Platte Heide. Durch ihre Hochsensibilität ist die Mendenerin Andrea Nagel feinfühliger und empathischer. Das sind ihre Herausforderungen im Alltag.
Schon als kleines Kind hat sie ihre Umgebung anders wahrgenommen, feinfühliger, empathischer als andere. Heute, viele Jahre später, weiß Andrea Nagel, dass sie hochsensibel ist. „Das war Fluch und Segen zugleich“, sagt die Mendenerin im Rückblick. Mittlerweile weiß sie ihre Hochsensibilität anzunehmen: „Jetzt ist es ein Geschenk für mich.“
„Stell dich nicht so an; nimm dir das doch nicht so zu Herzen; sei nicht so empfindlich.“
Dass sie hochsensibel ist, wusste die 60-Jährige viele Jahre nicht zu benennen: „Ich habe aber schon als Kind gespürt, dass mir manches schnell zu viel oder zu laut war. Und dann habe ich mich zurückgezogen.“ In der Natur, mit Pferden oder auch beim Ausleben ihrer Kreativität durch Basteln oder Nähen schuf sie sich in ihrer Kindheit intuitiv ihre ruhigen Rückzugsorte. „Stell dich nicht so an“, „Nimm dir das doch nicht so zu Herzen“, „Sei nicht so empfindlich“ seien Sätze, die Hochsensible oft hören, schildert Andrea Nagel.
„Das Bewusstsein, dass das eine Gabe ist, ist erst später gekommen. “
Sie selbst weiß erst seit sie Mitte/Ende 40 war, dass sie hochsensibel ist. Vorher habe sie zwar immer schon gewusst, dass sie „anders“ sei, aber kein Wort dafür gekannt. Erst als sie über Hochsensibilität las, einen Test machte und sich intensiv weiterbildete, wusste Andrea Nagel, was „anders“ ist. Sie habe immer schon über „sehr feine Antennen“ verfügt, „aber das Bewusstsein, dass das eine Gabe ist, ist erst später gekommen“.
Kontakt
Kontakt zu Andrea Nagel:
www.harmonie-schafft-balance.de
und wellnesstrifftgesundheit.de
Dabei, so sagt Andrea Nagel, sei Hochsensibilität gar nicht so selten: „Etwa 15 bis 20 Prozent der Bevölkerung sind hochsensibel.“ Dabei gebe es verschiedene Ausrichtungen und Ausprägungen: „Manche sind besonders empathisch. Andere sind besonders hellfühlig, das heißt, sie bekommen sehr viel davon mit, wie es ihrem Gegenüber geht.“
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Kommen hochsensible Menschen in einen vollen Raum, bedeute dies für sie vor allem Stress – selbst wenn es sich um liebe Freunde handele. „Zum einen werden sie von den Reizen überflutet, weil sie alle Stimmungen und wie sich die anderen fühlen, aufnehmen“, erklärt Andrea Nagel. Sie nehmen ihre Umwelt intensiver wahr. „Und zum anderen werden sie, weil sie gute Zuhörer sind und andere ausreden lassen, gerne als Kummerkasten genutzt.“ Die Folge: „Sie sind erschöpft.“ Für Hochsensible sei es deshalb besonders wichtig, ein Leben in Balance zu führen. „Das Erkennen, dass jemand hochsensibel ist, ist oft ein Riesenschritt in ein leichteres Leben.“ In der Folge gehe es dann darum, auf seine eigenen Grenzen und Belastungen zu achten und Neinsagen zu lernen.
Mikromimik, Gestik, Antlitz und Körpersprache
Sie selbst spüre intensiv, wie es anderen Menschen gehe, sagt Andrea Nagel. Mikromimik, Gestik, Antlitz und Körpersprache – stimmen Gesagtes und Körperreaktion überein? – sorgen dafür, dass Andrea Nagel im wahrsten Sinne des Wortes ein Gefühl dafür bekommt, wie es ihrem Gegenüber gerade geht, erklärt sie: „Das ist wie ein Frühwarnsystem. Wenn jemand Schmerzen hat, kann ich intensiv nachempfinden, wie es demjenigen geht. Ich gucke hinter die Fassade.“ Nicht alle Menschen indes mögen es, wenn ihre glatte Fassade Risse bekommt: „Viele Menschen wollen lieber etwas verbergen. Sonst fühlen sie sich verletzlich.“
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Durch ihre Hochsensibilität öffnen sich Menschen ihr gegenüber leichter, erklärt Andrea Nagel. Hierzu tragen ihre Empathie und ihr aktives Zuhören bei. Es sei für hochsensible Menschen nicht immer leicht – vor allem, wenn viel emotionaler Ballast bei ihnen abgeladen werde. Hier sei es wichtig, so Andrea Nagels Erfahrung, sich selbst abzugrenzen.
