Siegen. Kurde wird aus Siegen abgeschoben, Verwaltungsgericht schaltet sich ein - drei Minuten bevor der Flieger abhebt. Jetzt werden Vorwürfe laut: Das sei rechtswidrig gewesen.

Der Verein „Grundrechtekomitee“ erhebt in einer neuen Veröffentlichung Vorwürfe gegen die Ausländerbehörde der Stadt Siegen. In dem neuen Buch „Abschiebungen in Nordrhein-Westfalen“, erschienen im Rahmen des Projekts „Abschiebungsreporting NRW“, beschreiben die Autoren neben den viel diskutierten Fällen Muradi und Muradyan auch eine bislang unbekannte, aus ihrer Sicht rechtswidrige Abschiebung. Demnach soll ein Kurde in die Türkei abgeschoben worden sein, gewissermaßen in letzter Minute, obwohl sich eine neue Sachlage ergeben habe. Die Behörde weist Fehlverhalten zurück.

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Es ging um Minuten am 5. Dezember 2023. An diesem Tag sollte der Mann abgeschoben werden und das wurde er auch. Die entsprechende „Abschiebungsandrohung“ galt nach Angaben der Stadt Siegen seit 9. Februar 2023 - sein Asylantrag war abgelehnt worden, er war mehrere Monate vollziehbar ausreisepflichtig, wie es im Behördendeutsch heißt. Über den Termin im Dezember sei er laut Grundrechtekomitee ebenso wenig informiert worden wie seine Anwältin - es gibt inzwischen keine Verpflichtung mehr, dies Betroffenen oder ihren Rechtsbeiständen anzukündigen. Als die Juristin mitbekam, dass sich ihr Mandant auf dem Weg nach Düsseldorf befindet, wo der Flieger um 13.55 Uhr abheben sollte, wandte sie sich ans Verwaltungsgericht Arnsberg. Gegen den 2018 abgelehnten Asylantrag hatte der Mann demnach Berufung eingelegt, die aber abgelehnt worden war - rechtskräftig wurde das laut Stadt Siegen am 10. Januar 2023. Also einen Monat, bevor die Abschiebung vollziehbar wurde.

Anruf vom Verwaltungsgericht in Siegen: Abschiebung abbrechen?

Die Anwältin des Kurden rief jedenfalls in der Mittagszeit des 5. Dezember beim Verwaltungsgericht an und stellte einen Eilantrag: Die Abschiebung sei umgehend abzubrechen, bis das Asylverfahren endgültig rechtskräftig entschieden sei. Das Gericht habe die Sache schnell geprüft und daraufhin zuerst beim BAMF angerufen, um 13.29 Uhr. Dort habe man nichts gewusst von dem Abschiebetermin. Dann meldete sich das Gericht beim Rechtsamt der Stadt Siegen, den Angaben zufolge um 13.52 Uhr, drei Minuten bevor der Flieger planmäßig abheben sollte. Der Richter informierte darüber, dass es einen Eilantrag gibt; legte nahe, die Abschiebung abzubrechen, sonst käme ein sogenannter „Hängebeschluss“ in Frage. Ob man die Abschiebung von sich aus abbreche?

Grundrechtekomitee sagt: Der Mitarbeiter habe zugesagt, sich an die Ausländerbehörde zu wenden, das sei offenbar nicht passiert. Später sei bekannt geworden, dass um 14 Uhr eine Weihnachtsfeier in der Ausländerbehörde begonnen habe. Die Stadt sagt: Der Richter habe darauf hingewiesen, dass eine Mitteilung des BAMF, in der das Amt aufforderte, den Mann nicht abzuschieben, an die Stadt wahrscheinlich zu spät käme, daher der Anruf. Die Sache mit der Weihnachtsfeier stimme nicht.

Offizielle Aufschiebung des Verwaltungsgerichts kommt fast 2 Stunden zu spät in Siegen an

Die Stadt betont aber auch, dass sie an dieser Stelle lediglich ausführende Behörde sei, der Abbruch sei von Siegen aus zu diesem Zeitpunkt faktisch nicht mehr möglich gewesen. Auch wenn das Flugzeug mit sechs Minuten Verspätung abhob: Während die beteiligten Stellen in dieser „Dreiecksbeziehung“ zwischen Verwaltungsgericht Arnsberg, Ausländerbehörde Siegen und BAMF in Nürnberg noch hin und her kommunizierten, hob der Flieger ab. Das Verwaltungsgericht erließ am Nachmittag zwar noch den Hängebeschluss und informierte die Stadt Siegen darüber, beim BAMF in Nürnberg sei dieser aber erst um 15.56 Uhr eingetrudelt, heißt es von Grundrechtekomitee.

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Für den Verein wäre die Abschiebung, die zudem ohne Begleitung der Bundespolizei erfolgt sei, auch ohne den Gerichtsbeschluss rechtswidrig gewesen, heißt es in dem Bericht weiter. „Der zeitliche Verlauf zeigt auf, wie fatal die gesetzlich festgelegte Nichtankündigung eines Abschiebetermines wirken kann und der effektive Rechtsschutz damit schon in zeitlicher und rein praktischer Hinsicht dramatisch eingeschränkt ist“, so die Autoren.