Berlin. Bei der verheerenden Attacke der Terrorgruppe Hamas sind zahlreiche Israelis in den Gazastreifen verschleppt worden. Was bekannt ist.
Hamas soll zahlreiche Geiseln genommen haben
Darunter auch Festival-Teilnehmer
Von den Geiseln sind verstörende Videos aufgetaucht
Mehr als 300 Tote, rund 1600 Verletzte: Die verheerende Attacke der Hamas auf Israels Staatsgebiet hat enorme Opfer gefordert. Etliche schweben noch in Lebensgefahr. Und: Die Terrororganisation Hamas verschleppte zahlreiche Israelis in den Gazastreifen, darunter Frauen, Kinder und alte Menschen. Was ist über die Geiselnahmen bekannt?
Wie viele Geiseln hat die Hamas genommen?
Eine "signifikante" Zahl an israelischen Zivilisten und Soldaten werde als Geiseln im Gazastreifen gehalten, teilte der israelische Militärsprecher Jonathan Conricus mit. Unter den Verschleppten seien Kinder, Frauen, ältere und behinderte Menschen. "Das sind Zahlen, die bis jetzt unvorstellbar schienen", sagte Conricus der BBC. "Das wird den Verlauf dieses Krieges prägen."
Noch nie zuvor seien so viele Israelis in den Händen von Terroristen gewesen, sagte er. Dies erfordere eine angemessene Antwort Israels. Die Hamas selbst gibt die Zahl der Geiseln mit "mehreren Dutzend" an. Sie seien an verschiedene Orte im Gazastreifen gebracht worden. Inoffizielle Quellen sprechen gar von bis zu 750 israelischen Vermissten.
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Wie geht es den Geiseln?
Das ist pauschal nicht zu beantworten. Es kursieren verschiedene Videos, die aus dem Gazastreifen stammen. In einem ist eine gefesselte Frau zu sehen, die auf der Ladefläche eines Pickup-Trucks liegt. Ihre Hände sind hinter ihrem Rücken zusammengebunden, man erkennt Blut daran. Ein Mann schießt mit einer Pistole in die Luft. Er schreit "Allahu akbar" ("Gott ist groß") und zieht die Frau vom Truck. Er öffnet die Tür des Wagens und schiebt sie auf die Sitzfläche, wo offenbar noch andere bewaffnete Hamas-Kämpfer sitzen. Man hört die Frau gellend schreien.
In einem anderen Video, das auf der Plattform "X" (vormals Twitter") kursiert, ist eine Familie zu sehen, die offenbar von Hamas-Kämpfern entführt wurde. Die Eltern, ein etwa elfjähriges Mädchen und ein etwa siebenjähriger Junge sitzen auf dem Fußboden.
Den Angaben zufolge war eine weitere Tochter der Familie zuvor von den Terroristen getötet worden. Der Junge bricht in Tränen aus, als er begreift, dass seine Schwester tot ist. Raketen schlagen ein, der Alarm geht los. Die Familie legt sich flach auf den Boden. Während sie ausharren, umkreist sie ein Hamas-Kämpfer, in der Hand ein Gewehr. Die Szene wird offenbar von Hamas-Leuten aufgenommen.
Mindestens ein Soldat ist ebenfalls unter den Opfern, wie ein von CNN auf die Geodaten verifiziertes Video zeigt. Die Hamas hatte es auf ihren offiziellen Social-Media-Accounts verbreitet. Zu sehen ist, wie Hamas-Angreifer zwei sichtlich schockierte Soldaten aus einem defekten Panzer zerren. Einer der beiden wird zu Boden getreten; in der nächsten Szene liegt er regungslos da. All diese Videos und zahlreiche Fotos lassen den Schluss zu, dass die Geiselnehmer zumindest teilweise extrem brutal mit ihren Opfern umgehen. Um die Würde der Opfer zu schützen, werden die Bilder hier nicht gezeigt.
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Wo wurden Menschen als Geiseln genommen?
Die Opfer sind an etlichen Orten, vornehmlich im Süden Israels, als gefangen genommen worden. Bei einem Festival im Kibbuz Re'im wurden offenbar mehrere Menschen gekidnappt. Augenzeugen berichteten von Angreifern auf Motorrädern. Eine Frau sei von zwei Männern auf einem Motorrad festgehalten worden. Videos, die bislang nicht verifiziert werden konnten, zeigen die Szene. Ein später aufgetauchtes Video zeigt die Frau, wie sie offenbar in einem Raum in Gaza Wasser trinkt. Der Kibbuz Re'im ist ein Vorort der südisraelischen Stadt Ofakim, unweit von Gaza.
Sind auch Deutsche unter den Opfern?
Offenbar ja. Eine 22-jährige Frau mit deutschen Wurzeln soll bei dem Festival im Kibbuz Re'im verschleppt worden sein. Ihr Name ist Shani Louk, ihre Mutter Ricarda stammt aus Ravensburg (Baden-Württemberg) und lebt seit rund 30 Jahren in Israel. Mit einem Video wandte sich die Mutter an die Öffentlichkeit: Sie habe ihre Tochter anhand der langen braunen Dreadlocks und eines auffälligen Tattoos am Bein auf einem Video erkannt. In diesem liegt sie regungslos und nur in Unterwäsche auf der Ladefläche eines Pickups. Ob die junge Frau noch lebt, ist unklar. Dass sie in den Gazastreifen verschleppt wurde, scheint indes klar: Ihre Kreditkarte wurde dort nach Angaben ihrer Bank benutzt, wie die Mutter dem "Spiegel" sagte. Augenzeugen berichten von schrecklichen Szenen bei dem Festival.
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Wie könnte es für die Gefangenen weitergehen?
Israels Premierminister Benjamin Netanyahu sagte, Hamas sei für das Wohlergehen der Geiseln verantwortlich. Israel werde die "Rechnung begleichen mit allen, die ihnen Leid zufügen". Bislang galt für alle Geiseln aus Israel das Versprechen des Staates: Wir lassen euch nicht allein. In der Vergangenheit war das Land zu immensen Lösegeldern bereit, um die eigenen Staatsbürger wieder frei zu bekommen. Genau deshalb wird die Hamas versuchen, sie als Faustpfand zu benutzen, um einen hohen politischen Preis zu erpressen.
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Im Jahr 2006 war der damals 19-jährige Soldat Gilat Shalit gefangen genommen worden. Er harrte fünf Jahre lang als Geisel im Gazastreifen aus, ehe er im Oktober 2011 im Rahmen eines Gefangenenaustausches freigelassen wurde. Für Shalit ließ Israel mehr als 1000 palästinensische Gefangene frei.
Israel wird sich Befreiungsaktionen genau überlegen. Kommt es zu Stürmungs-Operationen, droht die Gefahr, dass die Geiseln von der Hamas getötet werden.
Unterdessen sagte ein Sprecher der Kassam-Brigaden, des bewaffneten Arms der Hamas, die Geiseln seien "an sicheren Orten und in Widerstandstunneln". Der Sprecher drohte: "Was den Menschen im Gazastreifen widerfährt, wird auch ihnen [den Geiseln] widerfahren."
Konnten die israelischen Streitkräfte bereits Geiseln befreien?
Außerhalb des Gazastreifens haben israelische Streitkräfte den Angaben zufolge in zwei Orten israelische Staatsbürger befreit. Im Kibbuz Be'eri seien Gefangene nach rund 18 Stunden in einem Speisesaal befreit worden, wie israelische Fernsehsender berichteten. Demnach seien rund 50 Personen vor Ort gewesen. (mja/mit Material von dpa)
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