Hagen. Der geplanter HGW-Abriss an der Elmenhorststraße stößt bei Bewohnern auf große Skepsis. Gesellschaft will auf die Menschen individuell zugehen.
Versprechungen, Mutmaßungen und Gerüchte haben sie schon zuhauf gehört. Passiert ist allerdings meist wenig bis nichts. Dennoch befinden die verbliebenen 40 Bewohner der elf HGW-Häuser in der unteren Elmenhorststraße sich in großer Sorge, dass sie bald aus ihrem Idyll zwischen Delstern und Emst vertrieben werden. Ein Ort, der für diese Menschen fast das Paradies bedeutet. Die Hagener Gemeinnützige Wohnungsgesellschaft will die etwa 100 Jahre alten Häuser jetzt endgültig dem Erdboden gleich machen und durch modernen Wohnraum ersetzen.
Doch die Familien, die heute noch in den zur Hälfte bereits leergezogenen Vermietungsimmobilien zum Teil in der vierten Generation für einen Spottpreis leben, befürchten beim Blick auf die jüngsten Preisentwicklungen, dass sie sich die neu entstehenden Einheiten nicht mehr leisten können.
Weitere Themen aus Hagen und Breckerfeld:
- Neue Grundsteuer: Das kommt auf alle Hagener zu
- Zum Verwechseln: Hagener Herrenausstatter auch in den Alpen?
- Countdown läuft: Action startet in der Volme-Galerie
- Zahlt Hagen 100.000 Euro für die Rettung von nur einem Baum?
- FDP Hagen schickt eine Frau in das Rennen um den OB-Sessel
- Gay-Sex-Falle im Hagener Wald: Das sagen Opfer und Täter
- Vorhaller Typ: die Geschichte des Pizzabäckers Dala
- Das bedeutet die NRW-Krankenhausreform für die Hagener Häuser
„Wir sind vor vollendete Tatsachen gestellt worden“, ärgert sich der 84-jährige Werner Meineke nach der jüngsten HGW-Mieterversammlung in der AWO-Begegnungsstätte Emster Kulturhof. „Was hat man uns nicht alles zugesagt: neue Balkone, endlich funktionierende Haustüren oder auch mehr Stellplätze – nichts ist in den vergangenen Jahren umgesetzt worden.“ „Erst hieß es, nur die unteren Häuser würden abgerissen, der Rest solle kernsaniert werden“, erinnert sich Melanie Hac an diverse Gespräche mit HGW-Vertretern. „Wir haben uns daraufhin noch mit 2000 Euro an der Investition in neue Wohnungstüren und in eine Badsanierung beteiligt, und jetzt soll plötzlich alles weg.“
„Wir sind vor vollendete Tatsachen gestellt worden.“
Bekenntnis gegen Rechts
Die Hagener Gemeinnützige Wohnungsgesellschaft (HGW) hat angesichts des politischen Klimas in Deutschland, aber auch in Hagen unter dem Titel „Gemeinsam gegen Rechts“ ein klares Statement zu der Thematik abgegeben. Darin stellt Geschäftsführer Alexander Krawczyk klar, dass die HGW sich seit ihrer Gründung im Jahr 1919 unermüdlich dafür einsetze, allen Menschen ein lebenswertes, attraktives und bezahlbares Zuhause zu bieten: „Unsere Werte und unser Handeln sind geprägt von sozialer Verantwortung und einem tiefen Verständnis für die Bedürfnisse unserer Mieter und Bürger der Stadt Hagen“, heißt es dort.
„Unsere Kernkompetenz ist die Bereitstellung von bezahlbarem und qualitativem Wohnraum für alle gesellschaftlichen Schichten. Vielfalt und Teilhabe sind für uns keine leeren Worte, sondern gelebte Realität. Wir fördern das nachbarschaftliche Miteinander und Gastfreundschaft und treten aktiv gegen jede Form von Extremismus ein“, sagt Krawczyk. Die Gesellschaft verstehe sich als offener Arbeitgeber und Vermieter, dem die Herkunft ihrer Stakeholder egal sei: „Vielfalt und Teilhabe sind zentrale Prinzipien unseres Unternehmens. Wir ermöglichen ein harmonisches Zusammenleben von Menschen aller Kulturen und fördern das nachbarschaftliche Miteinander.“
„In einer Zeit, in der extremistische Ideologien zunehmend unser gesellschaftliches Gefüge bedrohen, ist es wichtiger denn je, sich klar zu positionieren. Wir stehen für eine offene und tolerante Gesellschaft. Jede Form von Ausgrenzung und Diskriminierung widerspricht unseren Grundwerten,“ betont Krawczyk.
Zeit und Liebe investiert
„Viele von uns haben in den vergangenen Jahren viel Liebe, Zeit und Geld in die Wohnungen investiert. Wir haben unsere Einrichtungen den Wohnräumen angepasst. Es ist unser Zuhause“, möchte Nicole Quast nur ungern akzeptieren, dass hier alle raus sollen. „Wir wohnen hier nicht nur, wir leben hier und wären niemals freiwillig ausgezogen.“ Marion Gramer ist erst im Dezember 2022 hinzugezogen und hat sich mit Unterstützung von Freunden und durchaus erheblichem finanziellen Aufwand ihr ganz privates Nest geschaffen: „Damals hieß es noch, das Haus, in dem ich wohne, werde saniert. Also habe ich investiert. Im Klartext: Ich fühle mich verarscht.“
„Viele von uns haben in den vergangenen Jahren viel Liebe, Zeit und Geld in die Wohnungen investiert. Wir haben unsere Einrichtungen den Wohnräumen angepasst. Es ist unser Zuhause.“
Hinsichtlich des energetischen Zustands, der Schnitte der Wohnungen und der Größe sei das Angebot nicht mehr zeitgemäß und marktgerecht, erläutert derweil HGW-Geschäftsführer Alexander Krawczyk die Situation. Auch durch die Zusammenlegung einzelner Einheiten ließen sich in den Objekten keine modernen Grundrisse entwickeln: „Hier wäre eine Kernsanierung teurer als ein Neubau.“ Deshalb nimmt die kommunale Wohnungsgesellschaft etwa 20 Millionen Euro in die Hand, um an der Elmenhorststraße Bestandsentwicklung zu betreiben. Um die konzeptionellen Details kümmert sich ein Bielefelder Projektentwickler.
