Berlin. Beziehungscoach Dominik Borde arbeitet in der Beratung mit Sexarbeiterinnen und Freiern zusammen. Er erklärt, warum Männer Sex kaufen.

Laut dem Bundesfamilienministerium gehen täglich rund 1,2 Millionen Menschen in Deutschland in ein Bordell. Doch die wenigsten sprechen darüber, wenn sie es tun. Dominik Borde aus Wien ist Beziehungscoach und hilft Menschen dabei, sich persönlich weiterzuentwickeln, um glückliche Beziehungen führen zu können.

In der Beratung arbeitete er sowohl mit Sexarbeiterinnen zusammen, die ihm aus ihrem Alltag im Bordell erzählten, als auch mit Freiern. Dabei ließ ihn eine Frage nicht los: Wieso zahlen so viele Männer für Sex?

Herr Borde, warum gehen Männer ins Bordell?

Dominik Borde: Es gibt unterschiedlichste Gründe, warum ein Mann für Sex bezahlt. Häufig ist Sex nicht der alleinige Grund. Viele Männer, die ins Bordell gehen, haben entweder in ihrer Beziehung keine echte Nähe und keinen Sex mehr oder im Alltag Probleme, eine Frau kennenzulernen.

Was fehlt den Männern, die eigentlich in einer Beziehung sind?

Borde: Vor allem Aufmerksamkeit und das Gefühl, wichtig zu sein. Aus Gesprächen mit Prostituierten weiß ich, dass sie einige Klienten kaum aufs Zimmer bekommen, weil sie so gerne reden. Hier hat der Mann das Gefühl, dass ihn jemand anhimmelt und sagt: "Wow, du bist ein toller Kerl."

Der Wiener Beziehungscoach Dominik Borde
Der Wiener Beziehungscoach Dominik Borde © SozialDynamik

Also geht es um mehr als nur Sex?

Borde: In Zeiten von Youporn und Co. können wir es uns jederzeit selbst machen – im Bordell geht es oft mehr um soziale Interaktion und Austausch als ums Abspritzen. Häufig ist es das, was die Männer daheim nicht haben: das Gefühl, als Mann etwas wert zu sein und eine Frau glücklich machen zu können. Die Prostituierten spielen diese Rolle sehr gut. Die eigene Ehefrau hingegen, die ihn schon länger kennt, ist mitunter nicht mehr so begeistert und aufmerksam.

Welche Rolle spielen unerfüllte Fantasien?

Borde: Natürlich gibt es auch den Klassiker: Jemand hat einen besonderen Fetisch und geht zum Beispiel zu einer Domina, weil er das Bedürfnis daheim nicht ausleben kann. Gerade Leute, die im Alltag dazu neigen, andere zu dominieren – Manager und Chefs großer Unternehmen – genießen es, auch mal dominiert zu werden. Da ist die Freundin oder die Ehefrau aus ihrer Sicht vermutlich nicht die richtige Ansprechpartnerin, weil er vielleicht denkt, sie wäre nicht bereit, mitzumachen.

Es fehlt also auch hier an Kommunikation über die Fantasien?

Borde: Viele Männer haben Angst, dass ihre Wünsche bei der eigenen Partnerin auf Ablehnung stoßen. Paare, die zwanzig oder dreißig Jahre zusammen sind, wissen oft kaum, worauf der andere wirklich steht. Am Anfang einer Beziehung kommen zwei Menschen zusammen und jeder hat seine sexuelle Landkarte. Da sind Dinge, die mir gefallen. Da sind Dinge, die dir gefallen. Und da gibt es Überschneidungen. Und dann machen sie das, was sie kennen und können. Immer wieder. Auf Dauer wird das langweilig.

Warum fällt den Menschen das Reden über ihre Lust so schwer?

Borde: Im sexuellen Alltag bleiben viele bei dem, was sie gewohnt sind, statt zu riskieren, die Partnerin durch neue Wünsche zu enttäuschen. Je kürzer eine Beziehung dauert, desto eher sind wir bereit, Neues auszuprobieren. Je länger eine Beziehung dauert, desto mehr verlässt man sich auf den gemeinsamen Nenner.

