Siegen. „Das wird Ärger geben“, ahnt Siegens Kämmerer. Gegen die neuen Grundsteuerbescheide wird es wohl Einsprüche und Klagen hageln.

Kämmerer Wolfgang Cavelius weiß, dass die Nikolausmütze fehl am Platz ist. Für das, was er mitzuteilen hat, hätte er sich besser als Knecht Ruprecht eingekleidet. Es geht um die Grundsteuer. „Das wird Ärger geben“, ahnt er. Denn die Bescheide, die den Eigentümern von 35.480 Grundstücken im Februar ins Haus flattern, werden für manche eine deutliche Mehrbelastung bedeuten. Und Cavelius weiß, dass die Berechnungen angreifbar sind. Wobei verantwortlich dafür Bund, Finanzamt und Land sind. „Uns wird das mit der Schubkarre vor die Rathaustür gekippt.“

Was kommt auf die Grundstückseigentümer zu?

Ein Hebesatz von 770 Prozent für Wohn- und vom 1540 Prozent für Nichtwohngrundstücke, statt bisher einheitlich 684 Prozent, wenn der Rat das am Mittwoch, 18. Dezember, so beschließt. Die Stadt nimmt dadurch gerade einmal 660.000 Euro mehr ein, was bei insgesamt 26,5 Millionen Euro nicht viel ausmacht – es sind einfach ein paar Grundstücke dazu gekommen. Aber für die einzelnen Eigentümer können die Unterschiede gravierend sein. Für ein Einfamilienhaus kann sich die Steuerlast von 171 auf 520 Euro verdreifachen, sie kann aber auch gleich bleiben oder sich ermäßigen. Ähnlich bei einer Eigentumswohnung: Da kann die jährliche Grundsteuer von 246 auf 634 Euro steigen, aber auch von 460 auf 442 Euro fallen. Auch für Grundstücke mit Mietwohnungen, mit Wohn - und Geschäftshäusern und mit Gewerbegrundstücken hat der Kämmerer ähnliche Beispiele parat.

Wolfgang Cavelius
Knecht Ruprecht wäre passender: Siegens Kämmerer Wolfgang Cavelius. © WP | Steffen Schwab

Woran liegt das?

Die Grundstücke mussten durch das Finanzamt neu bewertet werden. Das haben die Grundstückseigentümer in einer Steuererklärung getan. Bei Wohngrundstücken wurden Bodenrichtwerte, ortsübliche Nettokaltmiete, Alter des Gebäudes, erfolgte Sanierungen und Modernisierungen abgefragt. Bei Nichtwohngrundstücken wurde anders gerechnet: Da waren Bodenwert und Kosten für den Neubau abzüglich Abnutzung die wichtigsten Faktoren. Heraus kommen neue Messbeträge, die dann mit den örtlichen Hebesätzen für die Grundsteuer multipliziert werden. „Das hängt letztlich mit der Wertsteigerung der Immobilien zusammen“, erklärt Wolfgang Cavelius.

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Wo sind die Fußangeln?

Die Messbeträge haben sich unterschiedlich entwickelt: In Siegen sind sie bei Wohngrundstücken fast gleich geblieben, bei Nichtwohngrundstücken sind sie um mehr als die Hälfte zurückgegangen. Um das auszugleichen, wäre eine Erhöhung des Grundsteuer-Hebesatzes auf 959 Prozent erforderlich geworden. Das hätte die Belastung für Wohngrundstücke noch stärker erhöht. „Das hätte das Wohnen erheblich verteuert“, sagt Kämmerer Wolfgang Cavelius. Die Einführung unterschiedlicher Hebesätze für Wohn- und Nichtwohngrundstücke, wie sie das Land empfiehlt, sei daher „aus sozialpolitischen Gesichtspunkten geboten“. Nur: Darüber, ob dieses „NWGrStHsG“ (Abkürzung für „Nordrhein-Westfalens Grundsteuerhebesatzgesetz“) vor Gericht Bestand haben kann, darüber streiten sich die Juristen. Wolfgang Cavelius erwartet „jahrelange Rechtsunsicherheit“. Das Risiko der Stadt beziffert er auf vier Millionen Euro, wenn die Stadt auf den niedrigeren Hebesatz für alle, also 770 Prozent, zurückgehen muss.

Wer hätte Grund zu klagen?

Angreifbar ist nicht nur die Differenzierung der Hebesätze an sich. Sondern auch der Abstand. Das Land empfiehlt, nicht mehr als im Verhältnis 1:2 zu „spreizen“, so wie Siegen das mit 770 und 1540 Prozent tut. Ausdrücklich vorgeschlagen werden aber vom Land 678 und 1789 Prozent, also für die Nichtwohn-Grundsteuer das 2,6-Fache der Wohn-Grundsteuer. Das macht einen Unterschied. In einem Wohn- und Geschäftshaus können sich Entlastungen auf ein Fünftel verringern und Belastungen verdoppeln, je nach Rechenweise – für alles gibt es Beispiele.

Kann ich meine Grundsteuer selbst ausrechnen?

Für Eigentümer ganz einfach: den neuen Messbetrag auf dem Grundsteuerbescheid mit dem geplanten Hebesatz 770 Prozent multiplizieren. Für Mieter etwas umständlicher: Die Grundsteuer erscheint in der Nebenkostenabrechnung. Wenn man den alten Betrag durch 684 teilt und den so ermittelten Messbetrag mit 770 multipliziert, kommt man auf die neue Summe – allerdings nur, wenn der Messbetrag ungefähr gleich geblieben ist. Wenn man aber in einem Wohn- und Geschäftshaus zur Miete wohnt, wird der Vermieter als Eigentümer eines Nichtwohngrundstücks behandelt.

Was ist mit der Grundsteuer C?

Das wäre eine neue Grundsteuer für Grundstücke, die bebaut werden können, aber nicht bebaut sind. „Die werden auch so teurer“, begründet Wolfgang Cavelius, warum die Stadt Siegen diese Steuer nicht einführt. Die Beispiele reichen bis zu einer Verzehnfachung. Bewirkt werden soll, dass auf baureifen Grundstücken auch tatsächlich Wohnraum geschaffen wird.

Warum das alles?

Weil das Bundesverfassungsgericht 2018 geurteilt hat, dass die Grundsteuer nicht mehr nach den zuletzt 1964, im Gebiet der ehemaligen DDR sogar 1935 berechneten Messbeträgen berechnet werden darf. Der Bund hat daraufhin 2019 ein neues Gesetz verabschiedet, in dem auch die Bodenrichtwerte eine Rolle spielen: Das macht gefragte Neubaugebiete, in denen aktuell viele Grundstücke gekauft werden, besonders teuer. „Da kommt die erste Unwucht rein“, sagt Wolfgang Cavelius. Fortsetzung: siehe oben.

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