Essen. Fachleute helfen Firmen, wie sie junge Leute gewinnen. Das wüssten Parteien auch gern. Ein Experte über TikTok, Image und Kreativität.

  • Bei den Europa- und Landtagswahlen haben junge Menschen überdurchschnittlich stark die AfD gewählt.
  • Wieso tun sich die anderen Parteien so schwer, die Jugend zu erreichen?
  • Eine Antwort liefern Unternehmen, für die es überlebenswichtig ist, dass junge Talente auf sie aufmerksam werden und bei ihnen bleiben. Hilfe bekommen sie von Marketing-Experten wie Andreas Herde.

Der blaue Balken der AfD wächst und wächst: Die Wahlergebnisse in Thüringen und Sachsen haben gezeigt, dass Rechtsextreme vor allem unter jungen Wählerinnen und Wählern Stimmen gewinnen. Die demokratischen Parteien indes suchen einmal mehr händeringend eine Antwort auf die drängende Frage, wie sie junge Menschen (besser) erreichen können. Ein Blick in die von Fach- und Arbeitskräftemangel gebeutelte Wirtschaft könnte helfen: Marketing-Experten wie der Düsseldorfer Andreas Herde beraten immer häufiger Firmen dabei, wie sie begehrte junge Talente erreichen, überzeugen und an sich binden können. Im Interview mit dieser Redaktion spricht der Co-Gründer der Agentur „YeaHR“ über die Fehler der Politik, die Bedeutung von Botschaften und die Folgen des TikTok-Algorithmus.

Herr Herde, Sie beraten mit Ihrer Agentur Firmen dabei, wie sie als Arbeitgeber besser bei jungen Talenten durchdringen. Das wüsste manch einer in der Politik auch ganz gern. Was kann man von Ihnen lernen?

Andreas Herde: Zunächst, junge Leute sind nicht junge Leute. Schüler spricht man anders an als Studenten, jemanden auf dem Land anders als in der Stadt. Aber im Prinzip gilt: Jedes Unternehmen hat eine Geschichte zu erzählen, die es authentisch vermitteln kann. Und viele Firmen wissen inzwischen, dass sie damit um die Aufmerksamkeit von jungen Leuten werben müssen.

Erklären Sie kurz: Wieso müssen sie das?

Andreas Herde: Der emotionale Kleber zum Arbeitgeber ist verloren gegangen. Die Menschen sind eher bereit, zu wechseln. Das hat zwei Gründe. Mit der Pandemie sind Werte wie Gesundheit, Familie und Heimat wichtiger geworden. Zugleich ist der Arbeitskräftemangel so groß, dass jede Fachkraft heute schnell irgendwo anders unterkommt. Früher haben Firmen vom Kampf um Talente gesprochen. Den haben die Kandidaten gewonnen.

Andreas Herde ist einer von drei Geschäftsführern der Employer-Branding-Agentur YeaHR in Düsseldorf.
Andreas Herde ist einer von drei Geschäftsführern der Employer-Branding-Agentur YeaHR in Düsseldorf. © YeaHR | Oliver Bellendir Photography

Ist das vergleichbar mit dem Kampf um Wählerstimmen der Politik? 

Andreas Herde: Ja, aber es gibt auch Unterschiede. Die Wahl des Arbeitgebers ist oft langfristig. Bewerber informieren sich über bis zu zehn verschiedene Quellen, bevor sie sich bewerben. Wählen ist immer öfter Bauchsache. Bei den Ost-Wahlen waren 30 Prozent in der Woche vor der Wahl noch unentschieden.

Wo sehen Sie Ähnlichkeiten?

Andreas Herde: Bei der Bedeutung von Botschaften. Ich erinnere mich gerade an die Wahlplakate zur Europawahl mit Worten wie „Frieden“ oder „Freiheit“ oder „Verantwortung“. Das ist absolut austauschbar. Ein Unternehmen, das auf der Suche nach Fachkräften in einem Bewerbermarkt ist, würde mit derart allgemeinen Botschaften keinen Fuß auf den Boden bekommen.

Kampf um Jungwähler 
Um in den sozialen Medien aufzufallen, müssen Botschaften konkreter und kürzer sein - und innerhalb von einer Sekunde sitzen, sagt Andreas Herde. © Montage: Lena Lübner | iStock

Was müsste dann auf einem Wahlplakat stehen?

Andreas Herde: Nichts. Wir wissen seit Obama 2008, dass Wahlen in den sozialen Medien entschieden werden und nicht auf dem Wahlplakat. Und da geht es um Bewegtbilder, Sprache, Emotionen und Zuspitzung.

Dann frage ich anders: Was ist eine gute Botschaft?

Andreas Herde: Die meisten Parteien verpassen die große Chance, ihre Themen für die jeweiligen Zielgruppen zu übersetzen und zuzuspitzen. Was meint sie denn mit „Wohlstand“, und was soll das für den Azubi oder den Berufsanfänger bedeuten? Und man muss sich davon verabschieden, viel erklären zu wollen: Eine gute Botschaft in den sozialen Medien ist nicht länger als sechs Worte. Man hat vielleicht eine Sekunde Zeit, um dort aufzufallen. Das muss sitzen.

