Berlin. Wichtige Industrie-Vorhaben stehen auf der Kippe. IG Metall und Ökonomen pochen darauf, Zusagen einzuhalten – sonst drohe Schlimmeres.
Kurz vor dem Zusammentreffen der Wirtschaft- und Energieminister der Länder mit Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) an diesem Montag in Berlin pocht die Gewerkschaft IG Metall auf ein Einhalten der Förderzusagen für wichtige Industrieprojekte. Die Schuldenbremse für das laufende Jahr auszusetzen, bezeichnete der Zweite IG-Metall-Vorsitzende, Jürgen Kerner, als „richtig“. „Mittelfristig muss der Bundestag die Schuldenbremse abschaffen, mindestens aber so fassen, dass Investitionen und Transformationsfinanzierung künftig ausgenommen sind“, sagte Kerner dieser Redaktion.
Kurzfristig schlägt er einen „Zukunftsgipfel mit Industrie, Industriegewerkschaften sowie Bundes- und Landesregierungen vor, „um gemeinsam Wege zu finden, wie nun verlässlich in Transformation, Klimaschutz und in die Arbeitsplätze der Zukunft investiert werden kann“, sagte Kerner weiter. Seit dem Haushaltsurteil des Bundesverfassungsgerichts klafft in den Finanzplanungen der Bundesregierung ein riesiges Loch. Gut 60 Milliarden Euro fehlen. Den aus Corona-Mitteln gespeisten Klimaschutz- und Transformationsfonds (KTF) hatten die Richter für verfassungswidrig erklärt.
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IG-Metall-Gewerkschafter Kerner sagte, nach dem Urteil stünde nun über vielen Industrievorhaben ein Fragezeichen. Gleichzeitig ermahnte er die Politik, Förderzusagen einzuhalten. „Wenn die Transformation staatlich nicht begleitet und gefördert wird, hat das bedrohliche Folgen für das Erreichen der Klimaziele und den klimagerechten Umbau unserer Industrie“, so Kerner. Viele Unternehmen seien verunsichert, mit der Folge, dass Zukunftsinvestitionen ausblieben. „Am Ende steht unser gesamtes Industriemodell infrage. Arbeitsplätze und Wohlstand sind in akuter Gefahr“, warnte der Gewerkschafter.
Intel in Magdeburg sollte mit knapp zehn Milliarden Euro unterstützt werden
Beispiel Mikroelektronik: Aus dem KTF sollte unter anderem die Ansiedlung des US-Chipkonzerns Intel in Magdeburg unterstützt werden. Bei etwa 30 Milliarden Euro Ausgaben des Unternehmens waren 9,9 Milliarden Förderung eingeplant. Intel plant, in der Landeshauptstadt Sachsen-Anhalts gut 3000 Arbeitsplätze zu schaffen, Tausende weitere Jobs stehen mit der Ansiedlung zahlreicher Zulieferer im Umfeld in Aussicht. Einigkeit zwischen Regierung und Unternehmen über die Förderung besteht grundsätzlich, es gibt aber noch keine rechtsverbindlichen Vereinbarungen oder gar Förderbescheide.
Das gilt auch für Förderzusagen an TSMC in Höhe von vier Milliarden Euro für ein neues Chipwerk und für in Aussicht gestellte Subventionen bei der Erweiterung der Produktion von Infineon. Beide Projekte sollen in Dresden (Sachsen) umgesetzt werden und gut 3000 neue Jobs schaffen. Sachsen-Anhalts Wirtschaftsminister Sven Schulze (CDU) sagte dieser Redaktion: „Auf der Sonder-Wirtschaftsministerkonferenz in Berlin erwarte ich von der Bundesregierung erste Erkenntnisse und schnellstmöglich Klarheit zur Finanzierung von Projekten in Sachsen-Anhalt.“ Er gehe „weiterhin davon aus, dass Bundeskanzler Olaf Scholz seine Zusagen zum Intel-Projekt vollständig einhält.“
Batterieproduktion, „grüner“ Stahl: Welche Projekte noch auf dem Spiel stehen
Beispiel Wasserstoff: Über sogenannte IPCEI-Projekte will das Bundeswirtschaftsministerium auch den Aufbau einer Wasserstoffwirtschaft fördern. IPCEI steht für „Important Projects of Common European Interest“. Rund 45 Unternehmen aus 13 Bundesländern sind laut Ministerium mit aussichtsreichen Projekten beteiligt. Die Bundesländer Sachsen, Sachsen-Anhalt, Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen sind besonders stark vertreten. Doch lediglich für sechs Vorhaben wurde bislang eine Förderung bewilligt. Infrage steht nun auch die finanzielle Unterstützung für die künftige Produktion von „grünem“ Stahl. Allein bei diesen Projekten geht es laut Ministerium um geplante Investitionen in Höhe von rund sechs Milliarden Euro an Standorten wie dem Saarland (Stahl-Holding-Saar) sowie bei Arcelor Mittal in Bremen und Eisenhüttenstadt.
Beispiel Batteriezellen: Ein Fragezeichen steht auch hinter geplanten Förderungen für die Herstellung von Batteriezellen in Deutschland. Insgesamt wollen 30 Firmen – darunter Northvolt (Heide/Schleswig-Holstein), BASF (Schwarzheide/Brandenburg) und SVolt in Brandenburg und im Saarland – 20 Milliarden Euro investieren. Mit 20.000 neuen Stellen rechnet das Wirtschaftsministerium.
DIW-Ökonom Fratzscher: Bundesregierung muss zu ihren Verprechen stehen
Auch Marcel Fratzscher, einer der Top-Ökonomen Deutschlands und Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin), warnt davor, Förderzusagen platzen zu lassen. Er erwarte, dass die Bundesregierung ihre eingegangenen Verpflichtungen erfüllt, sagte Fratzscher dieser Redaktion. „Denn wenn sie dies nicht tut, wird ein enormer wirtschaftlicher Schaden entstehen – weniger durch nicht geförderte Projekte als durch den Vertrauensverlust. Eine Regierung muss zu ihren Versprechen stehen, sonst verlieren Wirtschaft und Gesellschaft Vertrauen.“ Die daraus resultierende Unsicherheit sei „Gift für die Wirtschaft“.
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Gleichzeitig verwies er darauf, dass Förderungen in strukturschwache Gebiete fließen sollten, vor allem nach Ostdeutschland. „Die Bundesregierung würde mit einer Rücknahme der Versprechen die wirtschaftliche Polarisierung in Deutschland weiter verschärfen“, erklärte Fratzscher. Sie müsse deshalb „umgehend eine Lösung präsentieren, die allen die Sicherheit gibt, dass ihre Versprechen erfüllt werden.“ Fratzscher forderte in diesem Zusammenhang einen langfristigen Finanzierungsplan, wie Investitionen in Klimaschutz und Transformation auch über die Legislaturperiode hinaus finanziert werden sollen.