Siegen. So spät wie noch nie beschließt der Siegener Rat den Haushalt und erhöht die Steuern - ohne wäre die Stadt kaum zukunftsfähig, warnen CDU, SPD und Grüne.

„Spät, aber rechtzeitig“ hat die Stadt Siegen einen Haushalt: Den Rest des Jahres, sagt Bürgermeister Steffen Mues, könne man nun mit dem Etat arbeiten - immerhin ein halbes Jahr. In einer Sondersitzung hat der Rat am Donnerstag, 13. Juni, Haushaltssatzung, -plan und Stellenplan beschlossen. Und zwar den Kompromiss, auf den sich die drei größten Fraktionen in Sachen Steuererhöhung geeinigt hatten: Der Hebesatz zur Grundsteuer B wird rückwirkend zum 1. Januar um 99 Prozentpunkte (statt wie von der Verwaltung vorgeschlagen 110) angehoben. Und auch die Gewerbesteuer, die ursprünglich nicht angetastet werden sollte, wird nun erhöht: Um 10 Prozentpunkte.

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Ob das am Donnerstag tatsächlich so beschlossen werden würde, war kurz nicht klar. Zwar verfügen CDU (17 Sitze), SPD (15) und Grüne (12) über eine komfortable Mehrheit; ihre Reihen waren aber ausgedünnt, mit der FDP habe man keine Einigung erzielen können. Von 71 Stadtverordneten waren 62 anwesend, die Mehrheit der kleinen Fraktionen (FDP, UWG, GfS, Linke, AfD), lehnten den Haushalt ab. Aus ihren Reihen wurde geheime Abstimmung beantragt, letztlich votierten 36 Ratsmitglieder für den Haushalt. Laut Ankündigung stimmte die LKB-Fraktion zu, Volt enthielt sich.

In ihren Haushaltsreden bemühten sich insbesondere die drei großen Fraktionen darum, im Sinne des demokratischen Miteinanders wieder aufeinander zuzugehen, nachdem der Ton zuletzt rauer geworden war; dies wohl auch vor dem Hintergrund des Europawahl-Ergebnisses (wir berichten noch).

Dafür: CDU, SPD und Grüne wollen Siegen handlungsfähig halten

Bei allen „externen“ Teuerungsfaktoren wie Inflation, Energie- und Personalkosten hat Siegen Herausforderungen zu meistern, erinnerte Marc Klein (CDU): Die Stadt solle eine familienfreundliche, naturnahe, für Unternehmen attraktive, lebens- und liebenswerte Großstadt bleiben - dazu benötige es eben auch „freiwillige Leistungen“ wie Unterstützung von Vereinen und Ehrenamt, Kultur- und Sportförderung, Grünflächen und Spielplätze. Das alles könne es ohne Steuererhöhungen nicht geben, was „niemand, erst recht nicht die CDU“ gern tue. Aber in der Verantwortung für Siegen sei das notwendig - die Alternative wäre Fremdbestimmung. „Dann geht es ans Eingemachte für Ehrenamt, Vereine, Kultur, Sport und vieles mehr.“ Alle Fraktionen im demokratischen Spektrum seien eingeladen zur Zusammenarbeit, um die Herausforderungen anzugehen und auf möglichst breiter Basis gute Lösungen für die Stadt zu erarbeiten.

Marc Klein CDU Siegen

„Dann geht es ans Eingemachte für Ehrenamt, Vereine, Kultur, Sport und vieles mehr.“

Marc Klein

Politische Verantwortung zu tragen sei einfach, wenn die Steuereinnahmen sprudeln, so Ingmar Schiltz für die SPD. Wenn unpopuläre Maßnahmen drohen, „duckt sich auf einmal die eine oder andere Fraktion weg“ - freiwillige Leistungen zu fordern oder gar die „Insolvenz“ der Stadt zeuge von „wenig bis gar keiner finanzpolitischen Kompetenz“. Seriöse Vorschläge, wie die Haushaltssicherung anders als mit Steuererhöhungen vermieden werden könne, seien nicht gekommen. Mit dem Kompromissvorschlag bleibe der Rat und damit die Stadt Siegen handlungsfähig - insbesondere mit Blick auf Soziales. Siegen könne eine der familienfreundlichsten Städte NRWs bleiben. Gleichzeitig gelte es, voranzukommen bei Wohn- und Gewerbegebieten, Schulen, den Hallenbädern, Straßensanierung und Radwegausbau, Klimaschutz - und das ermögliche dieser Haushalt auch.

Es gelte sorgsam abzuwägen zwischen Ausgaben und Einnahmen und dabei aber weiter in die Zukunftsfähigkeit der Stadt zu investieren, mahnte Bernd Mäckeler für die Grünen. Alles andere bedeute Stillstand. Auch wenn die Unterfinanzierung durch Land und Bund die meisten Kommunen in die Knie zwinge, könne das nicht die Lösung sein. Man könne mit der Erhöhung der Grundsteuer leben, wolle aber die Lasten etwas anders verteilen, daher die moderate Anhebung der Gewerbesteuer. In Richtung der kleinen Fraktionen: Man könne nicht eine „teure, aber sinnvolle Zwei-Bäder-Lösung“ fordern, beim Haushalt dann aber nicht das erforderliche Geld bereitstellen. Auch in Sachen Klimaschutz müsse die Stadt ein Vorbild für die Menschen sein, um den erforderlichen Wandel glaubwürdig gestalten zu können. Man wolle den Autoverkehr nicht verbieten, „wie unseriöse Stimmen immer wieder behaupten“. Sondern Alternativen bereitstellen und lebenswerte Stadtzentren für alle Menschen erreichen.