Employer Branding

„Employer Branding“ ist in Deutschland eine vergleichsweise junge Disziplin des Marketings, die immer wichtiger wird. Denn in vielen Branchen fehlen Arbeits- und Fachkräfte. Unternehmen wetteifern also immer stärker um kluge Köpfe und müssen sich als Marke am Bewerbermarkt behaupten. Unter „Employer Branding“, was übersetzt „Arbeitgebermarke“ bedeutet, versteht man also alle Maßnahmen, die einer Firma helfen, Talente zu finden und an sich zu binden. Es geht darum, wofür ein Arbeitgeber steht, was er Neulingen und Stammpersonal bieten kann und wie über ihn geredet wird.

Politik ist doch viel komplexer als das.

Andreas Herde: Das Geschäftsfeld eines Unternehmens ist auch umfangreicher. Es geht aber darum, erst einmal aufzufallen und zu verfangen.

Welche Rolle spielen Menschen bei diesen Botschaften?

Andreas Herde: Eine riesige. Bei Softwarekräften wissen wir zum Beispiel, dass ihre Entscheidung für einen Arbeitgeber vor allem davon abhängt, wer noch in dem Unternehmen arbeitet. Also zeigen wir Mitarbeitende in Bild und Ton, die auf Augenhöhe von ihrem Job erzählen. Übertragen auf die Politik: Wenn ich da jemanden mit 60 plus auf einem Kanal für junge Menschen sehe, wie er seine Politik erklären will, ist das „cringe“, also peinlich. Da müssen Parteien ihre jungen Mitglieder nach vorne stellen und als Influencerinnen oder Influencer aufbauen.

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Würden Sie einem Unternehmen dazu raten, Wortwahl und Thema des Konkurrenten aufzugreifen, der auf TikTok so erfolgreich ist?

Andreas Herde: Niemals. Das ist durchschaubar, macht unglaubwürdig und als Arbeitgeber hättest du verloren.

Aber das AfD-Hauptthema Migration ist eins, mit dem in bestimmten sozialen Netzwerken viel Aufmerksamkeit zu haben ist.

Andreas Herde: Ein Beispiel aus meinem Alltag: In der Schule unseres Sohns ging es vor kurzem um soziale Medien und wir haben mit ihm eine Woche lang TikTok ausprobiert. Er ist Fußballfan, folgt Fortuna Düsseldorf. Von dort leitete ihn der Algorithmus über die EM und Nationalmannschaft zu Nationalstolz, und am Ende wurde uns ein Video des Spiels Deutschland-Schottland unterlegt mit einer Goebbels-Rede ausgespielt. Das hat mich erschreckt.

Andreas Herde

Andreas und Kirsten Herde haben 2015 die Agentur YeaHR gegründet. Der 46-Jährige kommt aus dem digitalen Marketing, Kirsten Herde war zuletzt beim Energieunternehmen Eon HR Director. Die Agentur beschäftigt 25 Menschen und berät Kunden wie den Bund, das NRW-Innenministerium, Otto oder Christ bei der Entwicklung von Arbeitgebermarken und Recruiting.

Was also tun?

Andreas Herde: Für junge Zielgruppen ist Google nicht mehr die einzige Informationsquelle. Sie suchen sich durch YouTube, TikTok und Reddit, um sich die Welt erklären zu lassen. Das kann man erschreckend finden, okay, man muss aber damit umgehen. Das ist vielleicht noch ein Unterschied zwischen meiner Arbeit und der Politik. Wir arbeiten eine langfristige Kommunikationsstrategie für ein Unternehmen aus. Die Politik müsste blitzschnell auf Inhalte reagieren, die in den sozialen Medien laufen. Bei TikTok ist der Trend von jetzt in ein paar Stunden irrelevant. Wer da mitmischen und im besten Fall gegenhalten will, der muss schnell sein.

Wieso tun sich großen Organisationen damit so schwer?

Andreas Herde: Wer auf der grünen Wiese ein neues Ding hochzieht, ist oft mutiger und riskiert auch mal was. Und das belohnt eine Plattform wie TikTok. Man schießt in verschiedene Richtungen, irgendwas verfängt sich und das geht dann durch die Decke. Wenn erst drei Stellen im Großkonzern mitreden wollen und eine Botschaft so völlig abgeschwächt wird, verpufft das.

>>> Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und seine Aktentasche: Für ein TikTiok-Video, mit dem der Kanzler dem Hastag „#whatsinmybag“ folgen wollte, gab es viel Häme.

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Man riskiert ja auch den langen erarbeiteten Ruf.

Andreas Herde: Als Arbeitgeber muss man sich von dem Gedanken verabschieden, allen gefallen zu wollen. Wenn ich eine Botschaft so formuliere, dass möglichst viele sich dahinter versammeln, wird sie austauschbar und ich erreiche niemanden mehr. Übertragen auf die Politik würde ich sagen: Wenn da nur „Frieden“ und „Freiheit“ auf den Plakaten steht, wird niemand widersprechen, aber auch keiner begeistert sein.

Gerade Volksparteien müssen sehr viele Wählerinteressen vereinen.

Andreas Herde: Arbeitgeber werben auch nicht nur um eine Zielgruppe. Eigene Mitarbeiter umwirbt man anders als neue, Quereinsteiger spricht man anders an als Studenten. Die müssten unterschiedliche Botschaften auf unterschiedlichen Kanälen bekommen.

Was also kann Politik von Ihnen lernen?

Andreas Herde: Man muss authentisch sein, konkrete Botschaften senden, mit jungen Leuten auf Augenhöhe sprechen und da sein, wo die sind.