Ennepetal. Trotz rechtlicher Bedenken führt Stadt differenzierte Hebesätze für Gewerbe- & Wohngrundstücke ein. Entlastung für Wohnungseigentümer und Mieter.

Die Stadt Ennepetal führt für die Erhebung der Grundsteuer B ab 2025 differenzierte Hebesätze ein. Diese Entscheidung fällte der Rat einstimmig. So solle der Entlastung des Faktors Wohnen, auf dem ein hoher Druck laste, der Vorzug gegeben werden. Für die Eigentümer von Wohngrundstücken gilt künftig ein Hebesatz von 853 Prozent und für Nichtwohngrundstücke von 1623 Prozent.

Die Politiker verwarfen damit den Beschlussvorschlag der Verwaltung, die einen einheitlichen Hebesatz von 1064 Prozent für alle Grundstücke befürwortet hatte. Kämmerer Tim Strathmann hatte zur Begründung insbesondere ein erheblich höheres rechtliches Risiko im Fall der Differenzierung ins Feld geführt. Der Rat nahm dieses Risiko nun in Kauf. „Wir sind mit diesem Ergebnis nicht glücklich, sind aber der Meinung, dass eine noch höhere Belastung nicht zu verkraften ist. Wohnen ist der Hauptbelastungsfaktor für die Bürger“, sagte der CDU-Fraktionsvorsitzende Daniel Heymann. „Aus unserer Sicht würde es eine zu starke Belastung für Eigentümer und Mieter durch einen einheitlichen Hebesatz geben“, sagte auch Grünen-Fraktionsvorsitzender Prof. Kurz Bienert. Diesen Argumenten schlossen sich die anderen Fraktionen an.

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Weil das Bundesverfassungsgericht 2018 die bisherige Praxis der Grundsteuerbemessung anhand von (stark veralteten) Einheitswerten für unvereinbar mit dem allgemeinen Gleichheitssatz des Grundgesetzes erklärt hatte, war der Bund gezwungen, die Bemessungsgrundlage so zu gestalten, dass die tatsächlichen Wertverhältnisse der Grundstücke realitätskonform abgebildet werden. Dem Gesetzgeber wurde auferlegt, bis zum Jahr 2025 eine Reform vorzunehmen. Der Bund entwickelte daraufhin ein Modell, das eine Reihe von Bundesländern übernahmen (das sogenannte Bundesmodell). Das Gesamtaufkommen bei der Grundsteuer sollte durch die Reform unverändert bleiben. Das Verfahren sieht vor, dass das Finanzamt - anhand der abgegebenen Erklärungen - den Grundsteuerwert ermittelt. Auf dieser Basis setzt es den Grundsteuermessbetrag fest. Dieser Messbetrag wird der Gemeinde mitgeteilt, die durch Multiplikation mit dem Grundsteuerhebesatz die neue Grundsteuer ermittelt.

Weil sich herausstellte, dass es bei der Festsetzung der neuen Messbeträge vielerorts zu gravierenden Verschiebungen zu Lasten von Wohngrundstücken kam, nutzte das Land NRW die beim Bundesmodell vorgesehene Abweichungskompetenz der Länder. Das Land führte allerdings nicht auf seiner übergeordneten Ebene differenzierte Hebesätze ein (wie es einige Bundesländer gemacht haben), die die Lastverschiebung dämpfen. Es räumte vielmehr den Kommunen die Möglichkeit ein, solche differenzierten Hebesätze einzuführen. Allerdings schob der Landesgesetzgeber den Kommunen zugleich die rechtliche Verantwortung zu, sprich: Etwaige Klagen gegen die Differenzierung würden sich gegen die jeweilige Stadt richten.

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„Das Gesetz ist ein großer Murks des Landes“, sagte SPD-Fraktionsvorsitzender Volker Rauleff. „Alles wurde wieder einmal auf die Kommunen verschoben.“ Und Daniel Böhler, Vorsitzender der FDP-Fraktion, bezeichnete die Regelung als „organisierte Verantwortungslosigkeit des Landes.“ Auch CDU und Grüne positionierten sich mit deutlichen Worten gegen das Vorgehen der schwarz-grünen Landesregierung.

Die Verwaltung hatte in ihrem ursprünglichen Beschlussvorschlag die rechtlichen Risiken einer Differenzierung aufgezeigt. Darin betonte Kämmerer Tim Strathmann noch einmal, dass das gesamte Grundsteueraufkommen für die Stadt gleich bleiben solle. Weil die Summe aller vom Finanzamt festgelegten Messbeträge für Wohn- und Nichtwohngrundstücke niedriger sei als nach der alten Regelung, müsse es einen höheren Hebesatz geben, um dennoch Grundsteuern in unveränderter Höhe einzunehmen. Das Finanzamt errechnete für Ennepetal dafür einen Hebesatz von 1064 Prozent.

Während die Festsetzung eines einheitlichen Hebesatzes allgemein als rechtlich unproblematisch angesehen wird, gibt es zur Anwendung differenzierter Sätze widerstreitende Auffassungen von Rechtsexperten. Die Verwaltung legte dem Beschlussvorschlag ein im Auftrag des NRW-Finanzministeriums erstelltes und ein anderes durch den Städte- und Gemeindebund beauftragtes Gutachten bei. Die Dutzende Seiten starke Gutachten kamen zu gegenteiligen Ergebnissen. Da er bei der Differenzierung das höhere Risiko sehe, dass Grundstückseigentümer gegen die Grundsteuersatzung klagen würden, habe er den einheitlichen Hebesatz vorgeschlagen, erklärte der Kämmerer.

Verhältnismäßigkeit geprüft

Das rechtliche Risiko gehe für die Stadt mit einem finanziellen Risiko einher, erläuterte Strathmann. Sollten Klagen gegen die Differenzierung Erfolg haben, könnte es dazu führen, dass für alle doch ein einheitlicher Hebesatz angewendet werden müsse, der dann beim niedrigeren Satz von 853 Prozent läge. Dadurch würden der Stadt bis zu 1,85 Millionen Euro fehlen - pro Jahr, und das so lange, bis eine neue vom Rat beschlossene Satzung Gültigkeit erlangt.

In der vorbereitenden Sitzung im Hauptausschuss hatten fast alle Fraktionen sich klar dafür ausgesprochen, dieses Risiko zu tragen, nur die EWG enthielt sich in der Sitzung noch. Kämmerer Tim Strathmann erklärte auf einen entsprechenden Hinweis von Daniel Heymann, dass dem geänderten Beschluss eine „Verhältnismäßigkeitsprüfung im Hinblick auf die Anwendung differenzierter Hebesätze“ des Rates beigefügt sein müsse, um in einem etwaigen Rechtsstreit aufzuzeigen, wie das Gremium abgewogen hat.

In der Ratssitzung legte die Verwaltung diese Begründung vor. Letztlich stimmte auch die EWG, die ursprünglich für einen einheitlichen Hebesatz votieren wollte, der Einführung differenzierter Hebesätze zu. Die Begründung sei einheitlich abgestimmt und aus seiner Sicht einigermaßen rechtssicher., so EWG-Fraktionschef Rolf Hüttebräuker.