Olpe. ARD-Börsenfachmann Markus Gürne: „Das Land der Dichter und Denker, Tüftler und Erfinder ist zum Land der Betroffenen und Empörten geworden“
Nein, Deutschland ist noch nicht am Ende. Darin waren sich Gastgeber und Gast einig. Aber es muss an vielen Stellen korrigiert und umgedacht werden. Am Dienstagabend war die Olper Stadthalle Schauplatz der jährlichen Unternehmertagung, zu der der Arbeitgeberverband im Kreis Olpe und die Kreishandwerkerschaft gemeinsam einladen. Als Gastgeber hieß der Vorsitzende des Arbeitgeberverbands, Christopher Mennekes, die Anwesenden willkommen und hielt dabei eine kurze, aber eindrucksvolle Rede, die der Gast als „die beste, die ich in den letzten Jahren gehört habe“, lobte. Mennekes hatte zunächst betont, dass trotz der starken Industrie und der vergleichsweise intakten Strukturen auch im Kreis Olpe die Probleme groß seien. So leide auch hier die Wirtschaft darunter, dass in Deutschland derzeit der Eindruck entstehen könne, es werde nur noch gegeneinander gearbeitet.
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Er positionierte sich deutlich: Insbesondere nach der Europawahl zwei Tage zuvor sei es ihm wichtig zu betonen, dass „ich und die allermeisten hier pro-europäisch sind“, dass er wisse, dass die große Mehrheit anerkenne, welche Vorteile, wirtschaftlich wie gesellschaftlich, durch das Miteinander der Länder entstanden seien und dabei auch akzeptierten, dass dies mit einer gewissen Machtverschiebung aus den nationalen Hauptstädten in Richtung Brüssel verbunden sei. Er lobte den heimischen Unternehmer und Funktionär Arndt G. Kirchhoff, der gemeinsam mit dem Gewerkschafter Knut Giesler eine vielbeachtete Wahlempfehlung eindeutig gegen extremistische Parteien und namentlich die AfD in einem Interview der FUNKE Mediengruppe veröffentlicht hatte, zu der auch die WESTFALENPOST gehört: Dies sei ungewöhnlich und vielkritisiert, daher danke er für diese klare Positionierung. „Es sind Aufrufe wie diese, die verhindert haben, dass es noch schlimmer geworden ist, denn die AfD hat gegenüber ersten Prognosen deutlich verloren.“ Hier nannte er namentlich den heimischen Grünen-Landtagsabgeordneten Dr. Gregor Kaiser für dessen Einsatz gegen Rechtsextremismus.
„Wir werden vieles selbst tun müssen und das wird verdammt viel Geld kosten.“
Auch erklärte Mennekes ohne Umschweife, dass er den „Green deal“ für im Grundsatz richtig halte und die Dekarbonisierung, der europaweit beschlossene Ausstieg aus Kohle, Gas und Öl, mittel- und langfristig nicht nur richtig, sondern auch lohnend sein werde. Allerdings dürfe dies Wirtschaft und Gesellschaft nicht überfordern, „denn sonst scheitert es“. Dass der Weg der richtige sei, zeigten andere Wirtschaftsgebiete, etwa China, die massiv in den Ausbau erneuerbarer Energien investierten: China beispielsweise in etwa so viel wie die gesamte EU und die USA zusammen. Der Strompreis müsse dabei aber niedrig bleiben, denn „dann fällt die Entscheidung für die Wärmepumpe ganz ohne Verbote, einfach weil es sich lohnt“. Weiterhin gelte es, die ausufernde Bürokratie zu bekämpfen, die ein Hemmschuh der Wirtschaft sei.
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Als Hauptredner des Abends, neudeutsch „Keynote speaker“ genannt, hieß er Markus Gürne willkommen, abendlicher Gast in vielen deutschen Wohnzimmern: Als Leiter der ARD-Börsenredaktion moderiert er die der Tagesschau vorgeschaltete Sendung „Wirtschaft vor acht“. Gürne plädierte in freier Rede und druckreifen Worten für eine deutliche Ausweitung des Wirtschaftsunterrichts an deutschen Schulen, weil das diesbezügliche Wissen elementar sei. Der vielgereiste ehemalige Auslandskorrespondent, der einen zweiten Wohnsitz in Schweden hat, nahm viele deutsche Eigenheiten aufs Korn. So sei es sehr deutsch, etwas erst dann zu ändern, wenn der Druck groß werde, anstatt dies frühzeitig zu tun, wenn es viel einfacher wäre.
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Der Transport von im Norden erzeugten Strom in den Süden dürfe nicht daran scheitern, dass dazwischen aus Egoismus die Durchleitung erschwert werde. „Das Land der Dichter und Denker, Tüftler und Erfinder ist zum Land der Betroffenen und Empörten geworden“, so eine seiner Konstatierungen. Er warf einen Blick auf die Machtverschiebungen in der Welt und betonte, er sei sicher, dass die EU und insbesondere Deutschland allein nicht in der Lage sei, auf auch nur einem einzigen Feld gegen Asien bestehen zu können. „Wir fordern oft einen Standard von 180 Prozent, wo wir selbst nicht mal 100 erreichen“, so Gürne. Es sei auch keine Frage, die Deutschland angehe, ob Trump nun gewählt werde oder nicht – „das tun die Amerikaner. Wir müssen uns dagegen jetzt schon damit befassen, wie wir damit umgehen würden“. Das transatlantische Bündnis werde sich in jedem Fall stark wandeln, „wir werden vieles selbst tun müssen und das wird verdammt viel Geld kosten“. Doch Geld sei in Deutschland nach wie vor reichlich vorhanden, etwa auf den Sparkonten der Bürgerinnen und Bürger, wo es jedoch wegen der verbreiteten Mischung aus Sorglosigkeit und Angst nicht investiert werde. „Die Transformation werden wir nicht schaffen, ohne viel Geld in die Hand zu nehmen“, so Gürne.
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Er prognostizierte, die deutsche Wirtschaft werde den Preiskampf etwa bei Großwindanlagen gegen China und beim Stahl gegen Indien nicht gewinnen können, daher müsse die Frage sein, ob das Land noch der richtige Produktionsstandort sei. Aber bei Apple in Cupertino werde auch nicht montiert, sondern entwickelt und geforscht. Mit langem Applaus bedachten die zahlreichen anwesenden Unternehmer, Kommunalpolitiker und Verbandsvertreter seine Ausführungen, um anschließend im Foyer der Stadthalle noch lange im Gespräch zu bleiben.