Siegen-Wittgenstein. Hochumstritten: Die Ausländerbehörde darf die Anwälte nicht vorher über eine Verhaftung informieren, denn sie könnten ihre Mandanten vorwarnen.

27 Mal hat die Ausländerbehörde des Kreises in den Jahren 2021 und 2022 „Anträge auf Anordnung von Ausreisegewahrsam“ gestellt – sprich: Haftbefehle für eine Abschiebehaft beantragt. Das teilt die Kreisverwaltung auf Anfrage der Linken-Fraktion mit. Bei vier der gestellten Anträge konnten die Personen demnach nicht in der Unterkunft angetroffen werden, sie hätten auch nicht bei der Ausländerbehörde vorgesprochen, so dass die Anträge wieder zurückgenommen worden seien. Eine Person flüchtete. Ein Antrag sei während des Haftprüfungstermins „wegen des dortigen Erkenntnisgewinns“ zurückgenommen worden.

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Fünf Abschiebungen aus Siegen-Wittgenstein wurden abgebrochen

Insgesamt fünf Mal wurden Menschen aus Siegen-Wittgenstein nachträglich aus der Haft entlassen oder wurden nicht abgeschoben. In einem Fall teilte die Zentralstelle für Flugabschiebungen Nordrhein-Westfalen (ZFA) mit, dass die geplante Chartermaßnahme storniert worden sei. In einem weiteren Fall wurde der Beschluss des Amtsgerichts Siegen vom Landgericht Siegen wegen fehlender Ermessensausübung im Beschluss des Amtsgerichts Siegen aufgehoben. Einmal wurde am Flughafen eine Coronaerkrankung des Betroffenen festgestellt. In zwei Fällen wurde die Abschiebung ausgesetzt, da Petitionsverfahren abgewartet werden sollten.

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In 22 Fällen der 27 gestellten Anträge habe nach Aktenlage festgestellt werden können, dass die Betroffenen in der Vergangenheit anwaltlich vertreten wurde. Dem Gericht werde immer mitgeteilt, ob die Betroffene oder der Betroffene anwaltlich vertreten wird. Das Gericht nehme sodann Kontakt mit dem Rechtsbeistand auf, um diesen über den Anhörungstermin zu informieren, damit eine Teilnahme erfolgen kann. „Inwieweit die Betroffenen im Haftprüfungstermin tatsächlich anwaltlichen Beistand hatten, kann von hier nicht festgestellt werden.“ Eine anwaltliche Vertretung sei gesetzlich nicht erforderlich.

Vorab-Information von Anwälten „kontraproduktiv“

Der Ausländerbehörde sei es gesetzlich untersagt, den Rechtsbeistand vor einer entsprechenden Maßnahme zu informieren. Weder eine Mitteilung des Zeitpunkts der Abschiebung, die den Ablauf der dem Ausländer bekanntgegebenen Ausreisefrist voraussetzt, noch eine Anhörung zur Abschiebung sei nach der geltenden Rechtslage zulässig „und wäre auch in Bezug auf die effektive Durchsetzung der gesetzlichen Ausreisepflicht kontraproduktiv“.

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Zur Begründung habe der Gesetzgeber auf das häufige Scheitern von Abschiebungen abgestellt, was darauf zurückzuführen sei, dass die abzuschiebenden Personen nicht an dem bekannten Aufenthaltsort angetroffen werden könnten, weil sie zuvor über die Abschiebung informiert worden seien. In der Gesetzesbegründung sei dazu ausgeführt, dass „die Bewährung des Rechtsstaats es gebiete, Handlungen zu unterbinden, die die Durchsetzung der Ausreisepflicht behinderte“. Seitens der Kreisverwaltung könne eine „dringende Empfehlung zur Beteiligung eines Rechtsbeistands“ ausgesprochen werden, wenn die Betroffenen gegenüber der Ausländerbehörde die freiwillige Ausreise verweigern.

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Linke: Beistand „Glückssache“

Die Linken-Fraktion hatte beanstandet, „dass das Recht auf anwaltlichen Beistand unterhöhlt wird, indem die Ingewahrsamnahme für die/den Betroffenen überraschend erfolgt“. Häufig erfolgten die Ingewahrsamnahmen freitags, so dass keine oder wenig Zeit für die Organisation eines Anwalts oder einer Anwältin bleibe, „insbesondere da die Betroffenen das Handy unverzüglich abgeben müssen“. Rechtlicher Beistand werde „zur Glückssache, was für uns nicht akzeptabel ist.“ Die Abschiebehaft werde dann ohne rechtlichen Beistand verhängt. Hierbei würden nicht selten fehlerhafte Inhaftierungen angeordnet, so dass Menschenrechtsorganisationen vor kurzem eine anwaltliche Pflicht für die gerichtliche Haftprüfung gefordert hätten.

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Kritik: „Mit Informationen gegenüber der Presse großzügig“

Kritisiert wurde von den Linken die Öffentlichkeitsarbeit der Kreisverwaltung. „Insgesamt haben wir die letzten Monate beobachtet, dass die Kreisverwaltung mit Informationen gegenüber der Presse großzügig umgeht.“ Hierdurch werde in Internetforen rassistischer und ausländerfeindlicher Hetze Vorschub geleistet- In ihrer Antwort, die dem Sozialausschuss vorgelegt wurde, widerspricht die Verwaltung: „Es ist festzustellen, dass bereits detaillierte Informationen über Personen öffentlich gemacht wurden, die den Medien vorlagen und die die Kreisverwaltung vielfach nur noch bestätigt bzw. richtiggestellt hat. Wenn darüber hinausgehende Informationen gewünscht wurden, die eindeutig dem Daten- bzw. Persönlichkeitsschutz unterliegen, hat sich die Kreisverwaltung von den betroffenen Personen schriftlich von ihrer Schweigepflicht entbinden lassen.“

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