Siegen. Verbände schlagen Alarm: In Siegen werden vor allem teure Wohnungen gebaut. Wer solche Mieten nicht bezahlen kann, wird an den Stadtrand gedrängt.

Unter dem Motto „Hände hoch! – weil Wohnen unbezahlbar wird“ findet ein erneuter bundesweiter Aktionstag des Bündnisses „Mietenstopp“ statt. Auch in Siegen machen der Deutsche Mieterbund Siegerland und Umgebung, Der Paritätische Siegen-Wittgenstein/Olpe sowie der Deutsche Gewerkschaftsbund Südwestfalen auf die angespannte Situation am Wohnungsmarkt sowie die Problematik von steigenden Mieten und Marktversagen im Wohnungsbau aufmerksam.

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Die Bundesregierung habe ihren Koalitionsvertrag zu wohnungs- und mietenpolitischen Maßnahmen bisher kaum umgesetzt, heißt es in der Mitteilung der drei Organisationen. So sei zwar die Verlängerung der Mietpreisbremse und die Wiedereinführung einer neuen Wohngemeinnützigkeit geplant, „beide Vorhaben sind aber in ihrer jetzigen Form so verwässert, dass dadurch kaum Impulse für bezahlbares Wohnen zu erwarten sind.“ Die Umsetzung weiterer Maßnahmen aus dem Koalitionsvertrag, wie die Absenkung der Kappungsgrenze für Mieterhöhungen, die Verbesserung des Kündigungsschutzes bei Schonfristzahlungen oder die Stärkung von Mietspiegeln, bleibe weiterhin aus, stellen Marco Karsten (Deutscher Mieterbund), Felix Dornhöfer (Der Paritätische) und Björn Eckert (DGB) in der gemeinsamen Stellungnahme fest.

Mietpreisbremse für Siegen: Höchstens sechs Prozent mehr innerhalb von drei Jahren

Auch wenn Siegen nicht zu den großen Schwarmstädten in Deutschland gehöre, so sei auch hier die Mietpreisentwicklung dramatisch. Aktuell seien bei Neuvermietungen, insbesondere in Innenstadtlagen, Preise in Höhe von 9 bis 12 Euro aufgerufen. Für Siegen hätten derartige Angebotsmieten, gerade bei Bestandsgebäuden, bis vor wenigen Jahren noch als utopisch gegolten. „Dieser Trend wird zeitnah auf die Durchschnittsmieten im Bestand durchschlagen, die dann wiederum Grundlage für Mieterhöhungen bei bestehenden Mietverhältnissen sind“, fürchtet Marco Karsten vom Deutschen Mieterbund. „Auch der auf sechs Jahre erweiterte Betrachtungszeitraum zur Bestimmung der ortsüblichen Vergleichsmiete ist nicht ausreichend, um die Aufwärtsspirale zu stoppen. Bei zukünftigen Mietspiegeln werden genau solche Jahre aus dem Betrachtungszeitraum ausscheiden, in denen wir regional noch keine übermäßigen Mietenzuwächse zu verzeichnen hatten. Wir brauchen eine wirksame Begrenzung von Mieterhöhungen auf maximal sechs Prozent innerhalb von drei Jahren, bis wieder ein ausreichendes Wohnungsangebot besteht.“

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Der Anstieg der Mietpreise sei dabei auch in Siegen der allgemeinen Marktsituation geschuldet. Es gebe zu wenige Wohnungen. Ein wichtiges Instrument zur Begrenzung der Mietpreisentwicklung wären größere Anstrengungen im Bereich des sozialen Wohnungsbaus im Form einer gemeinwohlorientierten neuen Wohnungsgemeinnützigkeit, fordern die Verbände. Dabei wird durch die Gewährung von Steuervergünstigungen für gemeinnützige Unternehmen dauerhaft gebundener Wohnraum geschaffen, der den Kriterien der Gemeinnützigkeit unterliegt.

„Hier wird eine Entwicklung verschlafen, mit dramatischen Folgen für die Bürgerinnen und Bürger.“

Felix Dornhöfer, Der Paritätische

Zahl der Wohnungslosen in Notunterkünften in Siegen vervielfacht

Derzeit fallen weiterhin mehr Wohnungen aus der Preisbindung heraus, als neue hinzukommen. Die Anzahl der Sozialwohnungen in Siegen liegt aktuell bei etwa 2.500. Im Jahr 1986 waren es noch gut 8.700. Die Prognose für 2035, laut Wohnungsmarktprofil der NRW-Bank, geht nur noch von 700 geförderten Wohnungen aus. „Wenn hier nicht gegengesteuert wird, wäre dies ein Rückgang von 72 Prozent. Dabei ist der Bedarf an günstigen Mietwohnungen weiterhin steigend. Hier wird eine Entwicklung verschlafen, mit dramatischen Folgen für die Bürgerinnen und Bürger“, so Felix Dornhöfer vom Paritätische Siegen-Wittgenstein/Olpe.

