Siegen. Viele Migranten und Studierende aus dem Ausland haben große Angst vor dem Gang zum Amt. Die Bürokratie in Siegen macht ihnen oft das Leben schwer
- Studierende von außerhalb der EU brauchen Aufenthaltsgenehmigungen für ihr Studium
- Manche Sachbearbeiter der zuständigen Ausländerbehörde machen großen Druck
- Die Behörde habe aber in jüngerer Vergangenheit nachgesteuert, so der Dezernent
Mit einem großen Fragezeichen im Kopf saß sie mal wieder im Rathaus: Würde die Ausländerbehörde der Stadt Siegen ihren Aufenthaltsstatus wirklich verlängern? Lidija, die aus einem Land außerhalb der Europäischen Union kommt, war bis 2019 Masterstudentin an der Universität Siegen. „Am Anfang war da noch eine nette Frau“, sagt sie. Nach einem Jahr, als sie zum ersten Mal ihren Aufenthaltsstatus verlängern lassen musste, begannen die Probleme mit der Ausländerbehörde.
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Weil sie in Seminaren und Prüfungen nicht genügend Leistungspunkte gesammelt hatte, zweifelte die Sachbearbeiterin der Siegener Ausländerbehörde an, dass Lidija ihr Studium schaffen würde. Aus diesem Grund erhielt sie die Aufenthaltsgenehmigung nur noch für wenige Monate. Anhaltenden psychischen Druck habe sie dadurch verspürt – unklar, ob sie bald noch weiterstudieren könnte. Was ihr noch mehr zu schaffen gemacht hat: „Die Sachbearbeiterin sagte, ich sei für das Studium nicht geeignet, ich sollte mir etwas anderes suchen. Das war wirklich schrecklich für mich.“ Lidija bat darum, noch eine Chance zu bekommen – die ihr auch gewährt wurde. „Ich bin rausgegangen und habe geweint.“
Lidija hat lange Zeit überlegt, ob sie ihren echten Namen nennen möchte – so wie viele unserer Gesprächspartner. Sie befürchten, dass Sachbearbeiter sie identifizieren und ihnen Steine in den Weg legen könnten. Unter den ausländischen Studierenden aus Nicht-EU-Ländern gibt es nicht wenige, die sich von der Ausländerbehörde der Stadt Siegen unmenschlich behandelt fühlen.
Das macht die Ausländerbehörde Siegen
„Es gibt einen Großteil unter den Sachbearbeiten, bei denen es den Reflex gibt, erst mal abzuwehren und den Ermessensspielraum negativ auszulegen.“ Entsprechend schlecht sei die Stimmung unter den Betroffenen: „Es herrscht eine große Angst und Verunsicherung unter den Ausländern, die in Siegen wohnen“, sagt eine mit dem Thema vertraute Person – die, wie so viele in dieser Geschichte, nicht mit ihrem Namen an die Öffentlichkeit treten will.
Gesetzesgrundlage
Das Aufenthaltsgesetz regelt, unter welchen Bedingungen sich Bürger aus dem Ausland in Deutschland aufhalten dürfen. Möglich ist das zum Zweck der Ausbildung, Erwerbstätigkeit, aus völkerrechtlichen, humanitären oder politischen Gründen und durch Familiennachzug.Nach dem Freizügigkeitsgesetz ist es Bürgern aus dem EU-Ausland möglich, sich ohne besondere Erlaubnis und Beschränkungen in Deutschland aufzuhalten.
