Berlin. Die neuen Folgen von „Blind ermittelt“ führen in eine von Klüngeln geprägte Gesellschaft Wiens. Was das mit Hochmair selbst zu tun hat.
Mit der Krimireihe „Blind ermittelt“ (2. und 9. Mai, 20. 15 Uhr in der ARD) ist der österreichische Schauspieler Philipp Hochmair mittlerweile eine feste Größe in der deutschsprachigen TV-Landschaft. Diesen Sommer gerät der 50-Jährige noch mehr in den Fokus, denn er wird die prestigeträchtige Hauptrolle im Traditionsstück „Jedermann“ in Salzburg spielen. Der wohlhabende Jedermann trifft darin auf seinen Schöpfer und den Tod.
All diese Rollen passen zur persönlichen Lebensphilosophie von Hochmair: Er setzt sich intensiv mit der Endlichkeit des Daseins auseinander. Im Interview erklärt der Schauspieler, warum ihm der Tod eines türkischen Schauspielers kürzlich sehr naheging und wieso es in Wien so viele Gerüchte um seine Karriere gibt.
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Philipp Hochmair: Gerüchte haben etwas Schöpferisches
Die neuen Folgen von „Blind ermittelt“ führen in die Wiener Gesellschaft, deren Welt von Klüngeln und Interessencliquen geprägt scheint. Mussten Sie als erfolgreicher österreichischer Schauspieler eigentlich auch Teil solcher Gefälligkeiten werden?
Philipp Hochmair: Als ich 2004 ans Burgtheater kam, munkelte man, mein Erfolg wäre ohne politische Protektion nicht möglich gewesen. Dabei bin ich seinerzeit gemeinsam mit dem Regisseur Nicolas Stemann engagiert worden, nachdem wir einen sehr erfolgreichen „Hamlet“ in Hannover gemacht hatten. Ein anderes Beispiel ist jetzt meine Nominierung als neuer Jedermann in Salzburg. Ich wurde aus einer Reihe von Kandidaten vom Regisseur ausgewählt und war von der Entscheidung genauso überrascht wie alle anderen.
Diese Gerüchteküche ist schon typisch für Österreich und speziell für Wien. Aber es ist ja auch toll hier. Es ist ein guter Nährboden für Kreativität. Eine Gerüchteküche ist auch etwas sehr Schöpferisches. Die Österreicher lieben ihre Schauspieler und wollen eben auch alles über sie wissen. Was man nicht in Erfahrung bringen kann, wird einfach erfunden.
Hochmairs Musik half einem Kollegen vor dem Tod
Georg Kreisler sang einst schon „Der Tod, das muss ein Wiener sein“. Stücke wie der „Jedermann“ und die „Blind ermittelt“-Krimis sind von der Auseinandersetzung mit der Sterblichkeit geprägt. Inwieweit beschäftigen Sie sich persönlich mit dem Thema?
Hochmair: Schon erstaunlich lange. Seit ich 23 bin, toure ich mit Goethes „Werther“, wo sich der Protagonist am Ende bekanntlich erschießt. Mein zweites Monodrama war „Der Prozess“ von Kafka. Auch da geht es ums Sterben. Liebe und Tod sind die wichtigsten Themen der dramatischen Literatur, und ich bin sehr dankbar, dass ich mich durch meine Arbeit so kreativ damit auseinandersetzen kann. Wir Menschen neigen dazu, den Tod zu verdrängen und auszublenden, aber die Kunst führt uns immer wieder hinters Licht.
Was gibt es Ihnen, wenn Sie sich künstlerisch mit dem Tod auseinandersetzen?
Hochmair: Ich habe mit meiner Band das Album „Jedermann Reloaded“ produziert, in dem ich Hofmannsthals Stück vom Leben und Sterben des reichen Mannes als Monolog mit Rockmusik vertont habe. Ein bekannter türkischer Schauspieler, der tragischerweise mittellos in einem Hospiz sterben musste, hat unsere Aufnahme in seinen letzten Wochen bekommen und sich mit dieser Musik auf den Tod vorbereitet.
