Berlin. Jörg Quiske ist seit sieben Jahren als Nikolaus unterwegs. Direkt zu Beginn traf er eine Familie, an die er heute noch denken muss.
Wenn ich mein Nikolaus-Kostüm anziehe, spiele ich nicht bloß eine Rolle. Ich bin dann der Nikolaus. Und zwar ein ziemlich großer: Mit meiner Mitra auf dem Kopf messe ich um die 2,30 Meter. Das beeindruckt die meisten Kinder so sehr, dass sie kaum Fragen stellen und immer Besserung geloben, wenn ich ihnen mein goldenes Buch hinhalte. Auch deshalb überrasche ich manche Kinder nach meinem Besuch im Folgejahr ein zweites Mal und schaue, ob sie auch wirklich so brav sind, wie sie es dem Nikolaus versprochen haben.
So wie das Mädchen mit den Kulleraugen, dessen Eltern ihm den Schnuller abgewöhnen wollten und dabei wenig Erfolg hatten. Der Nikolaus hatte mit dem Kind eine Vereinbarung getroffen: Es sollte den Schnuller abends auf die Fensterbank legen und würde im Gegenzug eine Weihnachtself-Puppe bekommen. Weil ich nachts nicht zur Überprüfung vorbeikommen konnte, habe ich das Mädchen am nächsten Tag angerufen und nachgefragt, ob es den Schnuller auch wirklich weggelegt hat.
Das war vielleicht eine Aufregung am anderen Ende des Hörers, als die Mutter diesen weitergab: „Der Nikolaus ist am Telefon.” Sie hatte von meinem Überraschungsanruf nichts gewusst. Und das Mädchen hatte den Schnuller tatsächlich ans Fenster gelegt.
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Nikolaus: So mache ich meinen Auftritt glaubhafter
So überlege ich mir oft spontane Aktionen: Ich erzähle, dass der Opa vor 60 Jahren ein richtiger Frechdachs war oder bringe der Mutter eine Weihnachtsbrosche im Geschenkesack mit. Bei einem vierjährigen Mädchen habe ich etwas tiefer in den Sack gegriffen: Ich wusste, dass das Mädchen leidenschaftlich gerne tanzt und das wegen einer Beeinträchtigung am Bein nicht im Verein tat.
Weil ich bei einem Tanzverein Vorsitzender bin, habe ich dem Mädchen einen Gutschein für ein Schnuppertraining in unserem Ballettunterricht erstellt. Meine Lebensgefährtin hat ihn schön verpackt: mit einer LED-Lichterkette und Sternchen im Umschlag. Es war magisch. Als der Nikolaus das Mädchen dann besucht hat und fragte, was es gerne macht, sagte es: „Tanzen. Aber sie haben mich beim Ballett weggeschickt, weil ich anders bin.“
Nach einem Dreivierteljahr war das Weihnachtswunder komplett: Das Mädchen hat sich getraut und kam mehrere Male zum Ballett, mal mit Mama, mal mit Papa. Das werde ich nie vergessen.
Diese Anfragen würde ich als Nikolaus nie annehmen
Vielleicht ist es mit diesem Wissen wenig verwunderlich, dass ich in meinen Nikolaus-Job viel Geld und Zeit investiere. Womöglich hat sich das direkt zum Anfang bereits angekündigt: Vor sieben Jahren hatte mich mein damals bester Freund gebeten, für sein Kind den Nikolaus zu spielen. Das Kostüm: ein 10-Euro-Teil vom Discounter mit passendem Zottelbärtchen. Ich wollte es besser und möglichst authentisch machen und habe gleich mehrere teure Kostüme gekauft.
Weil der 6. Dezember damals auf einen Wochentag fiel, ich das Kind meines Freundes erst am Sonntag besuchen sollte und nun schon die schönen Kostüme hatte, konnte ich noch weitere Kinder besuchen. Und dann dachte ich: Für den Aufwand könnte ich auch ein Kleinunternehmen anmelden. Heute bin ich Mitte 50, besitze 13 Kostüme und besuche jedes Jahr Familien zum Nikolaustag. Ich habe sogar schon Anfragen für Sommer- oder Stripauftritte bekommen. Das würde ich allerdings nie tun – und außerhalb der Adventszeit sind meine Kostüme ohnehin in einem Lager.
