Berlin. Viele Deutsche gehen in der Beziehung fremd. Doch bei einer Affäre geht es häufig nur vordergründig um Sex. Experten kennen die Gründe.
Viele tun es, nicht alle wollen es zugeben: Wenn Menschen gefragt werden, ob sie schon mal fremdgegangen sind, sagen Umfragen zufolge zwischen 30 und 50 Prozent „ja“. Verlässlichere Daten gibt es nicht. Mit den Motiven allerdings, warum Menschen die Partnerin oder den Partner betrügen, beschäftigt sich die Sozial- und Beziehungsforschung seit langem.
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Studien legen nahe, dass extrovertierte Menschen eher dazu neigen fremdzugehen als introvertierte. Auch unzufriedene Partner betrügen tendenziell eher als zufriedene. Genauso Menschen, deren Lebensumstände ihnen viele Gelegenheiten dazu bieten, weil sie etwa oft verreisen. Ob Frauen oder Männer eher fremdgehen und es gar geschlechterspezifische Gründe fürs Fremdgehen gibt, ist dagegen wissenschaftlich nicht nachzuweisen.
Fremdgehen: Diese psychologischen Gründe stecken dahinter
Hinter einer Affäre steckten oft unerfüllte Bedürfnisse oder tieferliegende Probleme, die der Betrügende mit sich selbst hat, sagt Sexual- und Paartherapeutin Julia Henchen. Zu ihr kommen Paare mit Problemen wie Lustlosigkeit oder Bindungsängsten, aber auch immer wieder nach Affären. „Beim Fremdgehen geht es häufig in erster Linie darum, dass man die Person, die man selbst in der Beziehung geworden ist, nicht mehr mag,“ sagt die Expertin. Eine Art Identitätskonflikt, wie Henchen es nennt. Komme dann eine Krise hinzu, entschieden sich Menschen vielleicht fürs Fremdgehen.
Doch spätestens an diesem Punkt werden die Gründe für einen Seitensprung sehr individuell. Eine Hochzeit könne genauso Anlass dafür sein wie ein Jobverlust oder ein unerfüllter Kinderwunsch. Ein anderes Beispiel ist Trauer, mit der jeder Mensch sehr unterschiedlich umgeht. „Es kann sein, dass ich ein sehr bindungsängstlicher Mensch bin“, erklärt Julia Henchen. „Dann habe ich mich vielleicht auf eine Beziehung eingelassen, ein nahe stehender Mensch stirbt und ich rutsche wieder in alte Muster und habe Sex mit Fremden, um fehlende Nähe zu kompensieren.“
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Betrug: Wie wichtig ist Sex bei einer Affäre?
Dabei spielt Sex beim Fremdgehen nach Auffassung der Therapeutin eine untergeordnete Rolle. „Eigentlich ist auch das eher ein Bindungsthema oder mindestens ein Kommunikationsproblem“, so Henchen. Statt sich Sex, worauf der Partner angeblich keine Lust hat, bei jemand anderem zu holen, sollte man in die Kommunikation treten. Grundsätzlich gelte immer: „Niemand ist dafür verantwortlich, die Sexualität eines anderen zu befriedigen“, so Henchen.
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Auch fehlende Bestätigung könne eine Rolle spielen: „Ich fühle mich nicht mehr gesehen in meiner Partnerschaft und gehe fremd“, gibt die Therapeutin ein Beispiel. „Von außen sieht es aus, als würde ich Bestätigung woanders suchen – aber warum muss ich über Sex kompensieren und kann sie mir nicht selbst geben?“
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Psychologe: „Treue ist eine super Erfindung“
Chronische Fremdgänger gibt es kaum, betont der Münchner Psychologe und Psychotherapeut Ludwig Schindler. Bereits seit mehreren Jahrzehnten beschäftigt er sich in Forschung, Lehre und Therapie mit Paarbeziehungen und ist Mitbegründer des Online-Beziehungsprogramms PaarBalance (www.paarbalance.de). „Treue ist eine super Erfindung – sie macht Beziehungen erfüllter und nachhaltiger“, sagt der Experte. „Aber sie ist auch etwas Aktives. Man muss sich bewusst dafür entscheiden.“ Schwierig werde das in der Regel erst dann, wenn sich Versuchungen auftun. Und das sei bei Ehen, die heutzutage 50 Jahre oder länger dauern können, oft der Fall.
Solche Versuchungen kämen zum Beispiel in Form eines attraktiven Kollegen, der netten Nachbarin oder eines Urlaubsflirts daher. Einige Male könnten viele Nein sagen, so die Erfahrung des Therapeuten, doch eines Tages erlägen sie der Versuchung. „Das menschliche Herz ist groß“, gibt Ludwig Schindler zu bedenken. „Wir können locker zwei, drei Personen gleichzeitig lieben.“ Das Problem entstehe immer für denjenigen, der teilen müsse.
Konzept offene Beziehung wird oft missverstanden
Ein Beziehungsmodell, das dieses Problem scheinbar umgeht, ist das der offenen Beziehung. Dabei geben sich die Partner Erlaubnis, unter bestimmten Regeln auch Dritte zu treffen und mit ihnen Sex zu haben. Was viele an dem Konzept missverstehen: „In einer offenen Beziehung kann man genauso betrügen“, sagt Therapeutin Julia Henchen. Egal ob geschlossen oder offen – beide Beziehungsmodelle basierten auf Vertrauen und Kommunikation.
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„Eine offene Beziehung versucht quasi, Fremdgehen zu legalisieren“, so Ludwig Schindler. Studien zeigten jedoch, dass die Qualitäten, die Menschen sich von Paarbeziehungen wünschen – Unterstützung, Sicherheit, emotionale Beheimatung – universell seien. Für alternative Konzepte wie das der offenen Beziehung zeigen die Daten – zumindest für den Großteil der Menschen – keine guten Erfolgsaussichten: „Weil irgendwann eine Schieflage eintritt, etwa, wenn ein polyamorer Partner oder der Dritte im Bunde tiefere Gefühle entwickeln.“
Eines haben offene Beziehungen geschlossenen aber im besten Fall voraus: Regeln, die die Partnerschaft nach außen abgrenzen. Die wenigsten Menschen in geschlossenen heterosexuellen Beziehungen, so Therapeutin Julia Henchen, sprechen mit ihrem Partner darüber, wo Betrug für sie beginnt: schon beim Flirten und Schreiben oder erst beim Küssen oder Sex? „Häufig gehen beide davon aus, dass sie schon ähnliche Vorstellungen haben – aber definiert wird Fremdgehen nicht.“ Der Rat der Therapeutin: Auch über vermeintliche Tabus in der Beziehung reden – „Sprechen entspannt!“
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