Siegerland. Mehrgeschossige Fabriken und neuer Aufwand für Windenergiepläne: In Siegen-Wittgenstein ist der Ärger über die Bezirksregierung Arnsberg groß.
Es geht um Wohnbauflächen, Gewerbegebiete, Natur- und Landschaftsschutzgebiete, Überschwemmungsgebiete und Kaltluftschneisen und, unter anderem, um Windenergiebereiche. Der Regionalrat hat die Einwendungen aus dem Kreis Siegen-Wittgenstein, dem Kreis Olpe und dem Märkischen Kreis auf dem Tisch. Einige tausend Seiten Papier wären auszudrucken, wenn es keine Dateien gäbe.
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Der Regionalrat hat jetzt beschlossen, dass – nach dem Einleitungsbeschluss von 2017 und der öffentlichen Auslegung von 2021 – der Entwurf ein weiteres Mal offengelegt werden soll. 4619 Stellungnahmen kamen aus der „Öffentlichkeit“, also von Bürgerinnen und Bürgern. Darüber hinaus haben sich 116 „öffentliche Stellen“, das sind Städte und Gemeinden sowie Fachbehörden, geäußert. 235 Änderungen wurden daraufhin am Entwurf des Regionalplans vorgenommen. Nach Erörterungsgesprächen blieben 457 Einwände stehen, über die sich Einwender und Bezirksregierung nicht einigen konnten.
Siegen-Wittgenstein: Was die Kommunen von der Bezirksregierung halten
Das Werk, mit dem sich Behörden und Politik befassen, hat gewaltige Dimensionen. Damit es auf kleineren Rechnern überhaupt geöffnet werden kann, sind die Dateien in 20-Megabyte-Päckchen „aufgebrochen“ worden. An die Unmengen von Papier, die bedruckt werden müssten, wird wohl niemand gedacht haben. Wer alles in die Hand nehmen will, von den Festlegungen und Erläuterungen über die Begründung bis zum Umweltbericht, von der Liste der Verfahrensbeteiligten bis zur Abwägung der einzelnen Einwendungen, der hat mehr als 14.000 Blatt vor sich gestapelt liegen.
„Die überwiegende Mehrheit der Öffentlichkeit wird die Unterlagen nicht verstehen und nachvollziehen können.“
Die schiere Fülle ist es denn auch, die von den Städten und Gemeinden mehr oder weniger stark kritisiert wird, verbunden mit der Frage, ob all das wirklich in einen Regionalplan gehört oder nicht besser den Kommunen selbst zur Entscheidung überlassen werden sollte.
„Der Regionalplanentwurf ist weitgehend überflüssig. Der Regionalplanentwurf verstößt gegen das Grundgesetz und gegen die Verfassung für das Land Nordrhein-Westfalen.“
„Der Regionalplanentwurf ist mit über 6.700 Seiten viel zu umfangreich, überdimensioniert, teilweise unübersichtlich und mitunter schwer verständlich und lesbar“, schreibt zum Beispiel die Stadt Hilchenbach, „die überwiegende Mehrheit der Öffentlichkeit, als fachrechtliche Laien, wird die Unterlagen nicht verstehen und nachvollziehen können.“ Die Nachbarstadt Kreuztal wird deutlicher: „Der Regionalplanentwurf ist weitgehend überflüssig. Der Regionalplanentwurf verstößt gegen das Grundgesetz und gegen die Verfassung für das Land Nordrhein-Westfalen. Es wird versucht, Dinge im Detail zu regeln, die auf dieser Ebene und in diesem Maßstab nicht regelbar sind und deren Regionalbedeutsamkeit daher anzuzweifeln ist.“ Der Begriff „Planungshoheit der Kommune“ finde sich auf 314 Seiten nur ein einziges Mal.
Das Verhandlungsklima scheint durchaus angespannt gewesen zu sein. Zu den Protokollen der
Werkstattgespräche zwischen Stadt und Bezirksregierung seien Korrekturwünsche nicht berücksichtigt worden, stellt die Stadt Kreuztal fest. „Die Weigerung erfolgte in einem hier bekannten Fall sogar durch eine Bedienstete der Bezirksregierung, die beim Gespräch gar nicht anwesend war (...) Dies verdeutlicht die Haltung und Arbeitsweise der Bezirksregierung exemplarisch und eindrucksvoll.“ In wichtigen Punkten seit der Regionalplan „nicht annähernd konsensual“ erarbeitet, „sondern trotz der Beteiligungsrunden bis zum Erarbeitungsbeschluss unter Verschluss gehalten“ worden, kritisiert die Stadt Siegen.
