Siegen. Nach den ersten sechs Wochen ist die Stadtverwaltung zufrieden. Mehr Radverkehr, weniger Lärm, pünktlichere Busse – aber auch Verbesserungsbedarf.

Das erste Fazit von Stadtbaurat Henrik Schumann ist eindeutig: Der Verkehr mit der neuen Umweltspur „läuft im Großen und Ganzen gut“. Es habe in Siegen „selten ein Thema gegeben, wo öffentliche Empörung und Faktenlage so weit auseinanderliegen“. 8265 Unterzeichner unterstützten aktuell eine Online-Petition, die die Abschaffung der Umweltspur fordern.

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Sechs Wochen nach der Umstellung berichtet Benjamin Hinkel, Leiter der Abteilung Straße und Verkehr im Siegener Rathaus, im Verkehrsausschuss. Die Beobachtungen sind systematisch gesammelt worden: In den Stoßzeiten von 7.15 bis 9 Uhr und von 15.30 bis 16.45 Uhr wurde die Strecke zwischen Geisweid und Siegen mit Pkw abgefahren, nicht nur einmal: „Die Wagen sind hin- und her gependelt.“ An Knotenpunkten und kritischen Streckenabschnitten wurden an zwei bis drei Tagen über jeweils 24 Stunden alle Verkehrsbewegungen mit Kameras aufgezeichnet. Zwei Mal in der Woche fuhren Mitarbeiter der Stadt die Umweltspur mit dem Fahrrad ab. Weitere Mitarbeiter sind Abschnitte zu Fuß gelaufen oder haben für Stunden Posten an ausgewählten Knotenpunkten bezogen.

„Es hat in Siegen selten ein Thema gegeben, wo öffentliche Empörung und Faktenlage so weit auseinanderliegen.“

Henrik Schumann, Stadtbaurat

Für die Strecke zwischen Siegen und Geisweid seien Fahrzeiten von 10 bis 15 Minuten angefallen, berichtet Benjamin Hinkel. 90 Prozent der Ampelkreuzungen seien mit der ersten Grünphase passiert worden. Dass die Schlangen vor den Ampeln jetzt länger seien, „ist natürlich ungewohnt“, räumt Hinkel ein, „aber man kommt rüber.“ Noch nicht ganz aufgegangen ist das Kalkül, Autofahrer ganz von dem Straßenzug durchs Tal wegzubringen. Es habe bisher „nur eine leichte Verlagerung auf die HTS“ gegeben, spürbar vor allem in Geisweid.

Hier sind die Schwachstellen

Benjamin Hinkel nennt kritische Bereiche:

Die Kreuzung Weidenauer Straße/Ferndorfstraße/Schneppenkauten: Am Anfang seien Schülerinnen und Schüler des Fürst-Johann-Moritz-Gymnasiums noch quer über die Ferndorfstraße gelaufen – Autos kommen nicht weiter, der Verkehr staut sich zurück in die Weidenauer Straße. Mittlerweile seien es nur noch die Elterntaxis, die Staus verursachen: „Die fahren rein und halten nach vier, fünf Metern einfach an.“ Die Ampel dort wird aber nun auf Anforderungsbetrieb umgestellt. Damit verlängert sich die Grünphase auf der Weidenauer Straße.

Stau auf der Weidenauer Straße vor der HTS-Auffahrt Sieghütte: Rettungswache schuld?
Stau auf der Weidenauer Straße vor der HTS-Auffahrt Sieghütte: Rettungswache schuld? © Jürgen Schade | Jürgen Schade

Der Abschnitt zwischen den Einmündungen Breite Straße und HTS-Abfahrt Sieghütte: Dort seien Staus an einigen Nachmittagen zwischen 16 und 17 Uhr festgestellt worden – womöglich Folgen von Einsätzen der Rettungswache, die ihre Ausfahrt zwischen HTS-Abfahrt und In der Herrenwiese hat: Rücken Rettungs- oder Feuerwehrfahrzeuge aus, werden alle Ampeln auf Rot geschaltet.

Hier wirkt die Umweltspur

Die bisher festgestellten Behinderungen seien „für eine Großstadt im Innenstadtbereich üblich“, stellt Benjamin Hinkel fest und berichtet über positive Auswirkungen: Weil es in jede Richtung nur noch eine Fahrspur für Autos gibt, entfällt das „Fahrbahn-Hopping“, also der ständige Fahrbahnwechsel, um schneller voranzukommen. Anwohner berichten, der Verkehrslärm sei leiser geworden. „Die Umweltspur scheint auch Auswirkungen auf die Poser- und Tunerszene zu haben.“ Täglich würden im Schnitt 300 Radfahrer auf der Umweltspur gezählt, überwiegend zu den Berufsverkehrszeiten: „Das sind genau die, für die wir dieses Angebot gemacht haben.“ Die Zahl der Radfahrer, die aus Nebenstraßen auf die Hauptverkehrsachse einbiegen, habe sich seit 2022 verdrei- bis vervierfacht. Zufrieden seien auch die Fahrgäste des öffentlichen Nahverkehrs: Die Busse kommen pünktlicher.

