Berlin. Auf den höchsten Gipfeln der Welt hisst Tonya Samoilova die ukrainische Flagge. Und setzt damit ein Zeichen gegen Putin und den Krieg.

  • Die Ukrainerin Antonina „Tonya“ Samoilova hat die höchsten Gipfel der Welt bestiegen
  • Bei all ihren Bergtouren hat sie die ukrainische Flagge dabei
  • Im Krieg gegen die Ukraine ist die junge Frau so zum Symbol für Durchhaltevermögen geworden

Am 12. Mai 2022 steht Antonina „Tonya“ Samoilova auf dem Gipfel des höchsten Berges der Welt, über ihr der strahlend blaue Himmel. Sie hat sich die Sauerstoffmaske vom Gesicht gerissen, sie sieht erschöpft aus. In ihren Händen hält sie die blau-gelbe Fahne ihrer Heimat Ukraine. Dieses Stück Stoff, das der Grund dafür ist, warum sie schier Unglaubliches geleistet hat. Samoilova hat den Mount Everest erklettert, praktisch ohne Training. Für ihre geschundene ukrainische Heimat ist die junge Frau zu einem Symbol der Hoffnung geworden.

Kiew im Februar 2024: In der ukrainischen Hauptstadt scheint der Krieg auf den ersten Blick weit, sehr weit zu sein. Der Verkehr quält sich durch die Straßen, die Geschäfte und die Restaurants haben geöffnet und sind gut besucht. Und doch ist das Grauen, das vor zwei Jahren über die Ukraine hereingebrochen ist, auch hier präsent.

Bergsteigerin: Ihr Wohlstand hat ihr das Tor zur Welt eröffnet

Auf dem Majdan, dem Unabhängigkeitsplatz im Herzen der Stadt, erinnert ein blau-gelbes Fahnenmeer an die Tausenden Toten des Krieges. Der Luftalarm ist zu einem Alltagsgeräusch geworden wie das Läuten der Kirchenglocken. Immer wieder greifen die Russen Kiew mit Marschflugkörpern, Raketen und Drohnen an.

Bergsteigerin Tonya Samoilova hisst auf den Bergen der Welt die ukrainische Fahne.
Bergsteigerin Tonya Samoilova hisst auf den Bergen der Welt die ukrainische Fahne. © privat | Privat

Tonya Samoilova (35) sitzt in einem Fernsehstudio, das einer ihrer Freunde gerade einrichtet. Schlabberpulli, Jeans, Sneakers, selbstbewusstes Auftreten, fließendes Englisch. Sie besitzt Anteile an einem der größten Restaurants in der Hauptstadt, vor dem Krieg hat sie im Immobiliensektor viel Geld verdient.

Ihr Wohlstand hat ihr die Tore zur Welt geöffnet. 2016 überreden sie Freunde, den Kibo im Kilimandscharo-Massiv in Tansania zu erklettern. „Damals wusste ich noch nichts über das Bergsteigen“, erzählt sie. Als sie auf dem Gipfel in 5895 Meter Höhe ankommt, ist es dort minus 15 Grad kalt. Sie trägt eine dünne Jacke. Amateurhafter geht es nicht.

Extremsportlerin über den Moment ihrer Besessenheit

Samoilova schwört sich: Nie wieder auf einen Berg. Sie kann es aber nicht lassen. Herausforderungen reizen sie. Ein halbes Jahr später steht sie auf dem russischen Ebrus, dem höchsten Berg Europas.

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Im Januar 2022 besteigt sie den Mount Vinson, den höchsten Berg in der Antarktis. „Das war der Moment, seitdem ich von Bergen besessen bin.“ Als ihre Heimat vor zwei Jahren überfallen wird, bekommt Samoilova davon nichts mit. Sie klettert am 24. Februar 2022 auf den Citlaltépetl, den höchsten Vulkan Nordamerikas. Auf 5636 Metern gibt es keine Verbindung in die Welt.

Als sie tags darauf wieder im Camp ankommt, ruft ihre Schwester sie an. Sie sagt nur zwei Sätze: „Tonya, wird sind in einem Luftschutzkeller. Kiew wird heftig bombardiert.“ Samoilova ist verzweifelt, wütend und frustriert. „Wenn ich Probleme habe, regele ich die selbst. In diesem Moment konnte ich einfach nichts tun.“

Ihre Familie rät ihr davon ab, nach Hause zu kommen. Sie reist nach Tansania, bleibt dort einen Monat, entscheidet sich dann, nach Kathmandu zu fliegen, die Hauptstadt Nepals. Dort hat sie eine Begegnung, die ihr Leben verändert.

Tonya Samoilova mit ihrer Crew am Everest Base Camp im Jahr 2022.
Tonya Samoilova mit ihrer Crew am Everest Base Camp im Jahr 2022. © privat | Privat

Sie trifft in einem Café auf Tashi Lakpa Sherpa. Er ist ein legendärer nepalesischer Extrembergsteiger und Besitzer einer Firma, die spezialisiert darauf ist, Menschen auf die höchsten Berge der Welt zu bringen. Sie reden miteinander. „Und dann sagt Tashi mir, er bringt mich auf den Mount Everest.“ Samoilova hält das für einen Witz. Fit ist sie, sie schafft problemlos achtzig Liegestütze. Aber der Mount Everest? 8848 Meter inklusive Todeszone? Ohne monatelange Vorbereitung? Das klingt nach psychologischer Schwerstarbeit, nach Wahnsinn.

Antonina Samojlowa hätte nie gedacht, dass sie die Achttausender bezwingen kann.
Antonina Samojlowa hätte nie gedacht, dass sie die Achttausender bezwingen kann. © FUNKE Foto Services | André Hirtz

Tashi Lakpa Sherpa meint es aber ernst. „Ich weiß nicht, was er in mir gesehen hat. Aber er meinte, dass man auf den Berg nicht mit den Füßen, sondern mit dem Kopf geht.“ Er schlägt ihr vor, eine ukrainische Fahne mit auf den Gipfel zu nehmen. Das überzeugt sie. Samoilova spricht mit ihrem Vater, der, wie ihr Bruder, in die Territorialen Verteidigungskräfte eingetreten ist. Er sagt ihr: „Wenn du dich gut fühlst, mach es.“

Expedition zum schwierigsten Achttausender: ukrainische Flagge immer dabei

Für Samoilova wird es eine Mission, die Fahne auf den Berg zu bringen. Schon vor der Expedition wird ihr Vorhaben bekannt, es lastet ein großer Druck auf ihr. Der Aufstieg auf den höchsten Berg der Welt läuft aber problemlos. Am 12. Mai steht die junge Frau auf dem Gipfel. „Ich habe mich selbst über mich gewundert. Ich konnte kaum glauben, dass ich es bin, die da oben steht“, erinnert sie sich.

Nach dem Mount Everest bezwingt sie zwei Monate später den K2, den schwierigsten aller Achttausender, dann den Manaslu. Jedes Mal hat sie ukrainische Flagge dabei. Im Mai vergangenen Jahres gelingt ihr die zweite Besteigung des Mount Everest. Diesmal ist es deutlich schwieriger als beim ersten Mal, sie hat gesundheitliche Probleme.

Aber sie bezwingt den Berg. „Seitdem sehen mich die Ukrainer als ein Symbol an“, sagt sie. Sie hofft, dass sie ihren Landsleuten moralische Unterstützung geben kann und sie ihre Leistungen als „kleinen Sieg“ ansehen. Achtzig Liegestütze schafft Antonina Samoilova nicht mehr. „Die Berge nehmen viel Kraft und Leben von dir.“