Olpe. Tobias Quast ist Pflegedirektor der GFO-Kliniken Südwestfalen. Im Interview spricht er über die Herausforderungen in der Pflege.
„Our nurses. Our future. The economic power of care“ – Das ist das diesjährige Motto des Tags der Pflege, der jedes Jahr am 12. Mai stattfindet, auf Deutsch: „Unsere Krankenschwestern. Unsere Zukunft. Die wirtschaftliche Stärke der Pflege“. Doch was ist die Stärke der Pflege? Und wie sieht deren Zukunft aus? Das beantwortet Tobias Quast, Pflegedirektor der GFO-Kliniken Südwestfalen, im Interview, das die GFO-Kliniken Südwestfalen unserer Redaktion im Rahmen einer Pressemitteilung zur Verfügung stellen.
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Herr Quast, Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach hat vor kurzem gesagt, „In Deutschland kann Pflege viel mehr als sie darf“. Was genau ist damit gemeint?
In Deutschland sind viele Tätigkeiten in Heilberufen gesetzlich geregelt: Wer Diagnostik am Menschen betreiben darf, wer Heilmittel verordnen darf, wer Eingriffe am Patienten durchführen darf. Die Pflege spielte bis jetzt in diesen Gesetzen und Verordnungen nur eine untergeordnete bis gar keine Rolle und stößt permanent an Schnittstellenprobleme. Beispiel: Pflege stellt im Rahmen des Pflegeassessments fest, dass ein Patient in der häuslichen Umgebung einen Toilettenstuhl benötigt, muss dies durch einen Arzt verschrieben werden. Der Gesundheitsminister zielt darauf ab, dass Pflege im Rahmen ihrer Kompetenzen Entscheidungen treffen kann, um über Sektorengrenzen hinaus beispielsweise Medikamente oder Heilmittel zu verordnen, oder auch mit pflegerischen Interventionen im Behandlungsprozess Entscheidungen zu treffen. Das ist auch das, was Pflegeverbände und die Pflegekammer fordern. Im Endeffekt könnte man jetzt sagen: Die Pflege hat dadurch mehr Arbeit. Man kann aber auch sagen: Pflege kann selbstbestimmter arbeiten. Pflege muss den Arbeitsprozess nicht mehr permanent unterbrechen, kann dadurch viele Hürden abbauen und hat am Ende weniger Arbeit und ein besseres Patienten-Outcome.
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Die Pflegekammer hat jüngst mehr Planungssicherheit für Pflegekräfte – Stichwort „Einspringen“ – gefordert. Wie ist es vor Ort umsetzbar, das Einspringen zu reduzieren?
Erster Schritt: genug Personal haben, um die Dienste adäquat zu besetzen. Das funktioniert in der Sollplanung bei uns auch überwiegend gut. Aber Mitarbeitende können natürlich auch spontan erkranken. Genau hierfür benötigt man Regelungen dahinter. Es gibt viele Unternehmen, die durch sogenannte „Springerpools“ oder „Flexipools“ Mitarbeiter zur Verfügung haben, die stationsübergreifend einsetzbar sind. Aber wenn zu viele Mitarbeitende an einem Tag gleichzeitig ausfallen, kann dies auch ein Pool nicht abdecken. Hierzu muss man wissen, dass diese Pools aus dem normalen Stellenplan heraus besetzt werden. Das heißt, dass hierdurch keine zusätzlichen Stellen geschaffen werden. Zweiter Schritt: Bei uns sind Wünsche an die Dienstplanung, der Tausch von Diensten und die Honorierung zusätzlicher Dienste Teil der Philosophie. Wir haben es so geschafft, durch einen stabilen Stellenplan relativ stabile Dienstpläne in der Sollplanung hinzubekommen. Darüber hinaus spielt das Betriebliche Gesundheitsmanagement eine immer größere Rolle. Wir versuchen, Krankheit zu reduzieren mit unseren Möglichkeiten als Arbeitgeber. Dritter Schritt: Ein sehr „rundes“ Betriebsklima. Mitarbeitende sollten mit ihren Sorgen, Wünschen und Ideen gesehen werden. Führung muss auf Augenhöhe geschehen. Jeder sollte für den anderen da sein. Über Abteilungs- und Berufsgrenzen hinaus. Fakt ist, dass die Zahl der eingesprungenen Dienste stark rückläufig ist. Aktuell liegen wir in diesem Jahr bei 3 Prozent. Man sieht eine Tendenz, dass die Maßnahmen fruchten.
