Menden. Kurz vor Weihnachten gibt es im Lesecafé in der Bücherei zum letzten Mal Kaffee, Kuchen und Waffeln. Es ist eher Schluss als gedacht.

Kurz vor Weihnachten ist Schluss, da ist sich das Team des Lesecafés der Stadtbücherei einig. „Wir haben uns diese Entscheidung nicht leicht gemacht, aber es war an der Zeit, sie zu treffen“, sagen Helga Claßen und Resi und Jürgen Frey. Was vor mehr als dreißig Jahren begonnen hat, ist mittlerweile in Menden zur Institution geworden. Das Lesecafé in der Dorte-Hilleke-Bücherei entwickelte sich zum beliebten Treffpunkt für alle Generationen. Am 21. Dezember jedoch wird das Café Geschichte sein. Dann zieht zum letzten Mal der Duft nach frisch gekochtem Kaffee und Waffeln durchs alte Rathaus.

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Drei Ehrenamtler halten das Café am Leben

„Es war eine arbeitsreiche, aber auch wunderschöne Zeit, die wir hier für die gute Sache verbracht haben“, weiß Helga Claßen. Die 76-Jährige ist eine der tragenden Säulen des ehrenamtlichen Teams des Lesecafés. Zusammen mit Resi und Jürgen Frey verbringt sie fast ihre ganze Freizeit damit, sich um den Betrieb zu kümmern. Obwohl der Einsatz dort Kraft und Zeit raubend ist, sehen die Drei dem Tag, an dem das Lesecafé für immer geschlossen wird, mit einer gehörigen Portion Wehmut entgegen. „Wir haben hier mit einem Teil unserer Gäste Freundschaften geschlossen“, sagt Jürgen Frey, der nach seinem Renteneintritt als einziger Mann das Team verstärkt hat. „Zu Beginn meiner Mitarbeit hier erntete ich ab und zu erstaunte Blicke“, lacht er. Doch inzwischen ist es für alle ganz normal, dass er – so, wie die beiden Damen mit Schürze – hinter der Theke steht, Kaffee kocht und Waffeln backt und die Spülmaschine leert.

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Zusammen erinnert man sich an die Anfänge des Lesecafés vor drei Jahrzehnten. Damals startete die Gastronomie mit zehn ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen als Projekt des Hausfrauenbundes Menden. Schnell bewies sich das Konzept Selbstgebackenes zu verkaufen als erfolgreich. Von Jahr zu Jahr kamen mehr Gäste, die sich ein leckeres Stückchen Torte, ein belegtes Brötchen und eine Tasse Kaffee für kleines Geld gönnten. Nicht alle Gäste des Cafés waren Kundschaft der Bücherei, einige kamen ausschließlich, um dort ein Kaffeestündchen abzuhalten.

Vier Kilo Waffelteig jede Woche

Doch 2019 gab es auch weniger schöne Veränderungen. Eine einschneidende Veränderung brachte Corona mit sich. „Drei Jahre mussten wir schließen und die Anzahl der Mitarbeitenden schrumpfte in dieser Zeit stark“, sagt das Team. Seitdem sind es das Ehepaar Frey und Helga Claßen, die den Betrieb an drei Tagen in der Woche aufrechterhalten. Ihre Arbeit endet jedoch nicht mit den Öffnungszeiten des Cafés. In der übrigen Zeit muss eingekauft, vorbereitet und vor allem gebacken werden. Es sind alleine vier Kilo Waffelteig, die jede Woche hergestellt werden. Das alles wird dann eigenhändig ins Café getragen. Deshalb sind die Freys und Claßen der Stadt dankbar für die zur Verfügung gestellten Parkausweise, „denn eine große Torte kann, wenn sie weite Wege getragen werden muss, ganz schön schwer werden“, wissen sie aus Erfahrung. „Und eine gekaufte Torte kommt uns nicht in die Theke“, da sind sich die Hobbybäckerinnen einig.

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Ihr Einsatz im Lesecafé ist durchweg ehrenamtlich, mit dem Erlös unterstützen sie wiederum andere ehrenamtliche Projekte. „Es handelt sich nie um hohe Summen, die wir verteilen können, aber immerhin sind sie vierstellig.“ Im Café selbst sind unter anderem Familien mit Kindern und Rentner, die von den günstigen Preisen profitieren. In der ungezwungen und lockeren Atmosphäre fühlen sich auch die kleinen Gäste sehr wohl. Wo sonst haben Kinder die Möglichkeit, während die Eltern Kaffee trinken, im Raum herumzutollen oder eines der Bücherregale als Versteck zu nehmen. Oft kommt es vor, dass ein Gast vor der Kuchentheke steht und sich einfach nicht entscheiden kann, weil alle Torten so lecker aussehen. „Zu unseren Rennern zählt die Stachelbeer-Baisertorte“, sagt Helga Claßen, während Jürgen Frey ein Stück Windbeuteltorte über die Theke reicht.