Andrea Nagel arbeitet seit vielen Jahren auf der Platte Heide als Gesundheitsberaterin und Masseurin. Nach jedem Klienten lässt sie bewusst ihren Blick aus dem Praxisfenster am Hülschenbrauck in die Ferne schweifen, gönnt damit ihren Augen eine Pause, macht tiefe Bauchatmung, sorgt für Entspannung – ihr Schutz, um selbst in ihrer Kraft zu bleiben. Auch Bewegung sorgt bei Andrea Nagel dafür, dass sie Ausgleich findet.
Feste Ruhezeiten am Smartphone eingestellt
Endloses Scrollen am Handy sei nicht nur für kleine Kinder wenig hilfreich, weiß Andrea Nagel. Sie selbst habe deshalb feste Ruhezeiten an ihrem Smartphone eingestellt – „mein Selbstschutz“.
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In ihrer Massage- und Beratungspraxis hat Andrea Nagel mehrere Klienten, die wegen ihrer Hochsensibilität Hilfe gesucht haben. „Einige sind dabei, ihren Beruf zu verlassen, weil er ihnen nicht guttut.“ Es sei wichtig, im Alltag „Oasen der Ruhe“ zu finden, rät Andrea Nagel: „Es geht darum, einfach mal ein paar Minuten für sich zu haben. Und wenn jemand einfach auf die Toilette geht und da durchatmet, das kann schon ausreichen.“ Auf Anspannung müsse Entspannung folgen: „Sonst besteht die Gefahr des Ausbrennens.“
„Das macht die Gen Z heute besser. Die grenzen sich oft gut ab. Die Gen Z sorgt besser für sich, macht es für sich als Mensch richtig.“
Gerade ihre eigene Generation der Boomer – also Menschen, die zu Zeiten des Baby-Booms geboren wurden – habe dies nicht gelernt, sagt die 60-Jährige. Die Gesellschaft verlange nach funktionierenden, leistungsbereiten Menschen. Oft gelte die Maxime: Erst die Arbeit, dann das Vergnügen: „Das macht die Gen Z heute besser. Die grenzen sich oft gut ab. Die Gen Z sorgt besser für sich, macht es für sich als Mensch richtig.“ Es gehe nicht darum, egoistisch zu sein, sondern um Selbstschutz und Selbstfürsorge – „gesund und in Balance zu sein. Und der Körper ist da das Spiegelbild der Seele.“
Andrea Nagel selbst hat trotz manch schmerzhafter Erfahrungen ihre Hochsensibilität mittlerweile vorbehaltlos angenommen: „Ich würde nie ein abgestumpftes Kaltblut sein wollen. Ich bin gut so wie ich bin. Durch die Hochsensibilität habe ich so viel Positivität in meinem Leben.“
Test für Hochsensibilität
Und woran spüren Menschen, dass sie hochsensibel sind? „An der Stimmfarbe, an der Art des Sprechens – diese Menschen sind in der Regel vorsichtig und achtsam – sowie an der Art der Kommunikation. Sie sind tiefgründiger als andere.“ Viele Hochsensible seien „feinhaarig, feingliedrig, meistens schlank, aber es gibt auch welche, die sich einen äußeren Schutzpanzer zugelegt haben“. Ein Test gebe oft Gewissheit.
„Auch wenn dort Menschen sind, die sich vorher überhaupt nicht kennen – das ist wie ein Nachhausekommen. Da ist so viel positive, liebevolle Energie.“
Hochsensibilität, das betont Andrea Nagel, sei keine Störung, keine Diagnose, „es ist ein Persönlichkeitsmerkmal – so wie jemand blonde Haare oder grüne Augen hat“. In der Medizin werde Hochsensibilität derzeit „genau wie ein Vitamin-D-Mangel als Modediagnose angesehen“. Andrea Nagel indes weiß, dass vielen Menschen ihre besonders stark ausgeprägte Feinfühligkeit, ihre Empathie im Alltag zu schaffen macht. Deshalb hat sie ehrenamtlich einen Stammtisch gegründet. Einmal pro Quartal treffen sich hochsensible Menschen in ihren Praxisräumen zum Austausch. Andrea Nagel gibt Impulse, informiert über die positiven Aspekte von Hochsensibilität, sorgt für einen geschützten Raum und freut sich darüber, dass die Anmeldung zum Stammtisch in der Regel kurz nach Bekanntgabe des neuen Termins ausgebucht ist: „Auch wenn dort Menschen sind, die sich vorher überhaupt nicht kennen – das ist wie ein Nachhausekommen. Da ist so viel positive, liebevolle Energie.“