  

„Da duckt sich auf einmal die eine oder andere Fraktion weg.“

Ingmar Schiltz

Auch das LKB kritisierte ein Ausgabenproblem - „wir haben Geld“, so Michael M. Schwarzer, es werde nur falsch ausgegeben - vor allem für soziale Zwecke und damit auf Kosten derer, die das Geld selbst erwirtschaften würden. Die Kernaufgaben seien Sicherheit, Infrastruktur, Bildung, wenn dann noch etwas übrig sei, kämen Soziales, Kultur, „die schönen Seiten des Lebens“. Man stimme nur zu, weil - Stichwort Haushaltssicherung - dieser Haushalt die am wenigsten schlechte Möglichkeit sei.

Dagegen: Fast alle kleinen Fraktionen lehnen Siegener Haushalt 2024 ab

Die UWG stehe für Steuererhöhungen nicht zur Verfügung, bekräftigte Achim Bell. Alle zahlen mehr, dennoch werde das den Haushalt nicht ausgleichen. Es gelte vielmehr, mit den Einnahmen hauszuhalten; mit dem was da ist. Die Stadt „totzusparen“ sei auch keine Lösung, aber erst einmal müssten begonnene Projekte beendet werden, bevor neue, seien sie auch noch so wünschenswert, geplant würden.

Die fetten Jahre seien leider vorbei, sagte GfS-Fraktionschef Christian Sondermann, ein „weiter so“ könne es nicht geben: Es sei in dieser Lage Verantwortung der Politik, darüber zu wachen, dass auch in Zeiten nicht mehr sprudelnder Kassen nicht über die Maßen geplant, eingestellt und ausgegeben werde. Die Haushaltssicherung sei kein „böses Schreckgespenst“, das Kommunen lahmlege, sondern eben genau zum Sparen anhalte. „Ich kann nur so viel ausgeben, wie ich zur Verfügung habe.“

Bernd Mäckeler, Stadtverordneter für die Grünen in Siegen

„Wir wollen den Autoverkehr nicht verbieten, wie unseriöse Stimmen immer wieder behaupten.“

Bernd Mäckeler

Der Haushaltsentwurf sei sozial ungerecht - einzig die Gewerbesteuer hätte erhöht werden müssen, so Melanie Becker für die Linke. „Wer gute Gewinne erzielt, kann auch gute Steuern zahlen.“ So würden vor allem Familien weiter belastet.

FDP-Fraktionschef Markus Nüchtern forderte, gemeinsam Druck in Düsseldorf zu machen: Die Kommunen müssten Aufgaben für Bund und Land erfüllen, die nicht refinanziert seien: „Wer‘s bestellt, muss auch zahlen.“ Mit Blick auf die Finanzlage der Stadt hätten die Liberalen eine moderate Steuererhöhung mitgetragen, der Kompromiss liege aber über der Belastungsgrenze für die Bevölkerung. Man könne der neuen Kreistagsmehrheit dankbar sein, dass sie Sparanstrengungen unternehme, was sich auch auf Siegen positiv auswirke. Insbesondere gelte es nun, Verwaltung schlanker und effizienter zu machen, gerade die Digitalisierung biete hier Potenzial. Der Staat habe kein Einnahmen-, sondern ein Ausgabenproblem.

Auch die AfD geißelte das „Ausgabenproblem“: Sparen und Kürzen sei nicht unbedingt „das Ding von Verwaltung und Politik in Siegen“, so Roland Steffe. Er forderte unter anderem einen kleineren Rat - der Siegener sei größer als mancher deutsche Landtag -, ein Ende der Subventionen fürs Bruchwerktheater und mehr Abschiebungen. Doppelstrukturen von Kreis und Stadt - Kulturbüro, Marketing, Tourismus, Volkshochschule - böten Einsparmöglichkeiten.

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Enthalten: Volt stimmt Siegener Haushalt 2024 nicht zu

Volt hatte bereits im Vorfeld betont, dass nicht klar sei, was mit diesem Haushalt in letzter Konsequenz verbindlich beschlossen werde, da wie jedes Jahr Posten enthalten seien, die aller Voraussicht nach nicht realisiert würden. Kommunalpolitik sei kein „Wünsch-dir-was“; natürlich hätten alle lieber zwei Schwimmbäder, aber „wer A sagt, muss auch B sagen - in diesem Fall Grundsteuer B“, so Samuel Wittenburg. Man stehe zur Entscheidung, den Erhalt des Eiserfelder Bades abzulehnen und könne den Haushalt auch daher nicht mittragen.