Ausländerbehörden erteilen Ausländern befristete oder, unter Bedingungen, unbefristete Aufenthaltserlaubnis. Diese müssen sich Menschen aus Ländern außerhalb der EU einholen, darunter auch viele Studierende. Gesprächspartner betonen, dass die Ausländerbehörde der Stadt Siegen stets rechtlich korrekt handelt. Es gebe in der Behörde durchaus Sachbearbeiter, die sich freundlich und kooperativ gegenüber ausländischen Mitbürgern verhalten. „Es gibt immer Teile der Behörde, die bereit sind zu reden“, sagt Regina Kürschner vom Verein für Soziale Arbeit und Kultur Südwestfalen (VAKS). Sie begleitet regelmäßig Ausländerinnen und Ausländer beim Gang zur Behörde und spricht daher oft mit den Sachbearbeitern der Siegener Ausländerbehörde.
Darum geht es
Anders als bei Studierenden aus dem EU-Ausland kommt bei jenen aus Staaten außerhalb der EU das Aufenthaltsrecht zum Einsatz. Dieses besagt, dass eine Aufenthaltserlaubnis von mindestens einem und maximal zwei Jahren gewährt wird – auch bei der Verlängerung. Für diese müssen die Studierenden belegen, dass sie in Seminaren und Prüfungen genügend Leistungspunkte gesammelt haben. Schafft das jemand nicht, können Sachbearbeiter der Ausländerbehörde das Bestehen des Studiums anzweifeln und eine Genehmigung von kürzerer Dauer erteilen.
Das ist in Siegen anders
Anders als in anderen Städten beklagen in Siegen viele Studierende, dass die Ausländerbehörde schnell in Zweifel ziehe, dass sie das Studium schaffen. Laut einer ehemaligen Mitarbeiterin im Asta der Universität Siegen ist der Unterschied zu Ausländerbehörden in anderen Kommunen, „dass Siegen immer bei den kleinsten Anzeichen, dass das Studium länger dauern könnte, Alarm geschlagen hat und den Aufenthalt nicht verlängern wollte.“ In den meisten Großstädten schaue man dagegen nicht so genau darauf. Was die Studierenden in Siegen erleben, sei „Psychoterror“.
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Für Regina Kürschner vom Verein für Soziale Arbeit und Kultur Südwestfalen (VAKS) ist diese Praxis ein Unding: „Das kann sich niemand anmaßen zu sagen, das schaffst du nicht.“ Sie meine es nicht als Vorwurf an die Ausländerbehörde, wenn sie sagt, dass gerade die Universität die Mitarbeiter habe, die besser einschätzen könnten, ob Studierende ihr Studium schaffen oder nicht. Natürlich brauche es Regeln, an die sich ausländische Studierende halten müssten. Etwa dass spätestens nach zehn Jahren Schluss sei. „Aber nicht mit diesem Druck“, sagt Regina Kürschner.
Ihr Lösungsvorschlag daher: Die Universität könnte den Studierenden ein Schreiben mitgeben, in dem sie versichert, dass sie ihr Studium zum Beispiel mit zwei Semestern zusätzlich erfolgreich abschließen werden. „Und das mit der Richtlinie versehen, dass man das nicht anzweifeln sollte“, erläutert Regina Kürschner.
Das erleben Betroffene bei der Ausländerbehörde in Siegen
Hindernisse stellen die bürokratischen Verfahren dar, die Studierende ebenso wie Flüchtlinge und Migranten betreffen. Besonders ärgern Regina Kürschner die langen Zeiträume, die diese Prozesse in Anspruch nehmen: „Die machen ihren Trott, und das liegt am System.“ Von der Anfrage bis zum tatsächlichen Termin vergehe oft viel Zeit, mitunter mehrere Monate. Für Betroffene, die bis zur Entscheidung der Behörde eine – vorläufige – „Fiktionsbescheinigung“ bekommen, bis auf den bürokratischen Aufwand kein Problem. Mehr als nur ärgerlich, so Regina Kürschner, sei es aber, wenn von der Entscheidung der Ausländerbehörde die Arbeitserlaubnis abhänge. Das seien schon mal ein bis zwei Monate, die ein Flüchtling dann nicht arbeiten könne.
