Siegen. Rapper Mohammed El Chartouni drückt die Trauer um seine fünfjährige Nichte in einem Text aus: „Ich habe noch nie Schrecklicheres gesehen.“

Miriam war ein fröhliches kleines Mädchen, das neugierig in die Kamera blickt. Ein Foto, das fast überall in der Welt hätte entstehen können. Nur nicht im Gaza-Streifen und seit einigen Monaten im Libanon. Gebiete, die seit dem Hamas-Angriff auf Israel vom 7. Oktober 2023 Ziele israelischer Bombardierungen sind. Schon am ersten Tag der Angriffe auf den Libanon starben 1400 Menschen, darunter auch Miriam, die Tochter von Mohammed El Chartounis Cousin.

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1989 vor dem Krieg im Libanon geflohen

Noch im Sommer des letzten Jahres war Mohammed El Chartouni („Moe“) mit seiner Mutter zwei Wochen zu Besuch im Heimatdorf seiner Familie. Sie erlebten unbeschwerte Tage im Kreis der Verwandtschaft. Es gab einfaches Essen, es wurde viel gelacht und auch erzählt. Doch das Dorf gibt es nicht mehr, ist von der Landkarte verschwunden. Auch das Grab seines verstorbenen Vaters, der nach seinem Tod zurück in die alte Heimat überführt worden war, gibt es nicht mehr. „Das Haus vom Cousin meiner Mutter, das hart erarbeitet war und in dessen Garten wir noch im letzten Jahr saßen, liegt in Trümmern,“ erzählt Moe.

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„Krieg war immer ein Teil unseres Lebens“, sagt Mohammed El Chartouni, und er erinnert sich noch heute an die Angriffe der israelischen Armee, die er als Vierjähriger miterleben musste. Ein prägendes Erlebnis ist, dass das elterliche Haus nach einer Bombardierung in seinen Grundfesten bebte, während er gerade in der Badewanne saß. Vor diesem Kriegsgeschehen floh die Familie 1989 aus dem Libanon nach Deutschland, fand in Kreuztal eine neue Heimat, Mohammed später durch ein Studium an der Uni Siegen seinen Beruf als Sozialarbeiter und gemeinsam mit Freunden die Liebe zur Musik, speziell zum Rap.

Siegen wurde zur zweiten Heimat

Mit der Band „Rapresidents“, zehn Musiker aus acht Ländern, traten sie in mittelgroßen Hallen auf und produzierten CD`s. Vielen Apollo-Besuchern bleibt sein Auftritt beim Martin Luther King Programm „Ich habe einen Traum“ im Gedächtnis, als er mit seinem Rap  „Geschichten von Mama“ die dramatische Familiengeschichte der El Chartounis erzählte. Wichtig auch die Begegnung mit dem unvergessenen Werner Hahn, mit dem er im Apollo die Programme „Fahr deinen Film“  und „Zugzwang“ entwickelte.

„  Ich habe noch nie Schrecklicheres gesehen als Bilder verstümmelter Menschen in Gaza und dem Libanon.“

Mohammed El Chartouni, Rapper und Sozialarbeiter

„Ich habe Siegen immer geliebt“, sagt Mohammed El Chartouni, „und Deutschland sehr geschätzt.“ Es wurde zur zweiten Heimat, besonders weil nach den Kriegserfahrungen Werte wie Meinungsfreiheit, Menschenrechte, Menschenwürde geachtet zu werden schienen. Dass diese Werte und Begriffe allerdings dehnbar sind, zeigt sich, so Mohammed El Chartouni, in der medialen Berichterstattung über den Krieg im Nahen Osten. „Der Überfall der Hamas am 7. Oktober war barbarisch, was danach an Leid für die Zivilbevölkerung in Gaza und im Libanon folgte, aber auch“, sagt Moe, der eine Veränderung in der öffentlichen Wahrnehmung feststellt: Es finde kaum Beachtung, dass inzwischen mehr Kinder in Gaza gestorben seien als in allen Kriegen weltweit in den letzten vier Jahren. Auch die verzweifelte Flucht der Menschen in den Irak und nach Syrien oder den Norden des Libanon in christliche Gebiete, wo sie gut aufgenommen werden, finde zu wenig Aufmerksamkeit. 

Der frühe Tod der kleinen Miriam
Mohammed El Chartouni betrauert den Tod seiner fünfjährigen Nichte durch einen Luftangriff der israelischen Armee. © Wolfgang Leipold | Wolfgang Leipold

Vier Angehörige sind tot, alle Familien verloren ihre Häuser

Die Angriffe Israels auf den Libanon treffen Moe‘s Familie mit voller Wucht: Sein Vater hatte zehn Geschwister, die Mutter neun. Keine der Familien lebt mehr in der eigenen Wohnung. Außer Miriam wurden noch drei weitere Verwandte durch Bomben getötet. Er selbst informiert sich über das Kriegsgeschehen vor allem mit Hilfe seines Smartphones: „Ich habe in meinem Leben noch nie Schrecklicheres gesehen als Bilder verstümmelter Menschen in Gaza und dem Libanon, Kinder unter Trümmern, die um Hilfe flehen, Eltern, die sie mit bloßen Händen zu retten versuchen. Wenn du eine Person, die du kennst, verlierst: Das macht was mit dir. Dort aber verlieren Menschen ihre ganze Familie. Wer das nicht wahrnimmt, ist ein Monster.“

Doch Mohammed El Chartouni wäre nicht Musiker, wenn er seine Gedanken zu all dem nicht auch in einem Raptext verarbeiten würde. „Die Zeit dreht sich, die Welt vergeht und der Fokus ist leider verzerrt, Bilder spiegeln die Wahrheit nicht mehr, sie ist zu weit entfernt, verglüht wie ein Stern.“

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Der frühe Tod der kleinen Miriam
Schon am ersten Tag der Angriffe auf den Libanon starben 1 400 Menschen, darunter auch Miriam, die Tochter von Mohammed El Chartounis Cousin. © Wolfgang Leipold | Wolfgang Leipold