„Das beste Café der Welt“

Vom einem Tisch in der Ecke tönt es laut und voller Inbrunst: „Das hier ist das beste Café der Welt, mit dem Lesecafé kann nichts anderes mithalten.“ Christel Gerken zählt schon lange zu den Stammgästen und belohnt sich regelmäßig mit einem Stückchen Feingebäck, nicht aber ohne dabei einen Plausch mit dem Team zu halten. „Das ist es, was uns über die Jahre so ans Herz gewachsen ist, der Kontakt mit den Gästen und zu sehen, wie sehr sie die Zeit bei uns im Café genießen.“ Kaum ausgesprochen, kommt die nächste liebe Kundin an die Theke. Anna Polomoshmykh arbeitet als Klavierlehrerin an der städtischen Musikschule. Für sie führt einfach kein Weg am Lesecafé vorbei. „Wenn man die Torten hier sieht, ist man im Himmel“, ruft sie euphorisch beim Blick in die Kühlung.

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Doch all das wird bald Geschichte sein. Die Gäste, das betonen alle Anwesenden, werden die Leckereien und das Team vermissen, so viel steht fest. Aber auch den Beschäftigten in der Bücherei werden Freys und Claßen fehlen und das nicht nur, weil sie immer mal wieder eine Waffel abbekommen haben. Das Lesecafé wurde vom Hausfrauenbund stets autark betrieben, doch die Angliederung an die Bücherei war für beide Seiten von Vorteil. „Wir verstehen uns wunderbar mit dem Büchereiteam und dessen Kundschaft locken wir mit dem Duft von frisch gebackenen Waffeln ins Café.“ Sabine Hildebrand aus der Dorte-Hilleke-Bücherei kann das nur bestätigen. „Auch wir lieben die süßen Kleinigkeiten zwischendurch.“

Keine Gastronomie mehr in der Dorte-Hilleke-Bücherei

Resi Frey legt nach: „Und wir vergessen nicht die schönen Weihnachtsfrühstücke, zu denen wir von euch eingeladen wurden“. Deshalb steht fest, alle wollen die restliche, verbleibende, gemeinsame Zeit miteinander genießen. Das Lesecafé-Team wird sich von jedem, der so liebgewonnen Gäste verabschieden und währenddessen weiter alles tun, um die Gaumen zu verzücken. „Was danach kommt wird man sehen, langweilig wird es uns sicher nicht, auch wenn sich das Ende hier im Lesecafé wie eine Rente anfühlt.“

Jürgen Frey, Helga Claßen und Resi Frey (von links), freuen sich, den Förderverein der Leitmecke mit ihrer Spende unterstützen zu können. Georg Pesch hat bereits Ideen, wofür das Geld verwendet werden kann
Jürgen Frey, Helga Claßen und Resi Frey (von links), freuen sich, den Förderverein der Leitmecke mit ihrer Spende unterstützen zu können. Georg Pesch hat bereits Ideen, wofür das Geld verwendet werden kann © Susanne Springer | Susanne Springer

Resi und Jürgen Frey sind 72 und 76 Jahre alt und haben eine große Familie mit sieben Enkelkindern. Langeweile wird bei ihnen nicht aufkommen. Auch der Ehemann von Helga Claßen hat bereits Pläne geschmiedet für die Zeit, in der seine Frau demnächst mehr zu Hause sein wird. „Wir bleiben dem Hausfrauenbund in Menden erhalten und werden uns auch weiterhin ehrenamtlich dort einbringen“, das steht für alle fest. In der Dorte-Hilleke-Bücherei wird man im kommenden Jahr bis auf Weiteres auf die Gastronomie verzichten müssen. Das wird vielen Mendenerinnen und Mendenern, aber auch dem Büchereiteam fehlen.

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Unklar wie es im neuen Gebäude weitergehen soll

Welche Form von Gastronomie es nach dem Umzug der Stadtbücherei in das Siepmann Gebäude geben wird, steht indes noch nicht fest. Die Büchereileiterin Veronika Czerwinski möchte dazu noch keine genaue Aussage machen. „Wir befinden uns noch in der Planung für ein gastronomisches Konzept, allerdings steht noch nicht fest, wie es aussehen wird. Aber so etwas wie das Team des Lesecafés wird es dort mit großer Wahrscheinlichkeit nicht mehr geben. So ein Einsatz ist zwar wünschenswert, aber nicht realistisch. Das war schon ein Alleinstellungsmerkmal für unsere Bücherei.“ Deshalb bleibt auch der Büchereileiterin nur, ihre Anerkennung für die geleistete Arbeit im Café auszusprechen, während sie mit den Planungen am neuen Standort beschäftigt ist.

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