Nicht bedacht werde das veränderte Wohnverhalten mit mehr Singlewohnungen, der Trend zur Verstädterung wegen besseren Infrastrukturangebots, die Demografie und die Zuwanderung. Gerade in dem Segment der kleinen Wohnungen gibt es einen harten Kampf um die wenigen bezahlbaren Wohnungen. Auch Familien befänden sich zunehmend in einem harten Kampf um adäquaten und bezahlbaren Wohnraum. Am untersten Ende der Wohnungspyramide stehen Menschen, die wohnungslos sind. In den städtischen Notunterkünften hat sich deren Zahl in den letzten Jahren vervielfacht.

Mitten in der Unterstadt entsteht das Johann-Moritz-Quartier. Billige Wohnungen gibt es auch dort nicht.
Mitten in der Unterstadt entsteht das Johann-Moritz-Quartier. Billige Wohnungen gibt es auch dort nicht. © www.blossey.eu / FUNKE Foto Services | Hans Blossey

Mieten in der Siegener Stadtmitte nicht unter 10 Euro

„Durch das Projekt ‚Uni kommt in die Stadt‘ hat sich der Wettbewerb um die wenigen bezahlbaren Wohnungen in der Innenstadt weiter verschärft. Dort werden bereits jetzt regelmäßig Mieten von 10 Euro und mehr verlangt“, sorgt sich Dornhöfer. „Die Wohnbauprojekte der letzten Jahre waren eher hochpreisige in Top-Lage - Sozialwohnungen sind weiterhin Fehlanzeige.“

Im letzten Sozialmonitoring der Stadt Siegen wird das Zentrum mit dem zweithöchsten Armutsindex ausgewiesen. Besonders betroffen ist die Gruppe der älteren Menschen in der Grundsicherung. „Diese Personengruppe droht, im wahrsten Sinne des Wortes, an den Rand gedrängt zu werden. Ein engagiertes Gegensteuern ist zwingend notwendig, wenn man die Mietpreisspirale bekämpfen will“, ergänzt Marco Karsten.

Vor allem junge Menschen sind in Siegen betroffen

Verschärft wurde dieser Trend durch die Inflation. In den vergangenen zwei Jahren sei der Wohnungsbau wegen gestiegener Zinsen und explodierender Baukosten nahezu zum Erliegen gekommen. Dies treffe neben der älteren Generation vor allem auch junge Menschen und Familien. „Dabei sind junge Menschen besonders von der verschärften Situation am Wohnungsmarkt betroffen, da sie von ihren meist geringen Einkünften einen hohen Anteil für Wohnen und Mobilität ausgeben.“ so DGB-Jugendbildungsreferent Björn Eckert. Die Mietpreise müssten gedeckelt und Studierendenwerke müssten bei der Schaffung von Wohnraum unterstützt werden. „Gleichzeitig müssen Azubiwerke geschaffen werden, die Azubis während ihrer Ausbildung durch günstigen Wohnraum unterstützen, dies wäre auch ein Standortfaktor zur Bewältigung des Fachkräftemangels“, so der Gewerkschafter zur Situation vor Ort.

Darüber hinaus werden dauerhaft hohen Energiekosten zunehmend energetische Modernisierungen im Gebäudesektor erforderlich machen, um die Heizkosten, gerade bei älteren Mietobjekten, dauerhaft zu senken. Die aus der Modernisierung mietrechtlich resultierenden Mieterhöhungen von 2 bis 3 € je Quadratmeter sind jedoch für sehr viele Mieter nicht leistbar und übersteigen, trotz gestiegener Energiekosten, die Kosteneinsparungen.

Auf dem Wellersberg in Siegen soll auf der Fläche des ehemaligen Munitionsdepots ein neues Wohngebiet entstehen.
Auf dem Wellersberg in Siegen soll auf der Fläche des ehemaligen Munitionsdepots ein neues Wohngebiet entstehen. © WP | Florian Adam

Mieterhöhungen in Siegen für die nächsten sechs Jahre begrenzen

Die Akteure in Siegen wollen mit der Aktion „Mietenstopp“ auf die Problematik der Mietpreisentwicklung hinweisen und fordern vom Bund, Mieterhöhungen im Bestand flächendeckend für sechs Jahre stärker zu begrenzen. Sie fordern eine Obergrenze bei Wiedervermietungen, die sich in Siegen am Mietspiegel orientieren muss, verstärkte Anstrengungen im sozialen gemeinnützigen Wohnungsbau und mehr bezahlbare, barrierearme Wohnungen. Eventuelle Mieterhöhungen nach Modernisierungen sollen von jährlich bisher acht Prozent auf höchstens vier Prozent der Investitionskosten gesenkt und zusätzlich gedeckelt werden.

Informationen zur bundesweiten Kampagne im Internet unter mietenstopp.de.

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