Auch die Entscheidungen der Ausländerbehörde selbst zögen sich in die Länge. Regina Kürschner weiß von einer Familie, die seit sieben Jahren auf den Nachzug ihrer Angehörigen warte. Die Bedingungen seien alle erfüllt: „Das macht die kaputt.“ Viele Gesprächspartner äußern den Verdacht, dass Sachbearbeiterinnen und Sachbearbeiter bei ihren Entscheidungen Ermessensspielräume zuungunsten der Betroffenen nutzen.
Das Problem ausländischer Studierender mit der Behörde in Siegen
Mehrere Gesprächspartner berichten, dass Ausländerinnen und Ausländer angeschrien worden seien. Eine betroffene Person etwa, als sie ohne Termin den für sie zuständigen Sachbearbeiter aufsuchte. Ihr sei lauthals mitgeteilt worden: „Wenn Sie keinen Termin haben, gehen Sie bitte nach Hause und rufen Sie mich an!“ Die betroffene Person berichtet von Sachbearbeiterinnen und Sachbearbeiter, die sich ihr gegenüber in der Regel kühl verhalten: Ohne den Blick vom Computerbildschirm zu heben, Unterhaltung in knappen Sätzen.
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Gerade für ausländische Studierende, das sagen mehrere Gesprächspartner, sei es wünschenswert, wenn Sachbearbeiterinnen und Sachbearbeiter der Ausländerbehörde in ihrem Verhalten der besonderen Lebenssituation der Betroffenen mehr entgegenkommen würden: Neben dem Studium müssen ausländische Studierende nicht nur für ihren Unterhalt sorgen, sondern sich auch in einem fremden Land zurechtfinden. Komplikationen mit einer Bürokratie, die sie nicht verstehen, ruft bei Betroffenen daher schnell Stress hervor. Manche Studierende wechseln aus diesem Grund den Wohnort, sogar innerhalb des Kreisgebietes, um in die Zuständigkeit der als großzügiger geltenden Ausländerbehörde des Kreises Siegen-Wittgenstein zu kommen. Lidija wiederum hat ihr Studium in Siegen abgebrochen und sich in einem anderen Land etwas Neues gesucht.
Das sagt die Stadt Siegen zu den Problemen
Stadtrat Arne Fries weist darauf hin, dass die Ausländerbehörde eine „Eingriffsbehörde“ ist, zu dessen Aufgaben es gehöre, Bürgerinnen und Bürgern Anweisungen zum Handeln und Unterlassen zu geben und damit in ein Grundrecht einzugreifen – auch mit Zwangsmitteln. „Es liegt damit in der Natur der Sache, dass Erwartungen, die ich als Bürgerin und Bürger an das Verhalten der Behörde habe, auch enttäuscht werden können und ich dann subjektiv die Wahrnehmung habe, dass zum Beispiel Ermessungsspielräume nicht zu meinen Gunsten genutzt werden.“
Die Furcht der ausländischen Studierenden kann Stadtrat Arne Fries nicht verstehen: „Die Angst vor dem nächsten Gang in die Behörde kann ich nicht nachvollziehen. Die Studierenden werden von den Sachbearbeiterinnen und Sachbearbeitern eingehend informiert, insbesondere auch über die Länge der Aufenthaltserlaubnis.“ Außerdem, so Arne Fries, bekomme die Ausländerbehörde derzeit „viele positive Rückmeldungen von Studierenden, die wieder nach Siegen zurückkommen, weil es hier besser als in anderen Städten funktioniere“. Ein Eindruck, den ein Gesprächspartner bestätigt: „In letzter Zeit hat die Ausländerbehörde richtig gute Arbeit geleistet.“
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Arne Fries verweist auf den runden Tisch zwischen Stadt und Universität, der seit 2020 jährlich stattfindet, der unter anderem Verbesserungen in der Zusammenarbeit bespricht: „Aktuelle Probleme oder auch Beschwerden werden zwischen den Beteiligten zeitnah und im direkten Austausch besprochen.“