Ist die Hemmschwelle, für Sex zu bezahlen, geringer als eine Affäre einzugehen?

Borde: Viele Männer glauben, dass eine Affäre ein echter Betrug an der Partnerin wäre, während Sex im Bordell bloß Sex ist. Das sehen lustigerweise viele Frauen ähnlich. Auf der anderen Seite ist es für viele Männer schwierig, im Alltag jemanden kennenzulernen. Singles müssen mehr Aufwand betreiben – sie müssen eine Frau ansprechen und kennenlernen. Nicht alle Männer, die ins Bordell gehen, sind super attraktiv. Bezahlter Sex ist ein klassischer Handel: hier Geld, da Ware. Da muss ich weder jemanden zum Essen einladen, noch Angst um mein Ego haben. Wenn ich jemanden anspreche, habe ich nicht die Sicherheit, die ich habe, wenn ich in ein Bordell gehe. Da weiß ich: Die Frau wird mich auf jeden Fall nehmen.

Erleben Sie mehr Gelegenheits-Bordell-Besucher oder Männer, für die der gekaufte Sex Alltag ist?

Borde: Es gibt beides. Ich kann nicht einschätzen, ob es vermehrt Gelegenheits-Besuche oder Stammkunden sind. Fest steht: Üblicherweise haben die Prostituierten einen hohen Anteil an Stammkundschaft.

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    Frauen bezahlen deutlich seltener für Sex. Woran liegt das?

    Borde: Erstens gibt es weniger Bordelle für Frauen. Zweitens müssen Frauen sehr entspannt sein, um guten Sex zu haben, während Männer Sex haben, um sich zu entspannen. Deshalb ist es eher unüblich, dass eine Frau sich auf einen Partner einlässt, den sie nicht kennt. Wenn sie dann doch mal für Sex zahlt, geht das meist mit viel Drumherum einher. Der Mann ist ein bezahlter Begleiter, sie essen zusammen und unterhalten sich. Selbst wenn Männer es mögen, dass die Frau ihnen zuhört und sie bewundert, dauert die Interaktion mit einer Prostituierten meist nicht länger als zwei Stunden – bei einer Frau kann es durchaus sein, dass sie den ganzen Tag mit ihrem bezahlten Liebhaber verbringt.

    Machen sich Männer Gedanken über die Situation, in der viele der Frauen sind, zum Beispiel Zwangsprostitution?

    Borde: Ich kann hier nur wiedergeben, was Betroffene in meinem beruflichen Kontext berichtet haben. Die meisten Männer machen sich wenig Gedanken über die Hintergründe, warum eine Frau im Bordell arbeitet. Das bedeutet, sie sind sich über die Umstände, die zur Prostitution führen können, wenig bewusst. Damit verhält es sich ähnlich wie mit allen anderen Dingen, die wir ausblenden und gerne übersehen, damit wir uns weiterhin wohlfühlen können. Das Hühnchen wächst schließlich auch nicht im Kühlregal beim Discounter.

    Was müsste passieren, dass wir als Gesellschaft offener und ehrlicher über Prostitution sprechen?

    Borde: Wir müssten das Thema aus der Schmuddel-Ecke und dem Stigmata von gesellschaftlichem Abgrund befreien und offen ansprechen, wie wertvoll die Dienstleistung einer Sexworkerin ist. Dem Beruf einer Sexworkerin fehlt es an gesellschaftlicher Anerkennung. Die Diskriminierung, die Prostituierte im Alltag erfahren, wird meist unterschätzt. Für viele ist es unmöglich, aufgrund ihrer Tätigkeit eine Steuerberatung oder andere Services zu bekommen, die gerade für sie besonders wichtig wären. Wichtig wären Gesetze gegen Dumpingpreise und die Sicherstellung, dass Sexarbeit nicht kriminalisiert wird. Wir werden Prostitution nicht abschaffen können, aber wir könnten dafür sorgen, dass SexarbeiterInnen sichere Arbeitsbedingungen haben.