Siegen-Wittgenstein: Warum die Städte mit ihren Flächen nicht auskommen
Die Stadt Freudenberg wundert sich, dass der Regionalplan einerseits aus Klimaschutzgründen aufgelockerte Bebauung, andererseits aber verdichtete Bebauung fordert, um Fläche zu sparen. „Je intensiver Grundstücke genutzt werden, umso intensiver ist auch die Belastung für das Klima durch Hitze oder Wärmeinseln, die durch den hohen Versiegelungsgrad hervorgehoben werden. Die gelockerte Bebauung gerade in den ländlichen Bereichen führt zu einem besseren Klima als die intensive Bebauung mit hohem Versiegelungsanteil.“ Die klimaneutrale Umsetzung eines Gewerbe- und/oder Industriebereiches sei in einer Mittelgebirgsregion nicht möglich. „Es ist nicht möglich, Flächen für die Nachverdichtung zu nutzen und sie gleichzeitig aus Klimaschutzgründen zu erhalten“, fasst die Stadt Kreuztal zusammen. Das sei „paradox“.
„In der Folge werden sich das Bauland und die Mieten verteuern. Generell steht zu befürchten, dass künftig große Bevölkerungsteile sich nur noch unsanierte Altbauwohnungen leisten können.“
Für Verärgerung sorgt das Zusammenstreichen von Reserveflächen für Wohnen und Gewerbe. „Wer bisher sorgsam mit der Siedlungsstruktur und mit dem Freiraum umgegangen ist, wird benachteiligt, da er zukünftig nichts mehr entwickeln darf. Die Gebiete, die dies bisher nicht berücksichtigt haben, können weitermachen wie bisher.“ In diesem Bereich zeige sich „der Widerspruch des gesamten Regionalplanentwurfes. Die Kommunen sollen Baulücken aktivieren und Brachflächen vorrangig reaktivieren. Gleichzeitig sollen klimawirksame Flächen nicht nur erhalten, sondern weitere geschaffen werden“. Bei den höchsten Durchschnitts-Grundstückspreisen des gesamten Kreises Siegen-Wittgenstein sei es schwierig, bei sehr eingeschränkten Planungsvoraussetzungen bezahlbaren Wohnraum zur Verfügung zu stellen. „Soweit dies jedoch nicht möglich ist, werden die Grundstückspreise weiter steigen.“
Ärger in Siegen-Wittgenstein über Vorgaben, wie Gebäude zu bauen sind
Mehrere Kommunen beanstanden das Verfahren, wie Flächenbedarf bemessen wird. „Da der vorhandene Bedarf an Wohnbauland schon seit längerem nicht mehr gedeckt ist und künftig kaum noch Alternativen für die Bereitstellung von Wohnbauland gegeben sein werden, werden die Verhandlungen mit Grundeigentümern erschwert“, führt die Stadt Kreuztal aus. „In der Folge werden sich das Bauland und die Mieten verteuern und letztendlich nur noch materiell besser Gestellte sich Eigentum oder auch nur Mieten in Neubauten oder gut erhaltenem Bestand leisten können. Generell steht zu befürchten, dass künftig große Bevölkerungsteile sich nur noch unsanierte Altbauwohnungen leisten können, die dann aber mit höheren Nebenkosten durch Heizen einhergehen. Davon sind dann häufig alte Menschen, aber auch Familien und Alleinerziehende betroffen. Eine Planung, die derartige soziale Schieflagen ermöglicht oder erst noch deutlich verstärkt, ist in hohem Maße unsozial.“
16 Wohnungen je Hektar sind zum Beispiel in Burbach vorzufinden. Dagegen setzt der Entwurf des Regionalplans 30 Wohnungen je Hektar. „Bei allem Verständnis für eine zukünftig beabsichtigte noch stärkere Siedlungsverdichtung zugunsten von Freiraum, für die sich die Gemeinde im Übrigen seit Jahren mit Hilfe zahlreicher städtebaulicher Instrumente einsetzt, ist die genannte knapp doppelt so hohe Dichteannahme gegenüber der bisherigen Siedlungsentwicklung weder städtebaulich und siedlungsstrukturell vertretbar, noch realistisch“, heißt es in der Stellungnahme der Gemeinde.
