Essen. Wie kam ein gefährlicher Weichmacher in den Körper von Kita-Kindern aus NRW? Toxikologen haben neue Hinweise gefunden: Sie kommen von den Eltern.
Fieberhaft suchen Toxikologen in Deutschland und der EU nach der Quelle des gefährlichen Weichmachers DnHexP. In NRW, wo erstmals im Urin von Kita-Kindern das Abbauprodukt der Chemikalie gefunden wurde, verdichtet sich nun die Spur zu Kosmetika: Die Landesregierung sieht aufgrund neuer Auswertungen einen klaren Zusammenhang zwischen erhöhten Werten im Urin von Kindern und der Nutzung von Sonnenschutzprodukten. Der Bericht des NRW-Umweltministeriums an den Landtag liegt dieser Redaktion vor.
Unsere Berichterstattung zum Fund des verbotenen Weichmachers:
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In der Messreihe 2020/21 hatten Toxikologen im Urin der drei- bis sechsjährigen Kinder im Vergleich zu 2017/2018 bis zu zehnfach höhere Werte gefunden. In über 60 Prozent der Proben wurden die Experten fündig. Nun hat das Landesamt für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz (LANUV) die begleitende Dokumentation der Kita-Studie ausgewertet. Am Tag der Probenahme hatten die Eltern in Fragebögen unter anderem angegeben, ob bei ihrem Kind an diesem Tag oder an den beiden Tagen davor Sonnenschutzprodukte angewendet wurden.
NRW-Landesregierung stützt ersten Verdacht des Umweltbundesamtes
Bei Kindern, die Sonnencreme benutzt hatten, lag der Mittelwert der Belastung durch das Abbauprodukt des Weichmachers bei 6,87 Mikrogramm pro Liter Urin, heißt es in dem Bericht. Bei den Kindern ohne Sonnenschutz-Anwendung waren es 1,51 Mikrogramm pro Liter Urin. Bei Kindern mit Sonnenschutz lagen 95 Prozent der Werte im Bereich bis 41,1 Mikrogramm pro Liter Urin, bei Kindern ohne Sonnenschutzprodukte bis 7,1 Mikrogramm pro Liter Urin. „Der Unterschied zwischen beiden Gruppen beträgt somit Faktor 4,6“, stellt der Bericht fest. „Dies unterstreicht die ersten Hinweise des Umweltbundesamtes auf Sonnenschutzprodukte als eine Ursache für die Belastungen.“
In dem Bericht kommt das Ministerium jedoch auch zu dem Ergebnis, dass es eine weitere Quelle für das Abbauprodukt des Weichmachers im Körper der Kinder geben müsse. Bei einem Viertel der Kinder, die laut Eltern keine Sonnenschutzmittel benutzt hatten, seien ebenfalls Werte oberhalb der Bestimmungsgrenze gefunden worden. Laut Bericht lagen sie zwischen 1,62 und 28,3 Mikrogramm pro Liter Urin. Das könne als ein Hinweis interpretiert werden, dass neben den Sonnenschutzprodukten weitere Quellen für die Belastung durch das Abbauprodukt MnHexP verantwortlich sein könnten, heißt es.
Risiko Weichmacher: Toxikologen beraten am 22. März
Das Ministerium gibt in dem Bericht keine Einschätzung zu den gesundheitlichen Wirkungen der Belastungen ab. Es verweist auf eine erste, vorläufige Bewertung des Bundesinstituts für Risikobewertung (BfR). Darin kommen die Experten zu dem Ergebnis, dass die nachgewiesenen Konzentrationen keinen Anlass für eine erhöhte Besorgnis geben. Eine Expertenkommission des Umweltbundesamtes soll nun am 22. März eine Bewertung der gesundheitlichen Risiken erarbeiten.
Das BfR hatte aufgrund fehlender Daten die Erkenntnisse zu den Wirkungen anderer Weichmacher als Grundlage für eine Modellrechnung genutzt und daraus einen vorläufigen Bewertungsmaßstab für das Abbauprodukt MnHexP im Urin abgeleitet. Demnach beträgt der Wert für Kinder 21 bis 44 Mikrogramm pro Liter Urin und für Erwachsene 33 bis 70 Mikrogramm pro Liter Urin.
Bei den Proben der NRW-Kinder aus 2020/21 sei der Wert von 21 Mikrogramm in 98 Prozent der Proben nicht überschritten. Nur in einem Fall sei eine Belastung von 46 Mikrogramm pro Liter gemessen worden. Bei den Proben aus 2017/18 hätten die gemessenen Konzentrationen alle unter 21 Mikrogramm gelegen.
Appell an Eltern und Kinder: Nicht auf Sonnenschutzmittel verzichten
Das Ministerium wie auch das Umweltbundesamt warnen Verbraucher davor, auf Sonnenschutzmittel zu verzichten. Die UV-Strahlung (ultraviolette Strahlung) der Sonne sei ein bedeutender Risikofaktor für die Entstehung von Hautkrebs. Die Untersuchungsämter des Landes seien „mit Hochdruck“ damit befasst, eine Analysemethode für die Bestimmung des Weichmachers in Sonnenschutzmitteln zu entwickeln.
Toxikologen und Behörden halten es für möglich, dass bei der Herstellung des UV-Filters DHHB der Weichmacher als Nebenprodukt entstehen und möglicherweise das Endprodukt belasten kann. Der Chemiekonzern BASF sieht keinen Zusammenhang zwischen dem Fund des Weichmachers DnHexP in Sonnenschutzmitteln und den belasteten Urinproben von Kindern und Erwachsenen.
Weichmacher DnHexP wirkt stark auf das Hormonsystem
Der nun nachgewiesene Weichmacher DnHexP zählt in der Stoffgruppe zu den Phthalaten, die am stärksten auf das Hormonsystem des menschlichen Körpers wirken. Tierversuche an Ratten zeigten, dass die Substanz und auch sein Abbauprodukt MnHexP die männliche Fruchtbarkeit sowie das ungeborene Kind im Mutterleib schädigen kann.
Der Weichmacher ist seit vielen Jahren in der EU stark beschränkt beziehungsweise verboten. Die EU-Behörden stuften DnHexP in die Kategorie der „besonders besorgniserregenden Stoffe“ (Substances of Very High Concern, SVHC) ein. Bei ihnen handelt es sich primär um Stoffe, die krebserzeugend, erbgutverändernd oder fortpflanzungsgefährdend sind. Seit 2019 darf der Stoff in der EU ohne Zulassung grundsätzlich nicht mehr verwendet werden. In der EU-Kosmetikverordnung ist die Substanz seit 2019 als „verbotener Stoff“ aufgeführt.