Berlin. Der Meeresboden gilt als einer der mysteriösen Orte unserer Erde. Australische Forscher setzen jetzt sogar Tiere als Entdecker ein.
Tiefe Weiten unter der Meeresoberfläche, verspielte Fische, ungeahnte Einblicke in das Leben der Meeresbewohner: Das 90-stündige Filmmaterial, das einige mehr als nur ungewöhnliche Kameraleute in Australien zusammengebracht haben, ist für einen der beteiligten Forscher „das beste Slow TV überhaupt“, wie er gegenüber lokalen Medien sagte. „Für jemanden, der vom Meer völlig fasziniert ist, war das ein Traum“, schrieb ein Kollege in einer E-Mail.
Doch die Seelöwen, die mit einer Kamera ausgestattet wurden, haben eine klare Mission. Sie sollen die Wissenschaftler nicht unterhalten, sondern ihnen dabei helfen, den bisher weitestgehend unerforschten Meeresboden rund um die Kangaroo und die Olive Island südlich des australischen Festlandes zu kartografieren.
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„Die Meeresböden der Welt sind wenig erforscht, und unser Wissen ist lückenhaft“, erklärten die Forscher der University of Adelaide in einem Begleittext zu ihrer im Fachmagazin „Frontiers in Marine Science“ veröffentlichten Studie. Letzteres bestätigt auch die US-Wetterbehörde NOAA. Demnach seien bis Juni dieses Jahres erst 26,1 Prozent des globalen Meeresbodens mit moderner hochauflösender Technologie kartiert worden.
Australien: Forscher versprechen sich besseres Verständnis für Meer und Tier
Das Filmmaterial, das die acht Australischen Seelöwen (Neophoca cinerea) sammelten, half den Wissenschaftlern letztendlich, 5000 Quadratkilometer Meeresboden zu kartieren. Neben der Erforschung des Meeresbodens ging es aber auch darum, ein besseres Verständnis dafür zu entwickeln, wie Seelöwen die verschiedenen Lebensräume nutzen und wie Menschen diese Ökosysteme besser schützen können. Denn die Australischen Seelöwen sind eine vom Aussterben bedrohte Art, deren Zahlen in den letzten 40 Jahren um mehr als 60 Prozent zurückgegangen sind.
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Die Bilder brachten felsige Riffe und Seegraswiesen zum Vorschein und zeigten, welches Habitat die Seelöwen bevorzugen, aber auch einige ihrer Vorlieben. So konnte man erkennen, dass manche Seelöwen ganz offensichtlich lieber Fische fressen, während andere eine speziellere Vorliebe haben und nach kleineren Haien, Stachelrochen oder Tintenfisch suchen.
Fasziniert waren die Forschenden auch von den unterschiedlichen Strategien, die die Tiere bei der Jagd zum Einsatz brachten, wie das Umwerfen von Steinen, das Ausgraben von Sand oder das einfache Sitzen und Abwarten. „Wir hatten auch das Glück, Aufnahmen einer Mutter zu machen, die ihre Welpen auf einen Ausflug aufs Meer mitnimmt“, berichtete Studienleiter Nathan Angelakis, ein Doktorand an der University of Adelaide. Dies habe erstmals einen direkten Beweis dafür geliefert, dass Australische-Seelöwen-Mütter ihre Fähigkeiten zur Nahrungssuche an ihre Welpen weitergeben.
Tiere sind besser als jede Technik
Bisher wurden für Studien eher ferngesteuerte Unterwasserfahrzeuge sowie Schlepp- und Abwurfkameras von Schiffen aus eingesetzt, um hochauflösende Video- und Bilddaten zu sammeln und eine detaillierte Kartierung und Vermessung des Meeresbodens zu ermöglichen. „Allerdings sind diese schiffsbasierten Untersuchungen kostspielig, zeit- und personalintensiv und hängen von geeigneten Wetterbedingungen ab“, schrieben die Forschenden. Dies würde die Kartierung großer Flächen zu einer Herausforderung machen.
Stattdessen mit Seelöwen zu arbeiten biete „einzigartige Vorteile“, da vom Ufer aus mit wenig Personal und relativ geringen Kosten gearbeitet werden könne und Einsätze weniger abhängig von den Wetterbedingungen seien. Zudem könnten Videos aus Tiefen, Lebensräumen und Meeresgebieten gesammelt werden, die mit konventionelleren Methoden nur schwer oder gar nicht zugänglich seien.
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Um die Tiere mit kleinen Kameras und Sensoren auszustatten, die ihre Geschwindigkeit wie auch ihren jeweiligen Standort übermitteln, verabreichten die Forschenden den Seelöwen über eine Atemmaske ein leichtes Betäubungsmittel. Im Anschluss wird die Kamera selbst auf ein Stück Stoff geklebt, das dann mit Harz auf dem Fell des Seelöwen befestigt wurde. Als die Tiere dann nach ein paar Tagen wieder zu ihren Jungen an Land zurückkehrten, entfernten die Forschenden die Geräte wieder. Der Stoff bleibt auf dem Fell und fällt bei der nächsten Mauser (Fellwechsel) ab.
Strenge Sicherheitsmaßnahmen zum Schutz der Tiere
Olaf Meynecke, ein deutscher Walforscher an der australischen Griffith University, der nicht an der Studie beteiligt war, aber mit den wissenschaftlichen Methoden vertraut ist, bestätigte in einer E-Mail, dass die Geräte „in der Regel sehr leicht“ seien und weniger als 400 Gramm wiegen würden. „Sie dringen nicht in die Haut ein“, sagte er. Verletzungen seien nicht bekannt. „Sie werden nach strengen ethischen Standards angebracht – Ziel ist es, das natürliche Verhalten der Seelöwen zu studieren.“ Die Tags seien nicht mit invasiven Satellitentags zu verwechseln, die zum Beispiel bei Walen in das Gewebe geschossen würden.
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Dass sich Wissenschaftler tierischer Helfer bedienen, ist übrigens nicht ganz neu. 2016 versuchte eine Studie mit See-Elefanten in Australien herauszufinden, wie das schmelzende Eis die Tiefen des Ozeans verändert. Dafür wurden See-Elefanten, die in der Region leben, mit Satellitentags ausgerüstet. Unter anderem zeigten die Daten, die von ihnen übermittelt wurden, dass das Wasser aus der Eisschmelze das dichtere Wasser in der Tiefe verdünnt. Dies ließ die Befürchtung aufkommen, dass eine weitere Erwärmung und verstärkte Eisschmelze irgendwann sogar die Meeresströmungen verändern könnte.