Das ist mir sehr nahegegangen, und es war für mich eine Bestätigung, dass unsere sehr eigenwillige Interpretation einen Sinn hatte. Ich bin nicht dafür gemacht, in einem starren Arbeitsverhältnis zu funktionieren. Vielmehr möchte ich mich mit dem beschäftigen, was mir persönlich wichtig erscheint. Der Kafka-Monolog zum Beispiel entstand in einer Situation, in der ich das Gefühl hatte, dass mich der Theaterbetrieb auffrisst. So habe ich diese Gefühle der Machtlosigkeit aus Kafkas Text auf meine persönliche Situation übertragen und zu einer Aufführung verarbeitet.
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Welche Momente Philipp Hochmair besonders genießt
Hilft die theoretische Beschäftigung auch mit dem realen Tod klarzukommen?
Hochmair: Ich würde es mir sehr wünschen. Ich habe verständlicherweise auch schon wichtige Menschen verloren. Das ist ein natürlicher Vorgang, und ich wünsche mir, dass Literatur und Kunst uns helfen, diese Endlichkeit begreifbar zu machen und ins Leben zu integrieren.
Eine Botschaft von „Jedermann“ oder auch von „Blind ermittelt“ – wo der Protagonist durch eine Explosion seine Frau und sein Augenlicht verloren hat – ist die: Es kann uns alle und ständig treffen. Der Tod ist allgegenwärtig. Wir neigen dazu, ihn wegzuleugnen, und fallen aus allen Wolken, wenn es so weit ist. Aber auf dieser Erde ist alles nur geliehen. Wir müssen uns dessen bewusst sein und versuchen, das mit Selbstverständlichkeit in unser Lebenskonzept aufzunehmen.
Wird man nicht von Sorgen zerfressen, wenn man ständig an die eigene Vergänglichkeit denkt?
Hochmair: Ich sehe das anders. Ich versuche vor dem Hintergrund der eigenen Endlichkeit, jeden Tag bewusst zu erleben und zu genießen.
Welche Momente genießen Sie besonders?
Hochmair: Ich erinnere mich noch gut, wie ich die erste Folge „Blind ermittelt“ im Fernsehen gesehen habe und spürte, dass es funktioniert hat. Das ist ein toller Augenblick! Ein anderes Beispiel war, als ich 2018 beim „Jedermann“ in Salzburg über Nacht für Tobias Moretti eingesprungen bin. Das war auch so ein Moment.
Jedermann Philipp Hochmair: Wir haben eine Verantwortung
Gibt es auch Genüsse außerhalb der Arbeit für Sie?
Hochmair: Ich würde es nicht Arbeit oder Beruf nennen, sondern Berufung. Es macht mich glücklich, wenn man sich Geschichten oder eine Welt ausdenkt, die funktioniert und begeistert. Das empfinde ich natürlich auch bei Kollegen. Gerade habe ich die zweite Staffel von „White Lotus“ gesehen. Und es hat mich so gefreut, wie toll das geschrieben und gestaltet war.
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Über dem Jedermann schwebt die Instanz Gottes. Eine der beiden neuen „Blind ermittelt“-Folgen spielt in einem Priesterseminar. Wie halten Sie es selbst mit dem Glauben?
Hochmair: Ich glaube nicht an den Katechismus oder die katholische Kirche, aber an eine allumfassende Kraft der Natur, die diese Erde zusammenhält und die man respektieren muss. Darin liegt etwas Göttliches. Wir haben eine Verantwortung vor der Welt und unseren Mitmenschen. Wenn die Leute dagegen narzisstisch nur auf ihren eigenen Vorteil und Besitz bedacht sind – wie der Jedermann –, dann geht auf weite Sicht alles kaputt.
Nun leben wir in einer Welt, die Selbstdarsteller und Egomanen zu fördern scheint …
Hochmair: Ganz genau. Dieses 1911 uraufgeführte Theaterstück im Stile eines mittelalterlichen Moralstücks war damals schon Hugo von Hofmannsthals Reaktion auf die Gesellschaft der Zeit – und es ist aktueller denn je.