fürs große Ganze in Deutschland getragen hat, und vielen Ministerpräsidenten, die tagtäglich konkrete Verantwortung tragen. Ich glaube, die haben was miteinander zu klären.
Könnte eine große Koalition die Bevölkerung besser mitnehmen als die Ampel?
Das bezweifle ich. Die Ampel-Parteien müssen jedoch schon zur Kenntnis nehmen, dass es eine Sehnsucht nach gesellschaftlichem Zusammenhalt gibt. FDP und Grünen wünsche ich über ihre eigenen Milieus hinaus manchmal ein bisschen mehr Einfühlungsvermögen. Damit meine ich das Fingerspitzengefühl für Veränderungen, die abhängig Beschäftigte, Menschen im ländlichen Raum oder Bürger mit kleinen Einkommen betreffen. Da wäre mehr Umsicht gelegentlich gut. Ich leide aber auch nicht an Gedächtnisverlust: Ich weiß noch sehr gut, wie die „Groko“-Jahre gewesen sind. Viele unserer derzeitigen Probleme sind auch Folge des Regierens mit der Union, die konsequent Reformen beim Sozialstaat oder die Modernisierung unserer Infrastruktur blockiert hat.
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Um ihre Haushaltsprobleme zu lösen, will die Regierung für 2023 die Schuldenbremse erneut aussetzen. Gilt das auch für 2024?
Uns fehlt nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts ein saftiger zweistelliger Milliardenbetrag – längst nicht nur die 17 Milliarden Euro im Kernhaushalt und auch nicht nur für ein Jahr. Mir ist kein Vorschlag bekannt, wie dieses Loch allein durch Kürzungen gefüllt werden kann. Dafür müssten wir Investitionen stoppen, was eine echte Katastrophe wäre. Ich stelle in Deutschland großes Einvernehmen darüber fest, dass wir kräftig investieren müssen, um die großen Zukunftsaufgaben des Landes zu erledigen. Für Investitionen in den Standort Deutschland auch 2024 Kredite aufzunehmen, das ist im Interesse künftiger Generationen.
Wie wollen Sie das begründen?
Ich finde, dass die schwarz-grüne Landesregierung von Schleswig-Holstein hier die Richtung gewiesen hat. Sie begründet ihre Kreditaufnahme mit unmittelbaren, aber auch übergeordneten Aufgaben, die sich aus dem Ukraine-Krieg ergeben. Das ist kein Buchungstrick, sondern von der Kommune bis zum Bund unsere tägliche politische Realität.
Also keine Einsparungen im Haushalt 2024?
Die Haushaltslücke kann nicht allein durch Einsparungen geschlossen werden, aber selbstverständlich verschließt sich die SPD keiner Diskussion über sinnvolle Einsparungen. Ein Beispiel: Wir wollen und werden an der Förderung für den Heizungstausch festhalten. Aber für Haushalte mit den höchsten Einkommen muss es solche Unterstützungen nicht geben, meine ich. Wer so viel verdient, dass er Reichensteuer zahlt, der braucht keine staatliche Hilfe. Generell sollten wir Förderprogramme dahingehend überprüfen, ob sie unserem Solidarprinzip entsprechen.
(Anmerkung der Redaktion: Unter Reichensteuer versteht man den Höchststeuersatz von 45 Prozent. Er muss ab einem jährlichen zu versteuernden Einkommen von 278.000 Euro gezahlt werden.)
Haben Sie weitere Sparideen?
Von der SPD gibt es immer wieder Sparvorschläge, zuletzt im Sommer den Vorschlag, für künftige Ehen das Ehegattensplitting abzuschaffen. Oder denken Sie an die absurde Steuerfreiheit von Gewinnen beim Verkauf von ganzen Wohnblocks. Das kann sofort weg! Wenn wir über Einsparungen sprechen, dann sollten wir auf die starken Schultern schauen und nicht auf Rentner, Kinder oder auch Menschen mit kleinen Einkommen. Diese hat die Union im Visier, wenn sie jetzt über „Sozialgeschenke“ schwadroniert.
Ist es ein Fehler, dass die Energiepreisbremsen zum Jahresende auslaufen?
Da muss ich widersprechen! Bundeskanzler Scholz hat im Bundestag ein Versprechen abgegeben. Wenn in diesem Winter die Energiepreise wider Erwarten explodieren, dann wird der Staat handeln. Damit ist das politische Versprechen der SPD erneuert: Wer jetzt Weihnachtsgeschenke kauft oder auf einen kleinen Urlaub spart, der muss dabei keine Angst vor explodierenden Kosten für Strom und Gas in diesem Winter haben. Darauf können sich die Bürger verlassen.
Hat die Koalition ein Problem, ihre Politik zu erklären?
In einer idealen Welt könnte man politische Beschlüsse und Vereinbarungen sicherlich besser transportieren. In einer idealen Welt hätten wir aber auch keine Dreierkoalition mit so unterschiedlichen Partnern. Da wird der Weg zum Kompromiss immer wieder als sehr knirschend wahrgenommen. Das ist die uns gegebene politische Realität, über die ich mich nicht beklagen will.
Erklärt der Kanzler seine Politik genug?
Der Kanzler trägt in der Regierung die Gesamtverantwortung. Als Sozialdemokrat hat er einen klaren Standpunkt, als Regierungschef aber auch die Aufgabe auszugleichen. Das passt nicht mit einer Machtwort-Politik zusammen, die von ihm so oft gefordert wird. Also müssen wir Parteien und die Fraktionen es mehr übernehmen, unser Ringen um den Kompromiss zu erklären. Außerdem liegen gerade hinter Scholz zwei unglaubliche Jahre voller externer Krisen. Das fordert im Alltag so sehr, dass es eine lehrbuchreife Kommunikation, die allen gefällt, kaum geben kann.
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