Siegen. Im Prozess gegen den Stiefvater legt die Nebenklage-Anwältin ein neues Beweisstück vor. Damit könnte sich der Angeklagte sogar selbst belasten.

Der Prozess gegen einen 38-jährigen Mann, der seine damals elf Jahre alte Stieftochter missbraucht und geschwängert haben soll, ist um ein weiteres ungewöhnliches Detail reicher. Am dritten Prozesstag rückte die Frage nach der Zeugungsfähigkeit des Angeklagten, der mehrere Kinder aus vorangegangenen Beziehungen hat, in den Fokus.

Die Verhandlung vor der 2. Großen Strafkammer des Landgerichtes Siegen startete am Montagmorgen zunächst erwartungsgemäß mit dem Antrag der Nebenklagevertreterin Jennifer Sauer, welche die heute zwölf Jahre alte Stieftochter vertritt, und der Staatsanwältin Katharina Burchert, die Öffentlichkeit erneut auszuschließen. Auch Verteidiger Daniel Nierenz konnte sich diesem Antrag anschließen.

Hintergrund ist die geplante Vernehmung von Zeugen aus dem familiären Umfeld des mutmaßlichen Opfers und des angeklagten Stiefvaters. So standen die Mutter des Mädchens und Ehefrau des 38 Jahre alten mutmaßlichen Täters ebenso auf der Liste wie die erwachsene Schwester des mutmaßlichen Opfers oder die Schwiegermutter des Angeklagten. Hinzu kommen weitere Menschen aus dem persönlichen Umfeld, beispielsweise Lehrer des mutmaßlichen Opfers.

Stiefvater ist Kindsvater.
Der Angeklagte beim Prozessstart Mitte Januar: Der Stiefvater soll seine Stieftochter missbraucht und geschwängert haben. © FUNKE Foto Services | Ralf Rottmann

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Umstände des Familienlebens kommen zur Sprache

Die Vorsitzende Richterin Sabine Metz-Horst erläuterte, dass der Ausschluss der Öffentlichkeit auch an zukünftigen Prozesstagen zu erwarten sei, dass aber jeweils einzeln an jedem Verhandlungstag darüber entschieden werde: „Es kommen hier Umstände aus dem Familienleben zur Sprache, die Schutz verdienen, nicht an die Öffentlichkeit gelangen sollen.“ Unter anderem gehe es um das Sexualleben des Angeklagten und auch des minderjährigen mutmaßlichen Opfers, begründete Metz-Horst die Entscheidung der Kammer.

Bereits am zweiten Verhandlungstag hatte sich diese Verfahrensweise angedeutet. Da hatte das mutmaßliche Opfer unter besonderen Vorkehrungen ausgesagt, damit es etwa nicht mit seinem tatverdächtigen Stiefvater in einem Raum sitzen musste.

Von der Kammer ist zudem bereits verkündet worden, dass auch die Plädoyers von Staatsanwaltschaft, Nebenklage und Verteidigung unter Ausschluss der Öffentlichkeit vorgetragen werden. Das Gleiche gilt für das letzte Wort des Angeklagten und die Urteilsbegründung, die für den 18. Februar vorgesehen ist. Weil sich aber die Nachfragen zu dem bundesweit beachteten Verfahren von Medien häufen und die Pressestelle stark belasten, erklärte die Vorsitzende Richterin Sabine Metz-Horst: „Zumindest der Urteilstenor wird öffentlich sein“. Das heißt also, zumindest bei der im Februar zu erwartenden Verkündung des Urteils werden Zuhörer und Medien zugelassen sein.

Anwältin: Angeklagter zweifelt Vaterschaft an

Noch ehe am Montagmorgen nach einer Viertelstunde der Saal von gut 15 Zuhörern und Medienvertretern geräumt wurde, legte die Nebenklagevertreterin Jennifer Sauer aber ein unerwartetes Beweisstück vor. Es handele sich um ein Spermiogramm, das der Angeklagte am 24. Mai 2023 bei einem medizinischen Gutachter in Auftrag gegeben haben soll. „Der Angeklagte zweifelt die Vaterschaft für seine Kinder an“, erläuterte Jennifer Sauer. Laut dem Gutachten, so die Anwältin des mutmaßlichen Opfers, verfüge der Angeklagte nur über zehn Prozent vorwärtsbeweglicher Spermien.

Anwältin Jennifer Sauer vertritt die Nebenklage.
Anwältin Jennifer Sauer vertritt die Nebenklage. © FUNKE Foto Services | Ralf Rottmann

Was genau die Nebenklage mit diesem Vorstoß bezweckt, blieb zunächst unklar. Sauer betonte, aber dass der Zeitpunkt dieser Untersuchung im Mai 2023 mit dem Tatzeitraum für die Missbrauchsvorwürfe im engen Zusammenhang stehe. Laut Anklage der Staatsanwaltschaft soll der Angeklagte seit 2020 mehrfach mit seiner Stieftochter Geschlechtsverkehr gehabt und im August 2023 die damals Elfjährige geschwängert haben. Am 23. Mai 2023, das wäre einen Tag vor dem erwähnten medizinischen Gutachten, soll er zudem die Mutter des mutmaßlichen Opfers geheiratet haben.

Möglicherweise soll das medizinische Gutachten die „Kondom-Theorie“ erschüttern. Sie fußt auf der ersten Aussage des mutmaßlichen Opfers, dass es sich in den Stiefvater verliebt und sich deshalb mit einem benutzten Kondom des Stiefvaters selbst geschwängert habe. Später hatte das Mädchen in den polizeilichen Vernehmungen ausgesagt, es sei von seinem Stiefvater sexuell missbraucht (und dabei geschwängert) worden.

Ein von der Staatsanwaltschaft beauftragtes erstes Gutachten einer Rechtsmedizinerin aus Köln hatte die Kondom-Theorie als sehr unwahrscheinlich, aber eben nicht gänzlich auszuschließen bezeichnet. Auf Antrag von Verteidiger Daniel Nierenz soll nun ein zweites Gutachten eines Reproduktionsmediziners gehört werden.

Das mutmaßliche Missbrauchsopfer hat im Mai 2024 eine Tochter per Kaiserschnitt entbunden und befindet sich in der Obhut des Jugendamtes des Kreises Siegen-Wittgenstein. Die Zwölfjährige ist in einer Kinder- und Jugendpsychiatrischen Einrichtung untergebracht.