Berlin. Der Kanzler äußert sich nach langem Schweigen erstmals ausführlich zur Haushaltskrise. In einem Punkt bleibt Scholz jedoch sehr vage.
Wie will die Bundesregierung den Weg aus der Haushaltskrise finden? In seiner Regierungserklärung im Bundestag hat Bundeskanzler Olaf Scholz erstmals umfassend zu dem Haushaltsurteil des Bundesverfassungsgerichts und seinen Folgen Stellung genommen. Der Kanzler rechtfertigte das Vorgehen seiner Regierung, blieb aber in wichtigen Fragen vage.
Wie ist die Ausgangslage?
Um kurz nach 10 Uhr schließt Scholz einen Knopf an seinem Sakko, greift die Mappe mit dem Bundesadler auf dem Deckel und geht zum Rednerpult im Bundestag. Die Mappe enthält seine Regierungserklärung, die Rede zählt zu den wichtigsten seit Beginn der Legislaturperiode. Vor zwei Wochen hatte das Bundesverfassungsgericht die Haushaltspraxis der Ampel-Regierung in wichtigen Punkten für verfassungswidrig erklärt. Der Regierung fehlen damit viele Milliarden Euro, die Finanzplanung ist komplett durcheinandergeraten.
Die Koalition habe intensiv über die weitreichenden Folgen des Urteils beraten, erläuterte der SPD-Politiker. „Diese Beratungen sind noch nicht abgeschlossen, Sorgfalt geht dabei vor Schnelligkeit.“ Diese Sätze können als Begründung dafür gelten, dass der Kanzler sich erst am Dienstag und damit zwei Wochen nach dem Richterspruch aus Karlsruhe ausführlicher zu den Konsequenzen äußerte.
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Wie rechtfertigt Scholz sein Vorgehen?
Der Jurist und frühere Finanzminister erklärte, das Bundesverfassungsgericht habe sich „erstmals sehr detailliert und sehr weitreichend“ dazu geäußert, wie die Schuldenbremse im Grundgesetz genau anzuwenden sei. Vieles sei vorher rechtlich nicht eindeutig geregelt gewesen, rechtfertigte Scholz die Praxis seiner Regierung, mit über mehrere Jahre angelegten Schuldenfonds ihre Politik zu planen und zu finanzieren. „Mit dem Wissen um die aktuelle Entscheidung hätten wir im Winter 2021 andere Wege beschritten“, sagte Scholz und spricht damit die Koalitionsverhandlungen an. Allerdings: Warnungen von Experten gab es.
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Haushalt 2023: Wie begründet der Kanzler die erneute Aussetzung der Schuldenbremse?
Scholz zählte die vielfachen Krisen auf, mit denen seine Regierung zu kämpfen hatte: Die Corona-Pandemie mit ihren verheerenden Auswirkungen auf die deutsche Wirtschaft. Der russische Angriff auf die Ukraine, in dessen Folge nicht nur die Energiepreise in Deutschland massiv in die Höhe schossen, sondern der auch hohe Staatsausgaben mit sich zog. Etwa für die Modernisierung der Bundeswehr, für die militärische Unterstützung der Ukraine und die Versorgung von rund einer Million ukrainischer Flüchtlinge in Deutschland.
Der Kanzler erinnerte daran, dass sich die Gaspreise aufgrund des Konflikts mit dem russischen Machthaber Wladimir Putin zeitweise mehr als verzehnfacht hatten. Noch immer sei Gas mehr doppelt so teuer wie zu Beginn der Energiekrise. „Das geht nicht spurlos vorbei an einem Industrieland wie Deutschland“, fügte Scholz hinzu. Die Regierung habe außerdem mit Milliardensummen Unternehmen und Bürger vor den hohen Energiepreisen geschützt. „Dabei war von Beginn an klar, es reicht nicht aus, nur auf den Winter 2022/23 zu schauen. Es ging immer auch um den Winter 2023/24.“
Die Bundesregierung hat einen Nachtragshaushalt für 2023 beschlossen und will dafür die Schuldenbremse rückwirkend für dieses Jahr noch einmal aussetzen. Diese Notlage muss sie begründen. Aus der Rede des Kanzlers wird deutlich, wie sie das machen will. Bei der ersten Lesung am Freitag im Bundestag dürfte die Regierung auf einen anhaltenden Zustand der Energiekrise verweisen, der weitere hohe Ausgaben des Staates zur Absicherung von Verbrauchern und der Wirtschaft erforderlich mache. Zudem verwies Scholz auf die Hilfen für die Betroffenen der katastrophalen Überschwemmungen im Ahrtal.
