Kreuztal. Bundestagsabgeordnete und Herausforderer diskutieren - ohne die AfD, aber über sie: Vielleicht einziger künftiger Abgeordnete aus SiWi nicht dabei..
Die Ampel kann auch gut ohne die anderen. „Du musst nicht so bepisst sein“, geht Guido Müller, der Bundestagskandidat der FDP, irgendwann Luiza Licina-Bode an, die Siegen-Wittgensteiner SPD-Abgeordnete im Bundestag, als die Podiumsdiskussion im Johannesheim Kreuztal auf Betriebstemperatur kommt. „Das ist auch euer Koalitionsvertrag“, erinnert Grünen-Abgeordnete Laura Kraft den Freidemokraten. Und seufzt später: „Wir waren zu dritt in dieser Ehe.“ Benedikt Büdenbender, Kandidat der CDU, und Katrin Fey, Kandidatin der Linken, müssen da nur zuschauen.
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Kreuztal: Diskussion zur Bundestagswahl in Siegen - die Abwesenden
Über den Elefanten im Raum spricht lange Zeit niemand. „Es gibt nicht so viele Podiumsdiskussionen, wo so viele Kandidatinnen und Kandidaten vertreten sind“, sagt Matthias Vitt vorsichtig. Der Caritas-Vorstand ist Moderator der Veranstaltung, zu der die Kolpingsfamilie die Kandidaten der im Bundestag vertretenen Parteien eingeladen hat. Also nicht Andreas Klein, den Direktkandidaten der Werteunion, der im Saal Platz nimmt. Aber auch nicht Christian Zaum, Wahlkreiskandidat der AfD. Die Kreuztaler Kolpingsfamilie legt den „Unvereinbarkeitsbeschluss“ ihres Bundesverbandes eng aus: „Die Positionen der Partei ‚Alternative für Deutschland‘ (AfD) widersprechen den verbandlichen Grundsätzen und dem Leitbild von Kolping.“
Kreishandwerkerschaft und Bezirksschülervertretung dagegen holen AfD-Mann Zaum, der auch Vorsitzender der AfD-Kreistagsfraktion und des AfD-Bezirksverbandes ist, aufs Podium – laden dazu allerdings auch nicht öffentlich ein. Tatsächlich könnte Christian Zaum in der nächsten Legislaturperiode einziger Abgeordneter aus dem Kreis Siegen-Wittgenstein sein. Er hat einen sicheren 10. Platz auf der AfD-Landesliste. Benedikt Büdenbender könnte zwar – wie zuvor Volkmar Klein – den Wahlkreis gewinnen, aber trotzdem kein Mandat bekommen, wenn die CDU insgesamt nicht genug Sitze im Bundestag erringt.
„Die AfD ist demokratisch gewählt, aber sie ist keine demokratische Partei.“
Wie denn die Demokratie zu retten sei, fragt Matthias Vitt irgendwann. Guido Müller (FDP) wendet sich an seine Mitbewerber: „Das erste Problem ist, dass ihr unzufrieden seid, wen die Menschen wählen.“ Zu 25 Prozent nämlich keine der auf dem Podium vertretenen Parteien. Müller wird deutlich: „Die AfD ist eine demokratische Partei.“ Im Saal wird es laut, ein Teil des Publikums widerspricht. Den Beifall bekommt Laura Kraft (Grüne): „Die AfD ist demokratisch gewählt, aber sie ist keine demokratische Partei.“ Es sei aber auch kein Wunder, dass Menschen sich abwenden, meint Benedikt Büdenbender – die Bundesregierung lebe den Grund dafür vor. „Es hilft, gute Politik zu machen.“
„Ich fahre gern mit der Bahn, auch wenn man da viel Zeit mitbringen muss.“
Podiumsdiskussion zur Bundestagswahl in Siegen-Wittgenstein: Die Anwesenden
Benedikt Büdenbender (35) ist der Favorit in der Runde. Als wissenschaftlicher Mitarbeiter ist der Politikwissenschaftler bei Volkmar Klein in die Lehre gegangen, hat ihn bereits als CDU-Kreisvorsitzender beerbt. Der (Netphen-)Salchendorfer will „unser Land nach vorn bringen“ und hat auch sonst die Wendungen drauf, die man halt im Wahlkampf braucht. Zum Beispiel: „Der Sozialstaat darf nicht die unterstützen, die arbeiten können, aber nicht wollen.“ Oder: „Wir müssen wehrhaft sein, damit wir uns nicht wehren müssen.“ Büdenbender formuliert kontrolliert, lässt alle Türen offen. „Ich fahre gern mit der Bahn, auch wenn man da viel Zeit mitbringen muss.“ Aber auch: „Bei uns ist man ohne Auto aufgeschmissen.“ Und gesellt sich, beim Blick auf die Rahmede-Talbrücke, auch mal zu den Kritikern des politischen Apparats: „Ich verstehe jeden, der Parteien nicht mehr zutraut, Probleme zu lösen.“ Büdenbender ist gemäßigt im Ton, wenn er mit Blick auf die Ampel über die Jahre spricht, „die vielleicht nicht so gut liefen“, kann aber auch Attacke, wenn er Luiza Licina-Bode „Fake News“ vorwirft: „Bei Ihnen sind immer die anderen schuld – ich weiß auch nicht …“
„Wir wollen soziale Politik statt sozialer Kälte.“
