Rom. Nach dem Untergang der „Bayesian“ vor Sizilien sind die Untersuchungen zur Unglücksursache angelaufen. Es gibt einige Ungereimtheiten.

Die Bergungsarbeiten an der vor Palermo gesunkenen Luxusyacht „Bayesian“ kommen nur schleppend voran. Denn Meerestiefe und technische Schwierigkeiten machen den Einsatzkräften in Italien zu schaffen. Gleichzeitig mehren sich die Spekulationen um die Hintergründe des Unglücks. Die wohl drängendste Frage: Wie ist es möglich, dass das hochmoderne Segelschiff sinken konnte, während in nur hundert Meter Entfernung ein viel kleineres Boot, die „Sir Roberto Baden Powell“ des Hamburger Skippers Karsten Börner, dem Unwetter standhalten konnte?

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„Es ist rätselhaft, dass ein so gut ausgestattetes und modernes Schiff so schnell gesunken ist“, betonte Admiral Giuseppe De Giorgi, ehemaliger Generalstabschef der italienischen Marine, gegenüber der Nachrichtenagentur ADNKronos. „Genau das ist das Merkwürdige an diesem Unglück.“

Die Ermittler prüfen derzeit ein Video, das von der Überwachungskamera einer Villa aufgezeichnet wurde. Darauf ist die Bucht zu sehen, in der die „Bayesian“ vor Anker lag. Das Video zeigt, wie die Lichter des Segelschiffs innerhalb von nur 60 Sekunden in der Dunkelheit erlöschen. Der deutsche Kapitän Karsten Börner, der 15 der 22 Schiffbrüchigen aus dem Wasser gerettet hatte, berichtete dieser Redaktion, „wie die ‚Bayesian‘ mit ihrem 75 Meter hohen Mast unter dem Sturm zuerst umkippte und dann sank.“

„Bayesian“: Behörden sammeln erste Erkenntnisse zum Untergang

Dabei erfüllte die „Bayesian“, ein Juwel der italienischen Schiffsindustrie, laut Experten alle Voraussetzungen, um auch sehr starken Winden und Unwettern standzuhalten. Nun liegt sie auf rund 50 Metern Tiefe. Taucher hatten es am Mittwochvormittag geschafft, ins Innere des Schiffs vorzudringen. Aus Expertenkreisen heißt es, der 75 Meter hohe Hauptmast – der höchste Aluminiummast der Welt – sei intakt, der Rumpf weise keine Lecks auf, die Luken seien geschlossen, die Fenster unbeschädigt. Das soll die Küstenwache von Palermo festgestellt haben. Von behördlicher Seite sind die Erkenntnisse aber noch nicht offiziell bestätigt.

Die „Bayesian“ war über 50 Meter lang und für elf Passagiere und zehn Crewmitglieder ausgelegt.
Die „Bayesian“ war über 50 Meter lang und für elf Passagiere und zehn Crewmitglieder ausgelegt. © Perini Navi | Perini Navi

Die naheliegende Vermutung, dass der Mast gebrochen und die „Bayesian“ deshalb Schlagseite bekommen haben könnte, konnte sich so bisher nicht bestätigen. „Das Boot hat dem schweren Sturm Stand gehalten“, behauptet auch die „Italian Sea Group“, Eigentümerin der toskanischen Reederei Perini, die die „Bayesian“ 2008 gebaut hat. Andrea Ratti, Professor am Mailänder Polytechnikum, sagte der Mailänder Zeitung „Corriere della Sella“: „Theoretisch ist es sehr schwierig, dass ein Mast bricht, selbst ein so großer wie jener der ‚Bayesian‘.“

Yacht-Unglück: Menschliches Versagen nicht auszuschließen

Aber warum ist das Schiff dann gesunken? Eine der Hypothesen, die von den zuständigen Staatsanwälten in Termini Imerese geprüft werden, ist, dass die Wucht der Wellen so stark war, dass das bordeigene Notfallsystem der Yacht nicht rechtzeitig griff und das Schiff nicht „versiegelte“, sodass die Wassermassen eindringen konnten.

Die Untersuchungen sollen auch zeigen, ob womöglich menschliches Versagen zum Untergang des Bootes geführt haben könnte. Ein Experte am Unglücksort, der nicht namentlich genannt werden wollte, äußerte gegenüber der Nachrichtenagentur ANSA eine ähnliche Vermutung, die aktuell geprüft werde: Möglicherweise blieb der Besatzung keine Zeit, die Zugangsluken zum Schiff zu schließen. Nicht ausgeschlossen sei auch, dass die Klimaanlage defekt und die Luken deshalb trotz schlechtem Wetter geöffnet waren. Auch dadurch könnte beim starken Wellengang Wasser eingedrungen sein.

Trotz Unwetterwarnung ankerte die „Bayesian“ in der Nacht auf Montag vor dem Hafen Ponticello. Angesichts der Wetterlage hätte sie näher an der Küste oder gar im Hafen vor Anker gehen können, wie Rosario Marretta, Professor für Flüssigkeitsdynamik an der Universität Palermo in den italienischen Medien erklärte: „Kapitäne von Segelyachten mit besonders hohen Masten versuchen, sich aus der Gefahrenzone zu entfernen, wenn starker Wind vorhergesagt wird.“

15 der 22 Passagiere haben den Untergang des Segelbootes überlebt. Ein Mann wurde tot geborgen, sechs Menschen werden weiterhin vermisst.
15 der 22 Passagiere haben den Untergang des Segelbootes überlebt. Ein Mann wurde tot geborgen, sechs Menschen werden weiterhin vermisst. © AFP | ALBERTO PIZZOLI

Warum das nicht geschehen ist, ist bisher ebenfalls unklar. Der Kapitän der „Bayesian“ hatte gegenüber der Zeitung „La Repubblica“ angegeben: „Wir haben es nicht kommen sehen.“ Neun der zehn Besatzungsmitglieder haben das Unglück überlebt. Der aus den Antillen stammende Bordkoch konnte nur noch tot geborgen werden. Die Umstände seines Todes sind ebenfalls Gegenstand der Untersuchungen.

Yacht-Besitzer nur wenige Monate vorher freigesprochen

Die Staatsanwaltschaft hat alle 15 Überlebenden des Unglücks in einer Hotelanlage in Santa Flavia nahe Palermo befragt. Auch ein Krisenteam soll vor Ort sein. Die Ermittlungen nehmen auch die sechs Vermissten in den Blick. Zu ihnen zählt neben dem Tech-Multimillionär Mike Lynch und seiner 18-jährigen Tochter auch der Präsident von Morgan Stanley International, Jonathan Bloomer, sowie Lynchs Anwalt Chris Morvillo, und deren Ehefrauen. Lynch war im Juni in den USA von Betrugsvorwürfen rund um den Verkauf seiner Software-Firma Autonomy freigesprochen worden.

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Mit dem Segeltörn vor Italien wollte Lynch mit Freunden und Weggefährten seinen Freispruch feiern. Doch einer fehlte bei der Tour: Lynchs Mit-Angeklagter und ehemaliger Finanz-Manager bei Autonomy, Stephen Chamberlain. Er war nur zwei Tage vor dem Schiffsunglück in seiner Heimat England ums Leben gekommen. Ein Auto hatte ihn beim Joggen erfasst und tödlich verletzt. Wie Lynch hatte das US-Gericht auch Chamberlain im Juni von allen 15 Vorwürfen des Betrugs freigesprochen.