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Welche Worte richtet Scholz an die Bürger?
„Der Staat wird seinen Aufgaben auch weiterhin gerecht“, versprach Scholz den Bürgerinnen und Bürgern. Laufende Ausgaben seien von den Problemen nicht betroffen. „In Ihrem Alltag hier und heute ändert das Urteil des Bundesverfassungsgerichts nichts, völlig unabhängig davon, ob Sie Kindergeld oder Bafög bekommen, eine Rente oder Wohngeld“, versicherte Scholz und kritisierte Falschmeldungen in sozialen Medien. „Die Bürgerinnen und Bürger können darauf vertrauen, dass der Staat seine Zusagen ihnen gegenüber einhält. Wir lassen niemanden allein mit den Herausforderungen, mit denen wir es aktuell so geballt zu tun haben.“
Wie geht mit den Energiepreisbremsen weiter?
Dennoch bestätigte Scholz eine Ankündigung von Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP): Die erst vor Kurzem bis Ende März verlängerten Energiepreisbremsen für Strom und Gas enden nun doch schon zum 31. Dezember 2023. Diese waren aus einem der Sondertöpfe bezahlt worden, die jetzt als verfassungswidrig gelten. Scholz begründete die Entscheidung damit, dass inzwischen wieder im gesamten Land Strom- und Gastarife verfügbar seien, die zwar deutlich höher lägen als vor der Krise, aber dennoch unterhalb der Obergrenzen der Preisbremsen und ebenfalls „spürbar“ unterhalb der Preise im vergangenen Herbst und Winter. Sollten die Preise für Energie „unerwartet und dramatisch“ steigen, „sind wir jederzeit in der Lage, kurzfristig zu handeln“, versprach Scholz.
Haushalt 2024: Wie geht es weiter?
Auch bei der Aufstellung des Etats für 2024 muss die Regierung die Folgen des Urteils des Obersten Gerichts einrechnen. Aufgrund der Haushaltskrise ist der Staatshaushalt für das kommende Jahr noch nicht beschlossen – anders als eigentlich geplant. „Das gibt uns Zeit, vorhandene Spielräume im Haushalt auszuloten, Schwerpunkte zu setzen und natürlich auch Ausgaben zu beschränken“, kündigte Scholz an. Es wird also zu Kürzungen kommen. Genauere Angaben dazu machte Scholz allerdings noch nicht. Der Koalition stehen harte Verhandlungen bevor.
Es gehe nun „um Grundsätzliches, den Zusammenhalt im Land und den Sozialstaat“, betonte Scholz und wiederholte seinen Ausspruch „You’ll never walk alone“ (sinngemäß: Wir lassen niemanden alleine). Dies könnte ein Hinweis sein, dass der Kanzler die Forderung nach Sozialkürzungen ablehnt. Bei der Unterstützung der Ukraine und der Bewältigung der Energiekrise dürfe die Regierung nicht nachlassen, hob Scholz hervor. Es gehe außerdem um sichere Arbeitsplätze und eine starke Wirtschaft. Deutschland müsse weiterhin modernisiert werden.
Hinter dem Haushalt 2024 stehen also viele Fragezeichen. Unklar ist auch noch, ob die Regierung noch einmal darauf zurückgreifen will, die Schuldenbremse auszusetzen. In seinem Blick auf das kommende Jahr blieb Scholz sehr vage. Einen weitreichenden Plan für einen Ausweg aus der Haushaltskrise präsentierte der Kanzler nicht.
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Wie reagiert Friedrich Merz?
CDU-Chef Friedrich Merz nutze seine Replik auf den Kanzler zu einer scharfen Attacke. „Sie können es nicht“, warf Merz Scholz vor. Die Schuhe eines Kanzlers seien für Scholz mindestens zwei Nummern zu groß. „Sie sind ein Klempner der Macht“, sagte Merz an den Kanzler gerichtet, der sich die schärfsten Sätze des Oppositionsführers mit versteinerter Miene anhörte. Der Unionsfraktionschef warf Scholz vor, sich nicht für eine verfassungswidrige Manipulation der Schuldenbremse entschuldigt zu haben oder gar ein Wort des Bedauerns geäußert zu haben.