Berlin. Tod und Sterben: Im Hospiz gehört beides zum Alltag. Doch wer Sterbende begleitet, gewinnt auch selbst eine andere Sicht aufs Leben.
Es ist Oktober, doch ein ungewöhnlich milder. Für Brunhilde Steinbrück ist es der letzte Herbst ihres Lebens. Die 91-Jährige findet sich inzwischen alt genug, um zu gehen. Es habe eine Weile gedauert, bis sie sich damit abgefunden habe, sagt die hochbetagte Seniorin, die seit Mitte August im Caritas-Hospiz in Berlin-Pankow lebt. Aber jetzt sei sie bereit. „Jetzt möchte ich sterben.“
Seit zwei Jahren lebt sie nun mit Knochenkrebs, das Hospiz ist ihre letzte Station. „Wenn man hierherkommt, ist man austherapiert und dann gibt es nur noch Schmerzmittel“, sagt sie und nimmt einen Schluck von ihrem Tee. Zuvor hat ihre Tochter sie zu Hause gepflegt. Jetzt braucht die gelernte Verkäuferin aber eine Vollzeitbetreuung.
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In der Einrichtung, die in einem versteckten Hinterhof in Berlin-Pankow neben einem Kindergarten liegt, können 14 Gäste von ungefähr 30 Mitarbeitenden betreut werden. Gäste – so werden die sterbenden Menschen im Hospiz genannt. Von außen wirkt das Gebäude unscheinbar, hat roten Backstein und ein Flachdach. Geht man hinein, fällt einem vor allem die Ruhe auf. Hier herrscht Gelassenheit, fast schon Besinnung. Als wäre die Zeit stehen geblieben.
Hospizleiter: „Die meisten wünschen sich einen schmerzfreien Tod im Kreis der Familie“
Wie lange die Gäste im Hospiz sind, ist sehr unterschiedlich. Manche bleiben nur wenige Stunden oder Tage, andere mehrere Monate in dem von Bäumen umringten Haus. Wenn jemand geht, dann stellt das Team eine Kerze vor das Zimmer der verstorbenen Person. Damit im Alltag innegehalten und an den Menschen gedacht werden kann. In dem Pankower Hospiz kümmert sich eine Pflegekraft um drei bis vier Gäste. „Das ist ein sehr gutes Verhältnis“, sagt Hospizleiter Tobias Neumann. Zusätzlich kommen Ehrenamtliche vorbei, die zum Beispiel Kuchen backen, den Garten pflegen oder für die Gäste einkaufen.
Mit einer dieser Freiwilligen hat Steinbrück vor kurzem noch Mensch ärgere dich nicht in der Wohnküche gespielt. Seit vielen Jahren lebt sie in Berlin. Das sei gut, sagt sie, damit es ihre Tochter nicht so weit habe. „Sie huscht manchmal nach der Arbeit eben bei mir rein.“ Ihren Kindern gehe ihre Krankheit schon sehr nahe, erzählt die 91-Jährige und holt tief Luft, „aber so langsam haben sie sich damit abgefunden.“
Dass die Leute in der Nähe wohnen, die zu Besuch kommen – das ist laut Neumann der wichtigste Aspekt bei der Suche nach einem Hospiz. Und manchmal schwierig bei den langen Wartezeiten, erklärt er. Er selbst hat früher auf einer Palliativstation gearbeitet, wechselte dann zur Hospizarbeit und ist seit drei Jahren Einrichtungsleiter. „Für mich ist es einfach spannend, Menschen in solchen Extremsituationen zu erleben“, erklärt er. „In dieser Arbeit kann man wirklich hilfreich sein.“
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„Das Produkt unserer Arbeit ist am Ende ein guter Tod“, sagt Neumann. Die meisten wünschten sich einen schmerzfreien Tod, ohne belastende Symptome und am besten im Kreis der Familie. „Im Hospiz könnten wir das oft so ermöglichen.“
Familien sollten offen über den Tod und das Sterben sprechen
Sich um die Familie zu kümmern, ihre Kinder zu erziehen, jetzt zwei Enkel und sogar einen Urenkel zu haben – das habe ihr Leben erfüllt, erzählt Brunhilde Steinbrück. Ihren eigenen Vater pflegte sie fünf Jahre lang zu Hause, darauf ist sie stolz. Und dennoch ist sie froh, dass man sich im Hospiz jetzt um sie kümmert. „Ich werde hier sehr gut betreut“, sagt die alte Dame. Nun bleibe ihr nichts anderes übrig, als den Tatsachen ins Auge zu blicken. Der Knochenkrebs habe die Oberhand gewonnen.
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„Der Tod ist Teil des Lebens und dass wir sterben werden, steht schon fest, wenn wir geboren werden“, sagt Steinbrück. Sie habe lange über das Leben nachgedacht und nun einen gewissen Abstand zu dem Thema gewonnen. Über den Tod offen nachzudenken, sei wichtig, erklärt auch Neumann. „Nur weil man über das Sterben spricht, ist noch keiner schneller oder schlimmer gestorben“, sagt er, „das versuchen wir unseren Gästen und den Angehörigen auch nahezubringen.“
„Man muss die Chancen nutzen, die einem das Leben bietet“
Ob sie etwas aus ihrem Leben bereut? „Ich glaube, dass alles so kommen sollte und man zu dem stehen muss, was passiert ist“, sagt Brunhilde Steinbrück. Doch eine Sache mache sie traurig. Sie ballt ihre Faust: die Kriege in der Ukraine und in Gaza. Sie selbst habe in jungen Jahren den Zweiten Weltkrieg miterlebt, ihre Mutter den Ersten und den Zweiten. Sie sei immer froh, dass ihre Kinder in Frieden aufwachsen dürfen. „Doch jetzt erleben auch sie den Krieg“, sagt die Seniorin.
„Das ist fürchterlich. Ich frage mich immer, warum muss das sein?“, stellt sie in den Raum und ergänzt, „das kränkt mich noch mehr als meine Krankheit.“ Kraft und positive Nachrichten habe sie hingegen immer wieder von ihren Enkeln bekommen. Brundhilde Steinbrück lächelt, als sie das sagt. „Sie nehmen die Möglichkeiten wahr, die sie nach der Schule bekommen, erklärt die 91-Jährige. „Man muss die Chancen nutzen, die einem das Leben bietet.“
Am Ende sind Beziehungen und Vertrauen das Wichtigste
So sieht das auch Katharina Kock, die seit zwölf Jahren als Pflegerin und Ehrenamtskoordinatorin in dem Berliner Hospiz arbeitet. Dadurch erlebe sie, dass nichts beständig ist und materielle Dinge am Ende keine Rolle spielen. „Wie wir hier miteinander umgehen, so sollten Menschen sich immer gegenseitig behandeln, auch wenn das Lebensende nicht unmittelbar bevorsteht“, erklärt Kock. Im Hospiz spielten Oberflächlichkeiten keine Rolle, hier sei man ehrlich und authentisch miteinander.
Für genau solche Gedanken nimmt sich das Team von Kock und Neumann einmal in der Woche Zeit. Dann treten sie einen Schritt zurück und schauen, was sie mit ihrer Arbeit eigentlich machen – sie begleiten die Menschen, auch wenn es schwer ist. Und wenn sie dann vor den Zimmern Kerzen anzünden, dann haben sie die Gewissheit, dass hier niemand alleine stirbt. So wie Brunhilde Steinbrück. Inzwischen stand auch vor ihrem Zimmer eine Kerze.