Eine Dichte von 30 Wohnungen je Hektar würde bedeuten, dass zukünftig deutlich mehr Wohnraum auf der geringen zur Verfügung stehenden Fläche realisiert werden müsste, rechnet die Stadt Netphen vor. In einem Baugebiet dürften dann noch zur Hälfte freistehende Einfamilienhäuser gebaut werden, auf den zwei weiteren Vierteln Reihenhäuser und Geschosswohnungsbau. „Diese verdichtete Bauweise entspricht in keiner Weise der typischen Siedlungsstruktur des Stadtgebietes.“ Die vielen Anfragen an die Stadt Netphen ließen dagegen „deutlichen Bedarf“ an Einfamilienhäusern erkennen.
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Die Gemeinde Wilnsdorf rechnet für ihr geplantes Wohnbaugebiet Hofacker II in Wilgersdorf: Auf vier Hektar seien 50 Wohnbaugrundstücke geplant, das wären 12,5 Wohnungen je Hektar, bei mehreren Wohnungen in einem Haus 17,5. Mit 30 Wohnungen je Hektar würden sich im Baugebiet Hofacker II insgesamt 120 Wohneinheiten ergeben. Die Grundstücke wären dann nur 330 m² groß. „Dieses Maß an städtebaulicher Verdichtung ist bisher weder geplant noch von Bauwilligen nachgefragt und wird auch nicht auf Akzeptanz im Umfeld in den Ortschaften stoßen“, erklärt die Gemeinde, die Menschen, die im ländlichen Raum und speziell in der Gemeinde Wilnsdorf bauen und wohnen wollen, suchen nach wie vor Platz und Aussicht, wollen Gärten anlegen und in den Gärten leben, eben anders als im urbanen Raum.“
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Wenig anfangen können die Kommunen mit der Vorgabe, Gewerbeflächen dadurch einzusparen, dass Betriebe mehrgeschossig gebaut werden. Da sei „die Einflussnahme der Kommune begrenzt“, stellt zum Beispiel die Stadt Hilchenbach fest, „ein Eingriff in die Betriebsabläufe ist weder gewollt noch möglich“. Kein Betrieb werde das von sich aus „ohne größere Not“ tun. Es obliege „der kommunalen Abwägung, ob mehrgeschossige Gewerbebauten möglich sind oder nicht“, erwidert die Bezirksregierung. Die Stadt warnt: Solche Vorgaben könnten dazu führen, „dass eine Neuansiedlung von Gewerbebetrieben unterbleibt. Der Grundsatz stellt sich somit als realitätsfern dar.“
Alte Siegtalbrücke erhalten?
Die Stadt Hilchenbach setzt sich vergeblich für die Ausweisung eines Freizeit- und Erholungsgebietes auf dem Giller ein, nennt Ginsberger Heide und Ginsburg, Jugendwaldheim und Liftschänke, Ranger und Kultur Pur, Gillerbergturm. Wintersport und Wanderwege. Die Bezirksregierung kontert mit Flora-Fauna-Habitat-Schutzgebieten (FFH) und Biotopverbundflächen „und empfiehlt eine Kontaktaufnahme mit der Unteren Naturschutzbehörde (Kreisverwaltung, d. Red.). um die Realisierungschancen zu ermitteln“.
