Essen. Fieberhaft haben Toxikologen nach der Quelle eines gefährlichen Weichmachers gesucht. Nun wurden sie erstmals in Sonnenschutzmitteln fündig.

Seit Wochen suchen Toxikologen und Behörden in Deutschland und der EU nach der Herkunft des fruchtbarkeitsschädigenden Weichmachers DnHexP, dessen Abbauprodukt im Urin von Kita-Kindern in NRW und bundesweit auch bei Erwachsenen nachgewiesen wurde. Nun haben sie in Sonnenschutzmitteln erstmals eine relevante Quelle gefunden. Die Spur führt zur Chemischen Industrie.

Das Verbraucherschutzministerium Baden-Württemberg bestätigte auf Anfrage dieser Redaktion den Fund des Weichmachers in Sonnenschutzmitteln. Von 57 Proben aus den Jahren 2021 bis 2023 sei in 21 Proben der Weichmacher DnHexP nachgewiesen worden, sagte ein Sprecher. Der Verdacht von Behörden und Toxikologen in Deutschland richtet sich nun gegen einen UV-Filter, bei dessen Herstellung der Weichmacher als Nebenprodukt entstehen und möglicherweise das Endprodukt belasten kann. Diesen Verdacht von führenden Toxikologen bestätigte nun erstmals auch das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR).

Baden-Württemberg findet erstmals Weichmacher in Sonnenschutzmitteln

Die Spur führt zum UV-Filter DHHB, der in belasteten Proben der Sonnenschutzmittel enthalten war, wie das Verbraucherschutzministerium Baden-Württemberg bestätigt. Der UV-Filter, der als chemische Komponente als Granulat hergestellt wird, ist außer in Sonnenschutzmitteln auch in kosmetischen Pflegeprodukten wie Anti-Aging- oder Anti-Falten-Cremes sowie in Parfüms beigefügt. DHHB (Diethylamino hydroxybenzoyl hexyl benzoat) muss in der Zutatenliste des kosmetischen Produkts stehen, falls der UV-Filter hinzugefügt wurde.

Unsere Berichterstattung zum Fund des verbotenen Weichmachers:

DHHB ist der chemische Name des UV-Filters. Der Chemiekonzern BASF hat das Verfahren zur Herstellung der Substanz entwickelt, hielt und hält seit 2003 zu diesem UV-Filter mehrere Patente. BASF vertreibt den UV-Filter DHHB unter dem Namen Uvinul A Plus. Der Konzern ist nach eigenen Angaben der weltweit führende Anbieter von Inhaltsstoffen, die in Produkten für den UV-Schutz eingesetzt werden.

Toxikologen verweisen auf Patente: BASF beschreibt Verunreinigung bei Herstellung des UV-Filters

Führende Toxikologen, die namentlich nicht genannt werden wollen, hatten den UV-Filter DHHB seit kurzem als eine mögliche Quelle der Weichmacher-Belastungen unter Verdacht. Sie waren in den Patentschriften von BASF zur Herstellung des UV-Filters auf Textpassagen gestoßen, in denen BASF selbst eine Verunreinigung durch den Weichmacher DnHexP beschreibt, die bei der Herstellung eintrete. Die Dokumente liegen der Redaktion vor.

So beschreibt BASF in der Patentschrift WO2021/233805 A1 vom 25. November 2021, dass das Entstehen des Weichmachers DNHexP als Beiprodukt aufgrund des beschriebenen Herstellungsweges unvermeidbar sei. Das Endprodukt könne immer noch 50 bis 150 ppm (Anzahl der Teile pro Million) des Weichmachers enthalten. Der Gehalt an DnHexP müsse so gering wie möglich gehalten werden, da die Substanz die Fruchtbarkeit sowie das Kind im Mutterleib schädigen könne. Auch in der Patentschrift WO2023/242181 A1 vom 21. Dezember 2023 gibt BASF an, dass die Verunreinigung durch DnHexP „mit einigen Nachteilen“ verbunden sei, da sie nur mit hohem Aufwand, aber nicht vollständig abgetrennt werden könne.

Im Rahmen der Zulassung wurde der UV-Filter durch die EU-Kommission bewertet. Die Anwendung des Produkts stelle bei einer maximalen Konzentration von zehn Prozent in kosmetischen Produkten kein Gesundheitsrisiko für den Verbraucher dar, heißt es abschließend in dem Dokument, das dieser Redaktion ebenfalls vorliegt. Das Problem einer Verunreinigung ist nicht erwähnt.

Weichmacher im UV-Filter: BASF arbeitet an Stellungnahme

Die Redaktion hat BASF mit dem Sachverhalt konfrontiert. Das Unternehmen sah sich bis zum Zeitpunkt der Veröffentlichung „aus zeitlichen Gründen“ nicht in der Lage, eine Stellungnahme abzugeben. Ein Sprecher erklärte, die Fachabteilung sei mit der Beantwortung der Fragen beauftragt.

