Berlin. Der Ballermann auf Mallorca steht für Party und Alkohol. Doch warum verlieren die Deutschen dort alle Hemmungen? Ein Experte ordnet ein.
- Mallorca gilt als die beliebteste Insel der Deutschen
- Viele reisen vor allem auf das spanische Eiland, um dort Party zu machen
- Ein Experte erklärt, warum es auf der Insel immer wieder zu Exzessen kommt
Karneval, aber an 365 Tagen im Jahr – der „Ballermann“ auf Mallorca ist als Partymeile XXL verschrien. Sauftourismus, Schlägereien, sexuelle Übergriffe oder tödliche Balkonstürze, Müll und Lärm beschädigen das Image der beliebten Insel immer mehr.
Mit ihren Protesten lenken die Einheimischen den Blick auf die Auswüchse des Massentourismus. Doch am Verhalten ändert das nicht viel. Wie kommt es, dass Party-Touristen gerade auf Mallorca so unangenehm auffallen? Johannes Ullrich leitet die Fachrichtung Sozialpsychologie an der Universität Zürich und forscht zu Gruppenprozessen. Im Interview erklärt er, warum der Urlaub uns dazu verleitet, über die Stränge zu schlagen und wieso wir uns manchmal für unsere Landsleute fremdschämen.
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Warum benehmen wir uns im Urlaub anders als zu Hause?
Johannes Ullrich: Der Reiz am Urlaub ist ja, dass wir aus unseren Routinen ausbrechen. Nur ist der Mensch ein Gewohnheitstier – im guten wie im schlechten Sinne. Unsere Gewohnheiten sind an Umgebungsreize geknüpft. Wenn aber die Reize wegfallen, die eigentlich für unser gutes Verhalten zuständig sind – also beispielsweise, früh ins Bett zu gehen, nicht noch ein Glas Alkohol zu trinken – kann das dazu führen, dass sich neue „schlechte“ Verhaltensweisen durchsetzen. Anders gesagt: In ungewohnten Umgebungen zeigen Menschen ungewohntes Verhalten.
Ungewohnt bis unverschämt, wenn es um Ballermann-Touristen geht, die an Hauswände pinkeln. Warum benehmen sie sich gerade auf Mallorca so daneben?
Ullrich: Es ist wichtig zu betonen, dass es sich hier immer um Individuen handelt, die von der Norm abweichen – und das haben sie wahrscheinlich auch zu Hause schon getan. Mallorca ist unter den schönen Destinationen im warmen Süden relativ bekannt und relativ erschwinglich. Das ergibt natürlich eine Schnittmenge mit Leuten, die sich auch anderswo danebenbenehmen. Sie zeigen eine gewisse Bereitschaft oder sie haben vielleicht sogar Lust darauf und suchen sich eine Umgebung, in der sie das tun können.
Fehlverhalten im Mallorca-Urlaub: „Die Gruppe gibt eine gewisse Sicherheit“
Hinter dem Partytourismus steckt natürlich eine riesige Industrie, aber gibt es für die Entstehung solcher Orte auch eine sozialpsychologische Erklärung?
Ullrich: Das ist ein sich selbst verstärkender Prozess. An den Orten, an denen eine gewisse Masse ihren Urlaub verbringt, findet ein Experimentieren statt. Und dann gibt es auch noch mehr extremes Verhalten, gerade wenn Alkohol und Drogen im Spiel sind. Man muss sagen: Es ist recht selten, dass sich Menschen danebenbenehmen, aber wenn man eine große Zahl beobachtet, wird man auch erschreckend viele von ihnen finden.
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Die wenigsten fahren alleine nach Mallorca, meist feiern am Ballermann ganze Sportvereine oder Junggesellenabschiede. Welche Rolle spielt die Gruppendynamik?
Ullrich: Gruppen haben einen Anregungsmechanismus, das heißt, sie können gutes wie schlechtes Verhalten verstärken. Jeder von uns überlegt sich: Wie viel von dem, was in mir steckt, ist akzeptabel, was kann ich rauslassen? Und da sind natürlich die anderen Hinweisgeber: Wenn die anderen sich so verhalten, kann ich das auch. Außerdem bietet die Gruppe am Urlaubsort auch eine gewisse Sicherheit. Man geht dorthin mit Gleichgesinnten. Und diejenigen, die uns zurechtweisen würden – wie der Nachbar am Gartenzaun, wenn zu laut gefeiert wird – sind weit weg.
Den Begriff Gruppenzwang kennt man eher aus der Schule – aber besteht nicht auch im Partyurlaub die Gefahr, dass wir in der Gruppe Dinge tun, die wir alleine nicht tun würden?
Ullrich: Als Teil einer Gruppe orientieren wir uns an einer Gruppennorm, das bedeutet aber nicht unbedingt Zwang. Wenn sich die einzelnen Mitglieder in ihrem Verhalten ähneln, kann das sogar als angenehm empfunden werden. Denn wenn wir das machen, was die anderen machen, werden wir als Gruppenmitglied anerkannt.
