Berlin. Der Tod ist für viele ein Tabuthema. Für Luise Morgeneyer nicht – sie ist erst Ende 20 und hilft Sterbenden auf ihrem letzten Weg.

Luise Morgeneyer begleitet Menschen beim Sterben. Dabei ist sie erst 29 Jahre alt und müsste sich mit diesem Thema eigentlich noch gar nicht beschäftigen. Trotzdem hat sie sich vor zwei Jahren dazu entschieden, Sterbebegleiterin zu werden. Was es mit einem macht, wenn man Sterbenden so nahe ist – und was der Tod für sie bedeutet.

Frau Morgeneyer, Sie besuchen Menschen, die sterben werden. Wie laufen solche Treffen normalerweise ab?

Luise Morgeneyer: Als Sterbebegleiterin ist es meine Aufgabe, der Person das zu geben, was sie gerade braucht. Die Dame, die ich gerade besucht habe, wohnt in einem Pflegeheim. Als ich sie kennengelernt habe, hieß es von meiner Teamleitung, dass es sehr akut ist und die Begleitung so ungefähr drei Wochen gehen würde. Das ist jetzt ein Jahr her. Wir haben inzwischen unseren Ablauf.

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Wir begrüßen uns, trinken unsere Cappuccinos, was sehr wichtig ist, und dann erzählt sie mir bis zum Mittagessen Dinge aus ihrem Leben. Sie hat sehr viel Redebedarf, und von mir aus erzähle ich nichts. Ich kenne sie sehr gut, aber sie mich nicht. Wenn ich als Hospizbegleiterin agiere, dann mache ich mich quasi vollkommen leer, in der Zeit geht es dann gar nicht um mich und meine Bedürfnisse.

Wie häufig sehen Sie die Menschen, die Sie begleiten?

Die Treffen sind sehr individuell. In der Sterbebegleitung gibt es keinen fixen Ablauf. Derzeit bin ich einmal pro Woche im Pflegeheim. Wir haben auch Leute im Team, die sich nur alle zwei Wochen treffen, und ich habe Begleitungen, da bin ich mehrere Tage pro Woche, über mehrere Stunden. Es gibt da keine Regeln, weil Krankheit und der Tod keinen Ablauf kennen. Den Schmerzen sind die Termine egal. Deshalb kann auch mal ein Termin spontan ausfallen.

Wie fühlt sich die Verabschiedung nach einem solchen Treffen an?

Das kommt immer darauf an, wie die Stimmung ist. Wenn ich das Gefühl habe, dass es Anzeichen dafür gibt, dass das Leben der Person bald zu Ende gehen könnte, dann ist der Abschied schon schwerer. Man stellt sich aber bei jeder Verabschiedung darauf ein, dass es jetzt das letzte Mal sein könnte, dass man die Person sieht.

Luise Morgeneyer geht jede Woche ins Pflegeheim, um sterbenden Menschen beizustehen.
Luise Morgeneyer geht jede Woche ins Pflegeheim, um sterbenden Menschen beizustehen. © ZRB | Charlie Yildiz

Wie kamen Sie auf die Idee, Sterbebegleiterin zu werden?

Ich habe das erste Mal in einem Podcast davon gehört. Da hat die Person erzählt, dass sie das ehrenamtlich macht und wie schön diese Arbeit ist. Daher wusste ich, dass es das Ehrenamt der Sterbebegleiterin gibt und dass es vielleicht gar nicht so düster und schlimm ist, wie man sich das vorstellt.

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Vor zwei Jahren ist dann mein Großvater verstorben, und da habe ich erkannt, dass, auch wenn der Verlust für mich persönlich total schmerzhaft ist, der Tod etwas Erlösendes und Selbstbestimmtes sein kann. Mir ist dann klar geworden, dass es in einer Großstadt wie Berlin wahrscheinlich nicht jedem Menschen so geht.

Wie sieht die Ausbildung zur Sterbebegleitung aus?

Es gibt keine klassische Liste an Kriterien, um Sterbebegleiterin zu werden. Generell geht es darum, dass man mental stabil ist. Ich habe in einem buddhistischen Zentrum einen Zugang zu dem Thema Tod gefunden, den ich gerne mochte. In der Ausbildung hatten wir Blockseminare, in denen wir viele Übungen gemacht haben.

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    Zusätzlich haben uns verschiedene Dozierende besucht, zum Beispiel ein Hirnchirurg und eine Pflegekraft, die uns von ihrer Arbeit erzählt haben. Wir haben uns viel mit dem Thema Verlust auseinandergesetzt, weil das auch im Sterbeprozess eine große Rolle spielt. Wie man sich um sich selbst kümmert, war auch sehr wichtig. Wie kann ich selbst stabil bleiben und auf mich achtgeben?

    Haben Sie Angst davor, dass die Menschen, die Sie begleiten, sterben? Trauern Sie?

    Ja. Nicht bei allen, die ich begleitet habe oder begleite, aber bei einigen schon. Das hängt damit zusammen, was die Person möchte. Wenn eine Person zum Beispiel äußert, dass sie nicht sterben möchte, dann habe ich für sie schon Angst. Als ehrenamtliche Sterbebegleiter sind wir emotional total involviert, und deswegen ist es auch in Ordnung, wenn wir trauern.

    Was bedeutet der Tod für Sie?

    Der Tod ist für mich vor allem ein schönes Geheimnis. Jetzt ist mir noch mehr bewusst, dass ich nicht weiß, was der Tod eigentlich ist. Aber das ist okay. Ich glaube, umso mehr man das Thema in sein Leben hereinlässt, desto mehr verliert man die Berührungsangst damit. Man wird sich bewusst darüber, dass der Tod uns alle verbindet. Trotzdem ist es nicht so, als hätte ich keine Angst vor dem Tod. Ich bin einfach ein bisschen gelassener mit all den Gefühlen, die bei mir hochkommen.

    Hat Sie die Sterbebegleitung als Mensch verändert?

    Auf jeden Fall. Das sind so kleine Sachen, etwa dass ich meinen Liebsten öfter sage, dass ich sie liebe. Das klingt vielleicht erst mal banal, aber ist so wichtig. Menschen, die krank sind und wissen, dass sie sterben, betonen immer wieder, dass das Wichtigste ist, nicht allein zu sein. Es geht zum Schluss immer um die Menschen. Es geht nicht darum, welchen Abschluss du hast oder welche Reisen du gemacht hast. Das nehme ich jetzt noch mehr mit in mein Leben.

    Warum ist es wichtig, sich als junger Mensch mit dem Tod auseinanderzusetzen?

    Weil der Tod jederzeit kommen kann. Und wenn man sich vorher schon mal ein paar Fragen gestellt hat, dann kann das helfen. Ich wünsche mir, dass wir als Gesellschaft aufhören, den Tod so zu verteufeln, und verstehen, dass das gar nicht so schlimm ist.

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