Berlin. Schock, Trotz, Ratlosigkeit: Durch diese 3 Phasen geht die Regierung in der Haushaltskrise. Ausgerechnet Olaf Scholz sagt – nichts.
In der an Krisen reichen Regierungszeit der Ampel-Koalition hat das Bündnis seine bisher dunkelste Stunde erreicht. Die gesamte Finanzplanung ist der Regierung um die Ohren geflogen, mit ihr die Grundlage für die politische Zusammenarbeit der drei ungleichen Partner. Offen ist, ob die Bundesregierung die Krise überlebt.
Seit dem Haushaltsurteil des Bundesverfassungsgerichts hat die Koalition zunächst eine Schockphase erlebt, es folgte eine Trotzphase. Nun ist sie in der dritten Phase angekommen: der Ratlosigkeit.
1. Die Schockphase
Die Schockphase: Kurz nach Bekanntgabe des Urteils am Mittwoch der vergangenen Woche traten BundeskanzlerOlaf Scholz (SPD), Vizekanzler Robert Habeck (Grüne) und Finanzminister Christian Lindner (FDP) im Kanzleramt vor die Kameras. Da konnte Scholz noch darüber schmunzeln, dass er ausgerechnet an diesem Tag zu einer Befragung im Bundestag eingeladen war. Wie passend! Dann könne man gleich über die Folgen des Urteils reden, mit dem die Richter den Klima- und Transformationsfonds für verfassungswidrig erklärt und damit ein 60-Milliarden-Loch in die Ampel-Kasse gerissen hatten.
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Rückblickend verstärkt sich der Eindruck, dass der Regierung in diesem Moment die weitreichenden Folgen des Urteils für ihre gesamte Finanzplanung nicht klar waren. „Die Beratung des Etatentwurfs 2024 ist nach unserer aktuellen Einschätzung nicht von dem Urteil betroffen“, sagte Lindner im Kanzleramt. Inzwischen stellt sich die Lage deutlich anders dar: Die Ampel-Koalition sagte am Mittwoch die Bereinigungssitzung des Haushaltsausschusses für den Etat 2024 an diesem Donnerstag vorerst ab wegen der vielen offenen Fragen. Ohne Fristverkürzung ist damit ein Beschluss des Etats für 2024 vor Jahresende nicht mehr möglich.
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Nach dem Urteil machte sich in der Koalition zunächst große Unsicherheit breit, die schließlich in einen Schockzustand führte. Hatte Lindner kurz vor dem Urteil noch zuversichtlich davon gesprochen, einen „Plan B in der Tasche“ zu haben, wurde klar: Es gibt keinen Plan B. Den Akteuren wurde damit nach und nach bewusst, vor welcher Katastrophe sie infolge des Urteils stehen, das auf eine Klage der Union zurückgeht.
2. Die Trotzphase
Die Koalition ging damit in die nächste Phase über: die Trotzphase. Am Montagmorgen war Robert Habeck zu einem Radiointerview verabredet. In dem fast 13-minütigen Gespräch ließ der Grünen-Politiker seinem Frust freien Lauf. „Es geht um die Kernsubstanz der deutschen Wirtschaft“, sagte der Wirtschaftsminister. Die Schuld daran gab er der Union und CDU-Chef Friedrich Merz. Er verstehe nicht, wie die sich so über die Folgen des Urteils freuen könnten, „zynisch“ sei das.
Habeck sagte zudem offen, dass es wohl noch viel schlimmer kommen werde. Das Urteil sei so grundlegend, dass auch andere Fonds wie der Wirtschaftsstabilisierungsfonds betroffen seien. Daraus wird die Energiepreisbremse finanziert. Wenn Bürger nun mehr für Strom und Gas zahlen müssten, gebe es nur einen Adressaten, schimpfte Habeck: „Schönen Dank, Friedrich Merz!“ Dass es nicht die Union gewesen war, die die Staatsfinanzen verfassungswidrig geplant hatte, spielte bei dem Vizekanzler keine Rolle. „Nicht der, der foult, ist anscheinend schuld“, beschrieb die CDU-Politikerin Serap Güler Habecks Argumentation, „sondern derjenige, der sagt, da wurde gefoult.“
3. Die Phase der Ratlosigkeit
Der Trotz des Vizekanzlers konnte nicht übertünchen, dass die Koalition unausweichlich in die nächste Phase eingetreten war, die der Ratlosigkeit. Inzwischen hat das Finanzministerium eine Haushaltssperre für den Etat 2023 verhängt. Wie viel Geld die Regierung künftig ausgeben kann und wofür – völlig unklar. Die Wirtschaft schlägt Alarm und beobachtet mit „größter Sorge“ die Lage: „Um das Land durch diese schwere Krise zu führen, ist ein deutlich höheres Maß an politischer Geschlossenheit notwendig, als wir es in den vergangenen Monaten erlebt haben“, appellierte BDI-Präsident Siegfried Russwurm am Mittwoch an Regierung und Opposition.