Das sagt die Verwaltung

„Wir arbeiten an weiteren Verbesserungen“, sagt Benjamin Hinkel, weist aber auch darauf hin, dass die Behinderungen durch die Umweltspur nicht überragend sind. In Nachbarkommunen sei die Verkehrssituation „um ein Vielfaches schwieriger als das, was wir in der Innenstadt haben“ – gemeint sein könnte der Bereich um die Kreuztaler Hauptkreuzung mit der HTS-Anschlussstelle dort, die der am meisten befahrene Streckenabschnitt im Siegerland (außer HTS und Autobahn) ist. Auch in der eigenen Stadt gebe es gravierendere Probleme: Die Verkehrssituation in der Eiserfelder Ortsmitte sei „um Meilen schlimmer als im Kernbereich von Siegen.“

„Sie glauben ja nicht, wie viele Autofahrer an der Ampel am Handy spielen und Grün überhaupt nicht mitbekommen.“

Benjamin Hinkel, Abteilungsleiter Straße und Verkehr

Vermieden werden können Behinderungen auch, indem Verkehrsteilnehmer sich korrekt verhalten. Damit meint Benjamin Hinkel nicht nur Fußgänger, die bei Rot über die Straße laufen: „Sie glauben ja nicht, wie viele Autofahrer an der Ampel am Handy spielen und Grün überhaupt nicht mitbekommen.“ Die Verzögerung bewirkt, dass drei bis vier Autos weniger durchkommen und noch einmal warten müssen.

Das sagt die Politik

Der Verkehrsausschuss ist durchweg zufrieden. „Es hat jeder damit gerechnet, dass es am Anfang Probleme gibt“, sagt Silke Schneider (Linke), „die Bürger werden sich mit der Zeit daran gewöhnen.“ Uwe Eckmann (ADFC) regt an, mehr Busse auf die Umweltspur zu schicken: „Mir fällt auf, wie schlecht die Taktzeiten sind. Und die Busse sind teilweise rappelvoll.“ Der Wunsch geht in Erfüllung. Die Personalprobleme der Verkehrsbetriebe Westfalen-Süd (VWS) „entspannen sich leicht“, berichtet Stefan Wied, Geschäftsführers des Zweckverbandes Personennahverkehr (ZWS): Ab August wird auch die Linie C 130 zwischen Siegen und Geisweid wieder eingesetzt, dann wird es voller auf der Umweltspur.

Roland Steffe (AfD) schließt sich dem positiven Bericht nicht an. „Die gefühlte Situation ist ganz anders“, sagt er, „ich habe gesehen, dass Busse mit 15 km/h hinter Radfahrern herzockeln.“ Aber höchstens bis zur nächsten Haltestelle, erwidert Stefan Wied. Ein Bus der Linie R 10, der alle Haltestellen bedient, komme auch nur auf eine Durchschnittsgeschwindigkeit von 16 bis 18 km/h.

Als „wirklich gefährlich“ bezeichnet Roland Steffe (AfD) das Ende der Umweltspur an der HTS-Abfahrt Geisweid, wo Radfahrer aus Richtung Siegen erst auf den Bürgersteig und dann auf den Radweg unter die HTS gelotst werden. Dass dort auch noch Autos parken, ist tatsächlich nicht vorgesehen. „Wir verteilen noch Zettel“, berichtet Benjamin Hinkel – die Knöllchen werden folgen. Die Umweltspur bricht an der Ferndorfbrücke ab, „weil da zu viele Autos fahren“, erinnert Martin Heilmann (Grüne), „wir verlagern den Konflikt“ – auf den Gehweg. „Da ist der Radfahrer nicht mehr der Schwächere.“ Sondern der Fußgänger.

Mehr zum Thema

Thomas Christian (SPD) fragt, was passiert, wenn die HTS einmal gesperrt ist. Bei einer plötzlichen Sperrung wegen eines Unfalls werde der Stau auf dem nur noch einspurigen Straßenzug im Tal nicht abzuwenden sein, antwortet Benjamin Hinkel. Anders sei das bei langfristigen und angekündigten Sperrungen wegen Bauarbeiten. Die Stadt könne notfalls die Umweltspur öffnen: „Dann hängen wir die Schildchen zu.“

„Man versucht, die Maßnahmen unter allen Umständen zu rechtfertigen“, glaubt Michael Schwarzer (LKB), „die Kritik wird abgetan. Man sollte sie ernst nehmen.“ Das tue die Stadt auch, „wir haben jedes Schreiben beantwortet“, sagt Benjamin Hinkel und nutzt die Gelegenheit zum Appell: „Wenn jeder permanent sein Recht einfordert, haben wir alle ein Problem. Wir werden uns alle ein wenig zurücknehmen müssen.“ Was die meisten aber auch tun, wie der für den Verkehr zuständige Abteilungsleiter hinzufügt: „Die Masse der Autofahrer verhält sich vorbildlich.“

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