Berlin. Finanzminister Lindner schiebt die Aktienrente auf. Was kommt noch? Sozialverbände befürchten Schlimmes. Und Söder fordert Neuwahlen.
Die Berliner Ampel-Koalition beginnt mit dem Schlachten heiliger Kühe: Die unter hohem Druck stehende Bundesregierung hat die Einzahlung von zehn Milliarden Euro in den Kapitalstock der Aktienrente erst einmal verschoben. Der Aufbau des Kapitalstocks zur anteiligen Finanzierung der gesetzlichen Rente ist eines der Kernanliegen von Finanzminister und FDP-Chef Christian Lindner.
Sein Ministerium betonte, an dem Projekt grundsätzlich festhalten zu wollen. Aufgrund der Haushaltskrise steht derzeit aber alles infrage. Der Beschluss zum Generationenkapital getauften Aktienrente ist möglicherweise nur der Vorgeschmack auf viele schmerzhafte Beschlüsse, die auf die Ampel-Regierung zukommen. Sozialverbände befürchten vor der Regierungserklärung von Kanzler Olaf Scholz zur Haushaltskrise am Dienstag im Bundestag Schlimmes. CSU-Chef Markus Söder sieht das Land bereits in einer „Staatskrise“. Seine Lösung: Neuwahlen parallel zur Europawahl am 9. Juni. Doch dazu später mehr.
Haushaltskrise: Legt Scholz einen Plan für die Krise vor?
Mit den Erträgen aus dem Kapitalstock des Generationenkapitals wollte Lindner ab Ende der 2030er Jahre die Rentenkasse entlasten. Die Idee war ein Modernisierungsprojekt, das die FDP in den Koalitionsverhandlungen durchgesetzt hatte. Den Plan nur erst einmal auf Eis zu legen, ist Teil des Nachtragshaushalts für das laufende Jahr, den das Bundeskabinett am Montag beschloss. Damit will die Regierung einen ersten Schritt machen, um ihre zusammengebrochene Finanzplanung zu ordnen.
Hintergrund ist das Urteil des Bundesverfassungsgerichts, das die Haushaltspraxis der Regierung in wichtigen Punkten für verfassungswidrig erklärt hatte. Der Ampel-Koalition fehlen nun auf einen Schlag viele Milliarden Euro. Es wird erwartet, dass Scholz an diesem Dienstag im Bundestag einen Plan vorlegt, was er noch für bezahlbar hält, wo gekürzt werden muss, wie er weiterhin regieren will. Mit dem Verzicht auf die Einzahlung in die Aktienrente setzt Lindner SPD und Grüne unter Druck, die um die Finanzierung ihrer Lieblingsprojekte aus den Bereichen Sozialpolitik und Klimaschutz kämpfen wollen.
Energiepreisbremse: Sozialverbände schlagen Alarm
Für Unruhe sorgt das von Lindner angekündigte vorgezogene Aus für die Energiepreisbremsen zum Jahresende. SPD und Grüne sehen das kritisch. Mehrere Sozialverbände forderten eindringlich, rasch eine Anschlusslösung zu erarbeiten. Die Präsidentin des Deutschen Caritasverbands, Eva Maria Welskop-Deffaa, sagte unserer Redaktion, die Preisbremsen für Strom und Gas hätten in einer schwierigen Lage gute Dienste geleistet. „Ich wünsche mir auch, dass mit diesem neuen Haushalt Vorsorge dafür getroffen wird, im Fall wieder sprunghaft steigender Energiepreise Familien im Niedrigeinkommensbereich schnell helfen zu können“, sagte Welskop-Deffaa. Die Weiterführung der Energiepreisbremsen – wie ursprünglich geplant bis Frühjahr 2024 – wäre dafür „das Mittel der Wahl“.
Ähnlich äußerte sich die Präsidentin des Sozialverbands VdK, Verena Bentele. „Das Hin und Her der Ampel-Koalition zur Energiepreisbremse verbreitet extreme Unsicherheiten“, sagte sie unserer Redaktion. Der Winter werde nicht einfach am 31. Dezember zu Ende sein. „Entweder sollte die Energiepreisbremse doch bis Ende März weiterlaufen oder die Regierung sollte einen Härtefallfonds für arme Menschen auflegen.“
Paritätischer befürchtet schlagartige Erhöhung der Kosten für Strom und Gas
Erst vor zwei Wochen sei die Verlängerung der Energiepreisbremsen bis Ende März 2024 verkündet worden, kritisierte die Vorstandsvorsitzende des Sozialverbands Deutschland, Michaela Engelmeier. „Die Energiepreisbremsen kommentarlos zu begraben, ist jedenfalls nicht der Weg, um das Vertrauen von Bürgerinnen und Bürgern zu gewinnen“, sagte Engelmeier dieser Redaktion. Viele Menschen mit niedrigem Einkommen bräuchten die Entlastungen weiterhin – „erst recht 2024, wenn die Mehrwertsteuer auf Gas wieder steigt“.
Der Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Gesamtverbands, Ulrich Schneider, sagte unserer Redaktion: „Der Wegfall der Preisbremsen würde zum jetzigen Zeitpunkt zu einer schlagartigen Erhöhung der Kosten für Strom und Gas führen. Gemessen an den Durchschnittskosten der Haushalte für Strom würde die Erhöhung rund 16 Prozent und bei Gas sogar 17 Prozent betragen.“ Ärmere Haushalte könnten das nicht mehr stemmen, ergänzte Schneider. Sollten die Energiepreisbremsen fallen, bräuchte es mindestens zielgerichtete Hilfen für Haushalte mit unterdurchschnittlichen Einkommen.
CSU-Chef Söder fordert Neuwahlen
CSU-Chef Söder forderte Neuwahlen. Die Koalition solle die Vertrauensfrage stellen, „nicht im Parlament, sondern vor dem deutschen Volk“. Er glaube nicht daran, dass die Regierung noch in der Lage sei, die Probleme des Landes zu lösen, sagte der bayerische Ministerpräsident. Seine Sorge: Ohne einen überzeugenden Neustart in der Bundesregierung könnten die Europawahl und die Landtagswahlen im Osten zu einem massiven Rechtsruck führen.
Söder sprach sich in diesem Zuge für die Bildung einer Großen Koalition mit der SPD als Juniorpartner aus. Eine schwarz-grüne Regierung dagegen sei „ein gutes Modell für schöne Zeiten“, aber nicht für schwere. Die neue GroKo in Hessen sei ein Zeichen dafür, dass die Zeit der schwarz-grünen Bündnisse abgelaufen sei – „der Sex-Appeal ist weg“.
Schuldenbremse: Auch die Union diskutiert über eine Reform
Uneins ist die Union mit Blick auf die Zukunft der Schuldenbremse: Söder und CDU-Chef Friedrich Merz lehnen das Aussetzen oder Aufweichen ab – andere CDU-Länderchefs hatten sich dagegen zumindest für eine Reform ausgesprochen. Wenn die Bundesregierung für den Haushalt 2023 eine Notlage ausrufe, um die Schuldenbremse erneut auszusetzen, werde die Union jedoch nicht klagen. Offen ist, wie sie sich verhalten würde, sollte die Ampel auch für 2024 eine Notlage beschließen.
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