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Als im Sommer darüber diskutiert worden war, ob Deutschland wieder der „kranke Mann Europas“ sei, hatten Kanzler Scholz und andere Koalitionsvertreter dies zurückgewiesen und an anstehende Zukunftsinvestitionen erinnert. Das Problem: Diese Investitionen und damit verbundene Ansiedlungen von wirtschaftlich bedeutenden Projekten stehen infolge des Haushaltschaos auf der Kippe.
Haushaltskrise: Diese drei Optionen hat die Bundesregierung jetzt
Wie der Bundeskanzler die Lage beurteilt, weiß man nicht. Seit dem Auftritt im Kanzleramt und der anschließenden Befragung im Bundestag hat Scholz sich öffentlich nicht zu der Krise seiner Regierung geäußert. Für die Opposition ein Zeichen der Schwäche. Scholz müsse der Bevölkerung erklären, was er jetzt tun wolle, sagte CDU-Chef Merz. „Der kann doch nicht einfach eine Woche lang abtauchen.“ Der Kanzler müsse den Menschen in einer Fernsehansprache darlegen, „wie er den Karren aus dem Sumpf ziehen“ wolle, forderte auch Linksfraktionschef Dietmar Bartsch.
Das Problem: Die Lösung gibt es noch nicht. Zwischen Parteien, Fraktionen, Ministerien und Kanzleramt wird in diesen Tagen viel gerätselt und gerechnet. Lindner war am Dienstagabend zum Krisengespräch im Kanzleramt.
Als Optionen liegen auf dem Tisch:
1. Für mindestens dieses Jahr erneut die Schuldenbremse auszusetzen und sich Geld zu leihen, um die Löcher zu stopfen. Das sieht die FDP kritisch.
2. Ausgaben kürzen: Das werden SPD und Grüne nervös, da sie um ihre jeweiligen Kernprojekte wie das Bürgergeld oder Klimaschutzprojekte fürchten.
3. Steuern erhöhen, das ist wiederum für die FDP ein rotes Tuch.
Neuwahlen: Merz zeigt sich bereit zum Wahlkampf
Politisch scheint zumindest auf den ersten Blick keine der Optionen machbar. Am Ende wird wohl jeder der Koalitionspartner bittere Zugeständnisse machen müssen, wenn sie eine gemeinsame Lösung finden wollen. „Diese Koalition ist krisenerprobt“, zeigt sich Grünen-Chef Omid Nouripour zuversichtlich. „Wir bekommen auch dieses Problem in den Griff.“
Partei | Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD) |
Gründung | 23. Mai 1863 |
Ideologie | Sozialdemokratie, Sozialstaat, Europäische Integration |
Vorsitzende | Saskia Esken und Lars Klingbeil (Stand: April 2023) |
Fraktionsstärke | 206 Abgeordnete im Bundestag (Stand: April 2023) |
Bekannte Mitglieder | Olaf Scholz, Karl Lauterbach, Frank-Walter Steinmeier |
Im Regierungsviertel wird jedoch zunehmend die Frage diskutiert: Was, wenn es nicht mehr geht? Man erinnert sich wieder an Christian Lindners berühmtesten Satz: „Es ist besser, nicht zu regieren, als falsch zu regieren.“ Würde er auch in dieser Lage danach handeln? Regierungsbrüche in der Legislaturperiode wurden in den letzten Jahren mehrfach diskutiert, sie entsprechen aber nicht der politischen Kultur des Landes. Am Ende überwog stets die staatspolitische Verantwortung.
„Wir sind in der Lage, aus dem Stand heraus eine Bundestagswahl zu bestreiten“, zeigt sich Friedrich Merz selbstbewusst. An Neuwahlen hat aber keiner der Ampel-Partner Interesse, das Ampel-Bündnis würde wohl hinweggespült. In den neuesten Umfragen kommen SPD, Grüne und FDP zusammen auf nur knapp 35 Prozent, während die AfD bei gut 20 Prozent liegt. Scholz wäre als Kanzler erledigt. Ein Einspringen der Union als kleiner Koalitionspartner erscheint aus der Sicht von CDU und CSU unattraktiv, schließlich hätten sie dann die Haushaltskatastrophe am Hals.
Was ist der Plan des Kanzlers? „Jede Zeit hat ihren Antworten“, sagte Scholz im September in einem Interview. Bald muss er sie geben.