Insgesamt neun Mehrfamilienhäuser mit 78 Wohneinheiten sollen parallel zu der Kleingartenanlage in die Höhe wachsen. Einschließlich einer Souterrain-Etage entstehen in der Hanglage viergeschossige, energetisch auf Klimaneutralität ausgerichtete Gebäude. Dabei ist noch offen, ob eine Versorgung der Immobilien mit Fernwärme möglich sein wird. Andernfalls sollen die Objekte über Photovoltaik- und Wärmepumpentechnik beheizt werden, blickt die HGW auf die Nebenkostenabrechnungen ihrer künftigen Mieter.
„Hier wäre eine Kernsanierung teurer als ein Neubau.“
Angst vor steigenden Mieten
„Wir hängen zurzeit völlig in der Luft“, klagt derweil Gabriele Quast. „Jeden Tag mache ich mir Gedanken, wo wir in Zukunft leben können“, blickt sie zugleich auf ihre 86-jährige, erkrankte Mutter, die nach Jahrzehnten an der Elmenhorststraße es kaum verkraften werde, noch einmal umziehen zu müssen. „Vor allem stellt sich für uns die Frage, ob wir uns eine Wohnung in diesen Neubauten überhaupt leisten können.“
Denn zurzeit kommen die Bewohner mit einem Mietzins deutlich unter fünf Euro über die Runden. Ein Privileg, das sicherlich auch der Qualität der Wohnungen geschuldet ist. „Aber wir waren hier immer zufrieden, jeder kennt jeden, wir helfen uns und passen aufeinander auf“, skizziert Tochter Nicole Quast das so besondere Miteinander. „Wir sind mehr als nur Mieter, wir sind eine Gemeinschaft, Freunde – wie eine große Familie.“
Etwa die Hälfte der Wohnungen steht zum Teil schon seit Jahren leer. Ganz gezielt hat die HGW hier gar keine Nachmieter mehr gesucht. Aber zur langfristigen Strategie gab es auch nie konkrete Aussagen: „Uns fehlt das Vertrauen, es gab zu viele Gerüchte, zu viele Lügen“, bleibt Andreas Hac auch nach der Mieter-Informationsveranstaltung skeptisch. Zumal zuletzt ein Mitarbeiter der Wohnungsgesellschaft aufkreuzte und mit dem Brustton der Überzeugung die Botschaft verbreitete, dass die Mieter sich auf Wohnungen ab 3,5 Zimmern mit Mieten ab 1000 Euro aufwärts einstellen sollten.
„Uns fehlt das Vertrauen, es gab zu viele Gerüchte, zu viele Lügen.“
Wunsch nach Ansprechpartner
Vor diesem Hintergrund drängt die Nachbarschaft im engen Schulterschluss darauf, außer losen Vorankündigungen aus dem Haus der HGW endlich verbindliche Auskünfte und belastbare Zusagen zu erhalten. Zudem legen die 30 Rest-Mietparteien – darunter etwa 20 Alleinstehende – großen Wert darauf, dass auch kleinere Wohneinheiten für den schmaleren Geldbeutel gestaltet werden. „Jeder von uns kann sicherlich ein- bis zweihundert Euro drauflegen, aber wir wollen auf jeden Fall hierbleiben. Wir sind zwar nicht mit den Häusern, aber der Straße verwurzelt“, unterstreicht Nicole Quast im Namen ihrer Nachbarn. Ihr Forderungskatalog ist daher knapp und präzise: ein Mix aus kleineren und größeren Wohnungen, bezahlbare Preise, Abriss und Neuentwicklung in Etappen, um unnötige Umzüge zu vermeiden, und vor allem ein fester HGW-Ansprechpartner, der verbindliche und belastbare Auskünfte erteilt.
„Einmal im Quartal uns ein Informationsupdate zu geben, würde schon sehr dazu beitragen, unsere Sorgen zu mildern und uns wieder beruhigter einschlafen zu lassen.“
HGW-Geschäftsführer Krawczyk zeigt sich für vertiefende Gespräche durchaus offen: „Wir werden für jeden Mieter eine individuelle Lösung finden“, stellt er in Aussicht. Bislang sei jedoch noch nicht einmal ein Bauantrag gestellt, das soll nach der Sommerpause gelingen. Der eigentliche Abriss könnte somit frühestens 2025 beginnen. Zugleich kündigt er im Gespräch mit der Stadtredaktion an, dass sein Haus tatsächlich eine schrittweise Neuentwicklung des Quartiers plane und Wohnungen mit einer reduzierten Größe von 62 Quadratmetern bereits Bestandteil der Planungen seien. Zugleich möchte er künftig mit regelmäßigen Rundschreiben die Mieter bei aktuellen Entwicklungen auf Stand halten. Ganz im Sinne von Bettina Thiede, die anregt: „Einmal im Quartal uns ein Informationsupdate zu geben, würde schon sehr dazu beitragen, unsere Sorgen zu mildern und uns wieder beruhigter einschlafen zu lassen.“