Berlin. Die Maya hinterließen Schätze und Bauten im Urwald von Mexiko. Ein deutscher Archäologe sieht durch ein teures Megaprojekt Gefahr aufziehen.
- Archäologen wollen das wertvolle Erbe der Maya in Südmexikos schützen
- Doch ein Megaprojekt für Touristen gefährdet weitere Grabungen
- Ein deutscher Forscher sieht „katastrophale Folgen“
Italien, Griechenland, Ägypten – es gibt Länder auf der Welt, in denen Archäologie und Tourismus besonders eng miteinander verknüpft sind. Auch in die Region der frühen Maya im Süden Mexikos und der angrenzenden Länder Guatemala und Belize zieht es jedes Jahr Millionen Reisende. Die Voraussetzungen dort sind jedoch gänzlich anders als in den drei Mittelmeerstaaten. Das liegt vor allem am dichten Regenwald, der dort wächst.
Der Archäologe und Kulturanthropologe Nikolai Grube von der Universität Bonn sagt im Gespräch mit dieser Redaktion: „Es ist eine Kulturlandschaft, die unter diesem Urwald erhalten und verborgen ist. Und der Urwald stellt so eine Art von Schutz dar für diese weltweit einzigartige Kulturlandschaft.“
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Archäologie: Schnellzug bringt Touristen bald zu Maya-Stätten mitten im Urwald
Doch der Regenwald, und somit die archäologischen Stätten darunter, sind bedroht – und das vor allem auch durch einen immer größer werdenden Tourismus in der Region. Die Vorgänger der aktuellen mexikanischen Regierung sahen zuletzt viel Nachholbedarf, um die Wirtschaft im entlegenen Süden voranzubringen.
Ein gigantisches Infrastrukturprogramm sollte es deshalb unter anderem den Touristen der gut besuchten Karibik-Küste auf der Halbinsel Yucatán möglich machen, unkompliziert und im hochmodernen Zug mit 160 km/h zu den alten Maya-Stätten im Urwald zu fahren: im sogenannten Maya-Train. Die Zugverbindung, die über 1554 Kilometer eine Art Rundkurs zunächst den Küstenverlauf der Halbinsel Yucatán nachzeichnet, um sie dann im Süden quer durch den Urwald im Landesinneren zu durchschneiden, ist in großen Teilen fertiggestellt.
Aber das Projekt ist immer noch umstritten – vor allem unter Forschern. Grube sagt: „Die Regierung will entlang dieser Strecke eben auch sekundäre Industrien wie zum Beispiel Hotels und Restaurants etablieren sowie Güter schneller transportieren. Da spielt der Erhalt des Regenwalds natürlich keine Rolle.“
Maya-Train: Archäologen über Schneisen im Urwald erfreut und frustriert
Grube ist einer der führenden Altamerikanisten weltweit, er arbeitet seit mehreren Jahrzehnten im Verbreitungsgebiet der Maya. Der Bonner Wissenschaftler führte über viele Jahre Ausgrabungen in Uxul durch – einer Siedlung, die sich offenbar in der sogenannten Präklassik (mittlere und späte Präklassik: 900 v. Chr. bis 250 n. Chr.) entwickelte und während der klassischen Maya-Phase (250 bis 900 n. Chr.) zu einem eigenen Stadtstaat mit Palästen und Pyramidentempeln entwickelte.
Die alte Maya-Stätte liegt im Zentrum der Halbinsel Yucatán in Mexiko an der Grenze zu Guatemala und damit zwischen den ehemaligen Maya-Großmächten Calakmul 29 Kilometer im Norden und Tikal rund 80 Kilometer im Süden. 2005 hatte Grubes Kollege Ivan Ṡprajc aus Slowenien die alte Maya-Siedlung wiederentdeckt, die nach der ersten Entdeckung 1936 wieder in Vergessenheit geraten war. 2009 begann Grube mit seinen Ausgrabungen. Die letzten 20 Kilometer bis Uxul mussten sich die Archäologen durch den dichten Regenwald in dem Naturschutzgebiet mit einer Machete freischlagen.
Der Maya-Train verläuft rund hundert Kilometer nördlich von Uxul. „Wenn man jetzt nur aus der archäologischen Perspektive guckt, ist das natürlich ein sehr interessantes Projekt“, sagt Grube. „Denn durch die Schneisen, die da in den Wald geschlagen werden, werden zahlreiche archäologische Stätten zum ersten Mal gesehen, dokumentiert und zugänglich gemacht.“ Bei dem Projekt seien auch viele Archäologen dabei, die Rettungsgrabungen durchführen, so der Wissenschaftler.
Archäologen mit Bauarbeitern im Wettlauf um wertvolle Funde
Rettungsgrabungen tragen ihren dramatisierenden Namen nicht umsonst. Sie gelten als die letzte Möglichkeit, einen Fund wissenschaftlich zu untersuchen, bevor Bagger und Bauarbeiter das Erdreich durchpflügen – vor allem beim Bau von Zugstrecken, Straßen, Autobahnen und Pipelines. Für die Archäologen geht es dabei vor allem um Geschwindigkeit. Erst, wenn sie fertig sind, werden die Bauarbeiten fortgesetzt.