Ob bei weiteren Herstellern der Weichmacher DnHexP als Verunreinigung in den UV-Filtern enthalten sein könnte, ist derzeit unbekannt. Das Verbraucherschutzministerium NRW teilte auf Anfrage der Redaktion mit, dass dem Ministerium keine Erkenntnisse zu einem konkreten Verdacht gegen den UV-Filter vorliegen. Sonnenschutzmittel könnten in NRW erst dann auf den Weichmacher DnHexP untersucht werden, wenn das Analyseverfahren sicher etabliert sei, so ein Sprecher.

In Urinproben von Kita-Kindern aus NRW wurde das Abbauprodukt des gefährlichen Weichmachers zuerst nachgewiesen. Das Bochumer Speziallabor, Teil des Instituts für Prävention und Arbeitsmedizin der Gesetzlichen Unfallversicherung (IPA), ist bei der europaweiten Suche führend.
In Urinproben von Kita-Kindern aus NRW wurde das Abbauprodukt des gefährlichen Weichmachers zuerst nachgewiesen. Das Bochumer Speziallabor, Teil des Instituts für Prävention und Arbeitsmedizin der Gesetzlichen Unfallversicherung (IPA), ist bei der europaweiten Suche führend. © Funke Foto Services | Svenja Hanusch

Urinproben von Kindern: Spurensuche nach Weichmacher DnHexP begann in NRW

Toxikologen des Umweltbundesamtes und anderer Fachbehörden hatten bereits vor Wochen vermutet, dass Sonnenschutzmittel und kosmetische Pflegeprodukte eine mögliche Quelle der Weichmacher-Belastungensein könnten. Damals hatten die Experten angemerkt, dass Betroffene im Tagesverlauf dauerhaft mit dem Weichmacher in Kontakt gekommen sein mussten.

Die einem Krimi gleichende Spurensuche nach dem Weichmacher DnHexP hatte im Spätherbst vergangenen Jahres ihren Anfang in NRW genommen. Damals fanden Toxikologen des Bochumer Speziallabors unter Leitung von Holger Koch bei Nachuntersuchungen von 250 Urinproben von Kita-Kindern aus den Jahren 2020/21 in mehr als 60 Prozent der Proben das Abbauprodukt des Weichmachers DnHexP.

Weichmacher als Abbauprodukt auch bundesweit in Urinproben nachgewiesen

Anhand der Daten von Vergleichsproben aus den Jahren 2017/18 stellten Toxikologen des Landesamtes für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz in NRW fest, dass die Belastung der drei- bis sechsjährigen Kinder seitdem massiv angestiegen war und die Werte teils um das Zehnfache erhöht waren.

Auch in der aktuell laufenden Deutschen Umweltstudie zur Gesundheit wurden Toxikologen in rund einem Drittel der Urinproben von Erwachsenen fündig. Hochgerechnet auf die Bevölkerung bedeutet dies, dass die Substanz bei Millionen Menschen nachgewiesen werden kann, so die Experten. Das Umweltbundesamt schloss zu diesem Zeitpunkt ein gesundheitliches Risiko der Bevölkerung nicht aus.

Bundesinstitut für Risikobewertung: Bedenkliche Werte bei Kita-Kindern in NRW

Das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) in Berlin veröffentlichte am Wochenende eine erste Einschätzung zu gesundheitlichen Wirkungen des in Urinproben und nun auch in Sonnenschutzmitteln gefundenen Weichmachers. Demnach sieht die Behörde bei 95 Prozent der untersuchten Urinproben aufgrund der nachgewiesenen Konzentrationen „keinen Anlass für eine erhöhte Besorgnis“. Bei einzelnen Kita-Kindern aus NRW aber seien in den Urinproben aus 2020/21 Maximalwerte festgestellt worden, die einen errechneten Referenzwert überschritten.

Gesundheitliche Beeinträchtigungen durch verunreinigte UV-Filter in Sonnenschutzmitteln hält das BfR aktuell für „sehr unwahrscheinlich“. „DnHexP selbst ist als Inhaltsstoff in kosmetischen Mitteln verboten, er könnte aber als Verunreinigung von Ausgangsstoffen in solche Produkte eingetragen werden“, stellt die Behörde gleichwohl fest.

Weichmacher DnHexP: Keine Grenzwerte, kaum Daten und viele offene Fragen

Bei der Bewertung des gefundenen Abbauproduktes und des Weichmachers gebe es jedoch Unsicherheiten, merkt das BfR in seinem Bericht an. Da der Weichmacher DnHexP in der EU verboten sei, gebe es weder Grenzwerte noch Richtwerte, Auch die sonstige Datenlage sei lückenhaft. Eine Risikobewertung des Stoffes sei für den EU-Markt bislang noch nicht durchgeführt. Daher habe man eine Modellrechnung durchgeführt, die teils mit erheblichen Unsicherheiten behaftet sei.

Insbesondere könne das BfR keine Aussage darüber treffen, ob die Urinproben weitere Weichmacher enthielten und Kombinationswirkungen zu befürchten seien. Das Umweltbundesamt hatte davor gewarnt, dass Weichmacher additiv wirken, sich als Mischung untereinander in ihrer Wirkung verstärken können.