Luiza Licina-Bode (52) kommt nur dann ein zweites Mal in den Bundestag, wenn die SPD ein gutes Gesamtergebnis erreicht, auf der NRW-Landesliste hat die Volljuristin Platz 26. Sie ist die einzige, die ein Laptop am Stehtisch aufklappt, spricht schnell und reißt trotzdem fast jede Zeitvorgabe – wobei sie die parlamentarische Kunst beherrscht, konzentriert weiterzusprechen, während ein anderer längst an ihrem Mikrofon schraubt. Auch sie ruft die kondensierten Botschaften ab: „Wir wollen soziale Politik statt sozialer Kälte.“ Sie steht zu Bundeskanzler Olaf Scholz: „Wir können wirklich froh sein, dass er sich so verhält, wie er sich verhält.“ Und sie mag die CDU nicht: „Die will nur die Millionäre entlasten.“ Die Bad Laaspherin hat keine Scheu, die eigene Rolle herauszustellen (“Unheimlich rührig war ich da“). Und weiß, was in Kreuztal wichtig ist. Dass der Thyssenkrupp-Vorstand den Standort Eichen – sie sagt: Littfeld – aufgeben wolle, nachdem der Konzern staatliche Förderung für ein grünes Stahlwerk in Anspruch genommen habe, sei „eine Dreistigkeit“: „Ich habe mich sehr geärgert.“
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Laura Kraft (34) hat eine Chance auf eine zweite Legislaturperiode, wenn die Grünen – entgegen den Prognosen – ihr Ergebnis gegenüber 2021 verbessern. Ansonsten ist für die Literaturwissenschaftlerin, die einzige in der Runde ohne Tik-Tok-Account, Platz 37 (2021: 23) aussichtslos. Sie nennt sich selbst ein – hessisches – „Dorfkind“. Das aber den „modernen Staat“ (“alles ein bisschen digitaler“) zu schätzen weiß und, wenngleich Geisteswissenschaftlerin, in der Industrieregion heimisch geworden ist: „Wir wollen, dass Stahl eine Zukunft hat. Und die ist grün.“ Sie spricht über die örtlichen Beiträge für ein Wasserstoff-Leitungsnetz („Da können wir einiges tun“) und teilt Begeisterung: „Wir haben im Siegerland das älteste Familienunternehmen und den ersten Quantencomputer Deutschlands.“ Laura Kraft verteidigt das Bürgergeld, fordert die Kritiker dieser Sozialleistung auf, „nicht permanent nach unten zu treten“. Schließlich seien die, die auf das Bürgergeld angewiesen seien, durchweg nicht glücklich mit ihrer Lage: „Die Leute möchten von ihrem Lohn leben können.“ Und dann kehrt sie den üblichen Spruch um. „Staat und Politik müssen den Menschen wieder mehr vertrauen.“
„Wir müssen den Menschen neue Jobs verschaffen.“
Guido Müller (51), Marketing-Mann, „vor allem Familienvater“, kämpft vor allem für die FDP, die um den Wiedereinzug in den Bundestag bangen muss – er selbst, engagiert als Vorsitzender der FDP-Kreistagsfraktion, hat keine Chance auf ein Mandat. Er ist ein Meister der freien Rede und ein Freund der Provokation. Auf eine Zukunft von Thyssenkrupp Steel, weder in Eichen noch anderswo, würde er zum Beispiel nicht bauen: „Wir müssen den Menschen neue Jobs verschaffen.“ Und nennt Kreuztal Unternehmen wie Falkenhahn, Georg und Achenbach: „Guckt auf die Kleinen. Alle von denen suchen Mitarbeiter.“ E-Mobilität? Wenn alle abends zu Hause das Auto an die Steckdose anschließen, breche das Netz zusammen. „Ich habe mir einen Diesel bestellt.“ Guido Müller fragt: „Wer fühlt sich denn abends sicher auf der Straße?“ Er in Siegen nicht. Murren im Saal. Müller zuckt die Achseln: „Wenn die SPD sich auf dem Roten Platz in Kreuztal sicher fühlt...“
„Der fossile Kapitalismus ist am Ende.“
Katrin Fey (57) arbeitet als Sozialpädagogin in der Kinder- und Jugendpsychiatrie der DRK-Kinderklinik. Zu den Linken sei sie im Zuge der Flüchtlingswelle gekommen, bis dahin war sie in der SPD. Die Lehrerstochter, die mit der Friedensbewegung der 1980er Jahre groß geworden ist, hat die zum Buch gebundenen Briefe ihres Großvaters vom Krieg in Russland mitgebracht, dazu reicht die Zeit an diesem Abend nicht. Katrin Fey beherrscht ziemlich hölzern klingende Sätze. „Der fossile Kapitalismus ist am Ende.“ Zum Beispiel. Sie ruft Widerspruch hervor: Als sie das Wahlalter mit 16 fordert. Und darauf hinweist, dass Migranten nicht als Verbrecher einwandern, sondern sich meist erst hier radikalisieren. „Daran ist also Deutschland schuld?“, ruft ihr eine Frau entgegen. Katrin Fey berichtet aus der eigenen Arbeit: über Menschen auf Wohnungssuche, weil ihnen das Jobcenter die Mieter für die zu große Wohnung nicht mehr bezahlt, und von Menschen, die vom Lohn für ihre Arbeit nicht leben können. Sie überrascht, als sie auf die Frage nach ihrem Sicherheits-Thema ganz anders antwortet als die anderen. „Mir fallen sofort die Femizide ein.“ Frauen, fordert Katrin Fey, müssen besser geschützt, männlichen Gewalttätern Fußfesseln angelegt werden. In den Bundestag kommt die Hilchenbacherin damit nicht.
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