Hagen. Vor dem Landgericht Hagen müssen sich zwei Frauen und ein Mann verantworten. Den Autohändlern wird Steuerbetrug in Millionen-Höhe vorgeworfen.
Dies ist in mehrfacher Hinsicht ein ungewöhnlicher Prozess: Zwei Frauen und ein Mann werden in Handschellen in den Gerichtssaal geführt. Als Ankläger ist ein Vertreter der Europäischen Staatsanwaltschaft (Köln) erschienen. In diesem Großverfahren vor der Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts in Hagen geht es um die Bildung von kriminellen Vereinigungen, um ein kompliziert aufgebautes Umsatzsteuer-Karussell mit Luxusautos - und um einen angeklagten Schaden von 55 Millionen Euro.
Die 39-jährige Angeklagte, die aus religiösen Gründen ein Kopftuch trägt, wohnte im Tatzeitraum in einem Haus mit Blick auf das Schloss Hohenlimburg. Derzeit ist sie in Untersuchungs-Haft in Köln untergebracht. Stolze 119 Seiten umfasst die umfangreiche Anklageschrift. Darin sind alle ihr vorgeworfenen Steuerstraftaten haarklein aufgelistet.
„Nettoverkauf“ von Gebrauchtwagen
An mehr als der Hälfte der Fälle soll der mitangeklagte 24-Jährige beteiligt gewesen sein, der im Hagener Gefängnis einsitzt. Der dritten Angeklagten, einer 53-jährigen Italienerin aus dem bayrischen Memmingen, wird Beihilfe an etwa drei Vierteln der Taten zur Last gelegt. Sie befindet sich derzeit in der Haftanstalt für Frauen in Gelsenkirchen.
Zweck der kriminellen Vereinigung sei die dauerhafte Begehung von Steuerstraftaten gewesen. Die Vorwürfe, vereinfacht erklärt: Im Zeitraum von 2017 bis Februar 2024 betrieb die 34-Jährige einen Gebrauchtwagen-Handel in Hagen. Zudem war sie Geschäftsführerin einer GmbH. Geschäftszweck soll der sogenannte „Nettoverkauf“ gewesen sein: Fahrzeuge wurden zunächst im großen Umfang bei Händlern aufgekauft, der Weiterverkauf von diesen Gebraucht- und Neuwagen in andere EU-Staaten soll dann jedoch nur vorgetäuscht worden sein. Stattdessen sollen die Autos an Scheinfirmen gegangen sein, die häufig in Italien ansässig waren. Mithilfe gefälschter Rechnungen sollen Umsatzsteuerzahlungen umgangen worden sein.
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Anklage hat 119 Seiten
Die angeklagte Italienerin sei als Vermittlerin tätig gewesen, der angeklagte 24-Jährige soll gegenüber dem Finanzamt den Verkauf an ausländische Firmen erklärt haben, die tatsächlich wirtschaftlich gar nicht tätig waren und ihren steuerlichen Pflichten nicht nachkamen. In Steuerfahnder-Kreisen werden solche Scheinfirmen als „Missing Trader“ bezeichnet. Letztlich wären die Luxus-Karossen jedoch an Firmen oder Privatleute gegangen, die die Fahrzeugbeschaffung in Auftrag gegeben hätten. Dafür seien an zwei Angeklagte auch „Provisionen“ geflossen.
Am ersten Prozesstag trug der Staatsanwalt nur die 119-seitige Anklageschrift vor. Eine Mammutaufgabe: Das Vorlesen der Zahlenkolonnen dauerte mehrere Stunden. Bislang hat die Strafkammer unter Vorsitz von Richter Andreas Behrens noch zwanzig weitere Prozesstage bis zum 5. Juni anberaumt.