Die Gemeinde Burbach sieht Nachteile in der Vergrößerung der Bereiche für den Schutz der Natur. „Die fachlich teilweise nicht nachvollziehbare erhebliche Vergrößerung von Bereichen zum Schutz der Natur wird gemeindeansässige Landwirte so weit in ihrer Tätigkeit einengen, dass auch hier mindestens ein erheblicher Vertrauensverlust hervorgerufen wird, wenn nicht sogar eine ernsthafte Existenzbedrohung zu befürchten ist.“ Der in der Vergangenheit mit den Landwirten mühsam ausgearbeitete Vertragsnaturschutz werde in Frage gestellt, weil die
Bereitschaft zum freiwilligen Vertragsnaturschutz zukünftig nicht mehr zu erwarten sei. „Im Hinblick auf das Naturschutzziel wird genau das Gegenteil hervorgerufen.“
Sechs neue und sieben erweitere Bereiche für den Schutz der Natur sind für die Gemeinde Wilnsdorf vorgesehen. In den Werkstattgesprächen zwischen Regionalplanungsbehörde und Gemeinde Wilnsdorf sei nicht darüber informiert worden. Die Naturschutzplanungen im Entwurf des Regionalplans seien für die Gemeinde Wilnsdorf „völlig neu“.
Die Stadt Siegen will die alte Siegtalbrücke der A 45 nicht, wie vom Landschaftsverband angeregt, als „kulturlandschaftsprägendes Bauwerk“ schützen. Aus Sicht der Stadt Siegen sei es nicht geboten ist, Sichtachsen zu diesem technischen Bauwerk zu wahren.
Mehrgeschossige Bauten passten häufig nicht zur regionalen Bauweise oder behinderten die Kaltluftströme, stellt die Stadt Kreuztal fest. „Multifunktionale Gebäudenutzungen lassen sich weder im Regionalplan noch in Flächennutzungsplänen oder Bebauungsplänen regeln. Auf Regionalplanebene sollte von dergleichen nutzlosen und überflüssigen Vorschlägen abgesehen werden.“ Für Handwerk und Logistik sowie die Unterbringung von Stellplätzen und Neben-/Sozialräumen oder Büros könnten mehrgeschossige Gewerbebauten eine gewinnbringende Lösung sein, räumt die Stadt Siegen ein. „Gerade für das im Siegerland traditionell ansässige metallverarbeitende Gewerbe, welches beispielsweise mit tonnenschweren Pressen oder anderen Anlagen produziert, erscheint eine solche Festlegung jedoch eher realitätsfern.“
Welche Folgen die Arnsberger Windenergieplanung für Siegen-Wittgenstein hat
Die Gemeinde Wilnsdorf kritisiert den Umgang der Bezirksregierung mit der Windenergieplanung. Diese könne sie nun nicht weiterführen, sondern müsse „völlig neu für (mindestens) zwei zusätzliche Planungsbereiche tiefergehende und damit ausgesprochen zeitaufwendige und kostenträchtige Detailüberprüfungen vornehmen“. Damit werde die Nutzung der Windenergie in der Gemeinde Wilnsdorf nicht „gefördert“, wie es im Regionalplan formuliert sei, „sondern sie wird faktisch behindert, erschwert und deutlich verzögert“.
Bei der Festlegung der Kriterien für die Ausweisung von Windvorranggebieten im Regionalplan werde von der Bezirksregierung ein Siedlungsflächenabstand von 1.000 Metern angesetzt, der „fachlich nicht hergeleitet“ werde, stellt die Gemeinde Wilnsdorf weiter fest. Behauptet werde, dass eine schrittweise Betrachtung des Abstandes in 100-Meter-Schritten erfolgt sei. Die Gemeindeverwaltung habe bei der Bezirksregierung nachgefragt, welche Flächenkulisse für die Windenergienutzung sich ergibt, wenn von Siedlungsflächenabständen von 1.400 Metern, 1.300 Metern, 1.200 Metern und 1.100 Metern ausgegangen werde. „Die Bezirksregierung hat dazu die Auskunft verweigert.“ Diese Vorgehensweise der Bezirksregierung sei „absolut intransparent“, scheinbar solle so eine konstruktive fachliche Diskussion unterbunden werden.
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Erfolg hat die Stadt Kreuztal mit ihren Bemühungen, keinen Windenergiebereich auf dem Kindelsberg auszuweisen. Den Ärger, dass die Bezirksregierung dies überhaupt versucht hat, formuliert die Stadt deutlich: „Es zeugt von einem sehr besonderen Planungsstil der Bezirksregierung, alle Argumente gegen Windenergieanlagen am identitätsstiftenden Kindelsberg, die ihr seit Jahren seitenweise zur Kenntnis gegeben wurden, zu ignorieren und dieses Vorhaben erneut zu präsentieren.“