Exzesse im Urlaub – nicht nur Sache der Jüngeren
Am Ballermann ist der Altersdurchschnitt relativ gering, aber immer wieder sieht man auch den ein oder anderen Familienvater, der sich aufführt wie mit 20. Wie erklärt sich das?
Ullrich: Es gibt gewisse biografische Marker, die Leute dazu anregen, es besonders lustig zu treiben: Volljährigkeit oder Studium zum Beispiel. Solche Marker gibt es aber natürlich auch später in der Lebensmitte: der runde Geburtstag oder auch einfach die Midlife-Crisis. In dieser Phase steckt man schon mittendrin in Beziehung, Arbeit, Familie und das kann mitunter auch unglücklich machen. Wenn man dann in den Party-Urlaub fährt, nimmt man nicht alle mit, vielleicht ist die Ehefrau nicht dabei und schon gar nicht der nervige Nachbar. Und das kann natürlich dazu führen, dass das, was sich so aufgestaut hat, rauskommt.
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Gibt es Unterschiede zwischen Männern und Frauen, was das Urlaubsverhalten angeht?
Ullrich: Da bin ich kein Experte, aber überlegen wir doch mal, was wir über Umgebungsreize, Gruppenprozesse und individuelle Unterschiede gesagt haben – warum sollte das bei Frauen und Männern unterschiedlich wirken?
Was ist mit den verschiedenen Nationalitäten? Nicht nur die Deutschen fallen auf Mallorca immer wieder auf, auch die Engländer oder Niederländer gelten als Feier-Nationen. Sind das nur Klischees?
Ullrich: In erster Linie sind das Stereotype, ja. Wir nehmen an, dass es Unterschiede gibt zwischen Kulturen in Bezug auf ein sehr spezifisches Verhalten. Aber wie oft haben wir überhaupt die Gelegenheit, so etwas zu beobachten? Die Deutschen stellen auf Mallorca eine der größten Touristenfraktionen dar. Das heißt, es gibt einfach mehr Gelegenheiten, von ihnen normabweichendes Verhalten zu beobachten. Ähnlich ist es bei den Engländern. Würde man 100 Slowenen, 100 Deutsche und so weiter vergleichen, würde man vermutlich gar nicht so viele Unterschiede feststellen.
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„Der Kunde ist König“: Diese Rolle spielen Erwartungshaltungen beim Urlaubsverhalten
Warum schämen wir uns eigentlich manchmal fremd, wenn wir andere Deutsche im Urlaub sehen, wie sie Strümpfe in Sandalen tragen oder Liegen mit Handtüchern reservieren?
Ullrich: Im Ausland ist uns noch bewusster, wo wir herkommen, wir fühlen uns zum Beispiel als Deutsche. Damit einhergehen kann Stolz und Schrankenlosigkeit, aber auch Scham aufgrund des Verhaltens anderer aus unserer Gruppe. Wir denken: Na, was werden die anderen Gruppen jetzt über uns sagen? Das bekommen wir oft genug in den Nachrichten gespiegelt: Deutsche sind im Ausland nicht mehr so gern gesehen.
Der Kunde ist König und „Malle ist nur einmal im Jahr“. Welche Rolle spielen derlei Erwartungshaltungen beim Urlaubsverhalten?
Ullrich: Sie können Tendenzen, die schon vorherrschen, noch verstärken. Zum Beispiel die Torschlusspanik am letzten Abend oder die Mentalität: „Ich habe gezahlt, jetzt möchte ich auch gut bedient werden.“ Auch das würde ich allerdings einordnen in die Kategorie: Unterschiede zwischen Menschen. Wer sich beim „All you can eat“ nichts entgehen lässt oder vorm Urlaub das Kleingedruckte prüft, damit er ja zu seinem Recht kommt, würde sich auch zu Hause so verhalten.
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Was können wir tun, wenn der Vater das Hotelpersonal schlecht behandelt oder uns der betrunkene Kumpel im Malle-Urlaub unangenehm ist?
Ullrich: Die Leute freundlich darauf aufmerksam machen, dass man sich damit unwohl fühlt. Oft funktioniert das nicht, gerade, wenn die Leute alkoholisiert sind. Aber den Versuch sollte man trotzdem unternehmen. Wenn man mal kurz in die Runde schaut und merkt, andere sind auch schockiert, kann man denjenigen als Notlösung auch zusammen aufs Zimmer bringen. So überlässt man das Problem zumindest nicht den Einheimischen.
Und wie verhalten wir uns selbst, um den Einheimischen nicht zur Last zu fallen?
Ullrich: Was immer hilft, ist die Frage: Wie würde ich reagieren, wenn ich in der Rolle des anderen wäre und mit ansehen müsste, wie Touristen sich respektlos verhalten? Diese Fähigkeit, mal die Perspektiven zu tauschen, kann man allerdings nicht bei allen Menschen voraussetzen.