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Und die Rettungsgräber hatten Erfolg: Beim Bau des Maya-Trains wurde im März 2023 nahe der Maya-Stätte Palenque im Bundesstaat Chiapas eine Grabkammer mit einem vollständigen menschlichen Skelett gefunden. In einer zweiten Kammer fanden die Archäologen Grabbeigaben, zum Beispiel Teller und Figuren aus grünem Stein.
Im Oktober 2021 fanden Archäologen ein Kanu in der Nähe der berühmten Ruinenstadt Chichén Itzá, als sie bei Bergungsarbeiten entlang der Zugstrecke in einem sogenannten Cenote tauchten. Diese mit Süßwasser gefüllten Felslöcher und Höhlen kommen in der Region häufig vor. Sie sind oft über natürliche Tunnel miteinander verbunden und waren den damaligen Maya heilig. Das Boot galt bei der Entdeckung als das erste seiner Art, das vollständig und gut erhalten war.
„Durch Erschütterungen des Maya-Trains zerstört“: Deutscher Archäologe bangt
„Aber natürlich sind das nur Rettungsgrabungen und keine systematischen Dokumentationen“, sagt Grube. Denn auf der anderen Ebene komme natürlich der Aspekt der Zerstörung dazu – „gerade in Yucatán“, so der Wissenschaftler. Die Schneise für die Zugstrecke führe über zahlreiche Karsthöhlen und über Höhlengebiete, die es in der Region reichlich gibt und in denen sich wichtige archäologische Hinterlassenschaften befinden. „Und diese werden durch die Erschütterung des Maya-Trains zerstört.“
Langzeituntersuchungen wie in Uxul sind mit Rettungsgrabungen unmöglich. Die Bonner Wissenschaftler um Grube untersuchten zum Beispiel auf mehreren Kampagnen von 2009 bis 2015 aufwendig die Bewässerungsanlagen der Stadt mit ihren künstlich angelegten Seen, die es in der Blütezeit der Stadt rund 8000 Menschen möglich machte, auch die jährliche Trockenzeit im Regenwald von Februar bis Mai zu überstehen. Das nennt man archäologische Feldforschung. Die Ergebnisse aus Uxul lieferten einen wichtigen Beitrag zur Erforschung der Wasserversorgung in den Maya-Gebieten.
Im Palastkomplex von Uxul entdeckten die Forscher darüber hinaus Relieftafeln, die die Könige beim Ballspielen zeigen – bei den Maya damals ähnlich populär wie heute bei den Menschen Fußball. Dazu stießen sie auf die Bestattung eines Maya-Prinzen, konnten aus den Hieroglyphen die politische Stellung der Stadt zwischen den Großmächten Calakmul und Tikal herauslesen.
Im Jahr 2013 fanden sie ein Massengrab in bemerkenswerten Zustand, mit Knochen von 24 Menschen, die geköpft und zerstückelt worden waren. Das Grab gibt einen selten klaren Einblick in die rituelle Gewalt der Maya. Das Grab wird nach wie vor wissenschaftlich bearbeitet.
Archäologen stoßen im früheren Maya-Reich auf immer neue Entdeckungen
Solche unentdeckten Stadtanlagen sind laut Grube durch den Maya-Train gefährdet. Man muss davon ausgehen, dass es noch immer welche gibt zwischen den dichten Bäumen und Sträuchern. Denn immer wieder gelingen Archäologen neue Entdeckungen. Zuletzt stießen Forscher des Nationalen Instituts für Anthropologie und Geschichte (INAH) Mexikos um Ivan Ṡprajc 2023 im Naturschutzgebiet Balamkú im Bundesstaat Campeche auf die rund 50 Hektar große Siedlung Ocotun, von der bis dahin noch niemand wusste.
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Sie fanden zunächst Hinweise auf die Stadt auf Luftbildern, dann untersuchten sie den Ort per LiDAR (Light Detection and Ranging) – also mit Laserscannern, die an Drohnen oder Hubschraubern hängen und die bis unter das Blattwerk der Bäume und Sträucher reichen.
„Katastrophale Folgen auf mittlere und lange Sicht“: Touristen-Schnellzug im Kreuzfeuer
Der Maya-Zug gefährde jedoch nicht nur diese archäologischen Stätten, so Grube. Hinzu komme – so argumentieren auch Kritiker aus unterschiedlichsten Disziplinen – „der generelle Aspekt der Erschließung und Zerstörung des Regenwalds“. Dieser habe „katastrophale Folgen auf mittlere und lange Sicht für das gesamte Ökosystem“. Es komme mit dem Bau des Maya-Trains eben auch zu einer Zunahme von Tourismus. „Und weder die archäologischen Stätten noch die Dörfer, die an dem Train liegen, sind auf den Tourismus vorbereitet, für den massiven Tourismus, der dort angedacht ist“, sagt Grube.
Es geht in Mexiko darum, durch die Bekanntheit der Maya und spektakuläre Funde der Archäologen den Tourismus im Land anzukurbeln. „Das ist auf jeden Fall richtig“, sagt Grube. „Das ist einer der Faktoren, der hier eine zentrale Rolle spielt. Und das unterscheidet sich nicht von Ländern wie Ägypten, Italien oder Griechenland. Die Archäologie findet hier jedoch in einem besonderen Spannungsfeld der Politik statt. „Wir leben nicht im luftleeren Raum“, sagt Grube.