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Ein unerwarteter Anruf kurbelte die Nikolaus-Karriere an
Ich muss zugeben: Zu meinem Karriere-Start als Nikolaus gehörte auch ein Glückstreffer. Denn eine halbe Stunde, nachdem meine Webseite bei Google auffindbar war, klingelte mein Telefon. Der WDR wollte ein Radiointerview mit mir führen. Offenbar sah mein Internetauftritt aus wie der eines erfahrenen Nikolaus. Das Interview ging zwar nur fünf Minuten lang, aber ich hatte mich gut in die Geschichte der kirchlichen Figur des heiligen Nikolaus eingelesen und kannte die Unterschiede zum Weihnachtsmann.
Das Interview war für mich ein Highlight. Noch am selben Tag kamen Anfragen aus 200 Kilometer Entfernung. Das Interview hat meinen Bekanntheitsgrad enorm gesteigert, auch wenn ich nicht alle Anfragen annehmen konnte. Denn der Job als Nikolaus erfordert viel Organisation, die ich aus meinem normalen Beruf im Außendienst eines Konzerns bereits gut kenne.
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So kann ich aus Zeitgründen etwa nur Familien in der Nähe meiner Heimat in Niederkassel am Rhein (Nordrhein-Westfalen) besuchen oder sitze in voller Nikolaus-Montur hinterm Steuer, damit mich kein Kind ohne Kostüm sieht. Das erfreut nicht nur die anderen Verkehrsteilnehmer, sondern hat mich auch schon vor brenzligen Situationen gerettet. Außerdem parke ich etwa 100 Meter von den Häusern entfernt. Der Nikolaus kann schließlich nicht einfach aus einem schwarzen Van steigen.
Doch manchmal helfen alle Vorbereitungen nichts, wenn Kinder besonders hartnäckig sind.
Nach dem Besuch wartete eine Gruppe Kinder vor dem Haus auf den Nikolaus
Einmal habe ich eine Patchwork-Familie in einem Mehrfamilienhaus besucht. Auf dem Hinweg hatten mich bereits einige Nachbarskinder gesehen, und als ich nach der Bescherung zum nächsten Termin wollte, hatte sich eine ganze Gruppe vor dem Gebäude angesammelt und auf mich gewartet. Ich habe für solche Situationen kleine Geschenke in meinem Sack: Plüschtiere oder leuchtende Gummibälle mit Eiskristallen. So kann der Nikolaus auch in solchen Situationen die Kinder versorgen.
In diesem Fall aber sind mir die Kinder weiter gefolgt und wollten wissen, wo der Nikolaus hingeht und was er macht. Ich hatte Glück, dass sie nur bis zu einer bestimmten Hecke in der Nachbarschaft laufen dürfen und mein weiter weg stand. Doch als ich es endlich bis zu meinem Wagen geschafft hatte, tauchten plötzlich wieder zwei Kinder auf.
Einer der Jungen hatte ein befreundetes Mädchen geholt, was den Nikolaus verpasst hatte. Es trug eine Mütze und zwei Zöpfe, wie im Weihnachtsfilm. „Nikolaus, du hast die Maria vergessen“, rief der Junge. So bekam Maria auch ein Geschenk – und ich kam mit Verspätung zum nächsten Termin.
Nikolaus: Der emotionalste Besuch kam direkt am Anfang
Für mich gehört das zum Nikolaus dazu: Insgesamt zwei Stunden plane ich mit der Vorbereitung für einen Besuch ein. Manche Familien geben so viel von sich preis, dass ich mich nicht einfach hinstellen und ihre emotionalen Erlebnisse von einem Spickzettel ablesen will.
In meiner ersten Woche als Nikolaus sollte ich zum Beispiel an das Sternenkind der Familie erinnern, das zuvor tot geboren worden war. Ich besorgte im Spielzeughandel leuchtende Sterne, die ich jedem Familienmitglied in die Hand gab. Und so erklärte ich in meiner Rede, dass das Sternenkind alle lieb grüßt und von oben auf die Familie schaut.
Der Vater hielt sich an meinem Metallstab fest, die Mutter ging kurz zum Fenster. An dem Tag ist mir bewusst geworden, wie tief ich als Nikolaus in diese familiären Geschichten eindringe. Und das ist eine Verantwortung, die ich sehr ernst nehme.
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