„Our nurses. Our future“ lautet ein Teil des Mottos des Tags der Pflege. Wie ist denn die Pflege in den GFO-Kliniken Südwestfalen für die Zukunft gerüstet?
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Sehr gut. Wenn man über die Zukunft der Pflege spricht, sollte man drei Säulen betrachten. Das ist auch meine Pflicht als Pflegedirektor und unsere als Unternehmen. Eine Säule ist die Anzahl der Pflegekräfte. Aktuell existiert ein Arbeitsmarkt, der sich nicht unbedingt „pro Fachkräfte“ entwickelt. Zudem entwickelt sich ein zunehmender Pflegebedarf in der Gesellschaft. Und dann gibt es noch das Thema der Qualität. Es darf ja alles nichts mehr kosten. In diesem Spannungsfeld müssen wir uns als Arbeitgeber bewegen. „Our nurses. Our future.“ heißt ja auch die Investition in die Pflege. Und wenn ich die GFO und uns als Teil des Verbunds betrachte, haben wir eine sehr gute Investition in die Ausbildung. Die Ausbildung ist der allerwichtigste Baustein zur Mitarbeitergewinnung bei uns. Wir investieren dort sehr viel, haben steigende Ausbildungszahlen. Unser Klinikum hat eine hohe Qualität bei unseren Auszubildenden und eine hohe Quote an Auszubildenden, die ihre Ausbildung bei uns erfolgreich beenden. Unsere Auszubildenden haben nach erfolgreichem Examen eine Übernahmegarantie. Somit sichern wir uns mit den vier Pflegefachkraft-Kursen pro Jahr und den Pflegeassistenzkursen in der Fortbildungsakademie eine Konstante gegenüber der natürlichen Fluktuation durch Renteneintritte, Krankheit und so weiter. Parallel gilt es genau hinzuschauen, was Themen wie die Vereinbarkeit von Familie und Beruf angeht, um jungen Menschen über flexible Modelle die Möglichkeit zu geben, nach einer Schwangerschaft oder Elternzeit schnell wieder ins Berufsleben einsteigen zu können. Auch wichtig ist es, älteren Mitarbeitenden zu ermöglichen, oder wenn das Thema „Pflege von Angehörigen“ plötzlich eine Rolle spielt, möglichst lange im Beruf zu bleiben. Das ist das Thema Quantität. Beim Thema Qualität schauen wir, neben der Ausbildung, auch auf die Bereiche der stetigen Weiterbildung, nutzen aber auch den Einsatz moderner Pflegeinterventionen. Die pflegerische Übergabe am Patientenbett sowie Freistellungen für die Praxisanleitung sind hier nur einige Beispiele. Hier freuen wir uns auch über Rückmeldungen unserer Patienten oder deren Angehörige, wenn es einmal nicht so gut laufen sollte. In unserem neuen Ansatz besprechen wir diese dann gemeinsam in den Teams, um hierdurch zu lernen. Das ist das Qualitative. Wir schauen aber auch auf die zukünftigen Bedarfe. Wie beim gerade gestarteten Lean-Projekt, in dem wir berücksichtigen, welches Patienten-Klientel wir im klinischen Setting zukünftig betreuen dürfen, wo immer mehr ambulant und weniger stationär behandelt wird, und was wir gerade beim Thema Neubau am Standort Olpe wiederfinden werden, sodass für die Patienten und Mitarbeiter am Ende alles „rund“ wird: ausreichend Pflegepersonal, qualifiziertes Pflegepersonal und beste Arbeitsbedingungen. An diesen drei Säulen versuchen wir zu arbeiten.
Die zweite Hälfte des Mottos zum Tag der Pflege lautet „The economic power of care“. Das suggeriert Stärke, Kraft. Allerdings ist das Bild des Pflegeberufs in der Öffentlichkeit leider etwas anders. Zum Beispiel unterbezahlt oder wenig wertgeschätzt. Wie passt das zusammen?
Gar nicht. Das ist die Diskrepanz, mit der unsere Berufsgruppe tradiert unterwegs ist. Wir sind ein hochqualifizierter Berufsstand. Wer die Pflegeausbildung mit einer Fachweiterbildung absolviert hat, hat fünf Jahre duale Ausbildung hinter sich. Eventuell sogar zusätzlich ergänzt mit einem Studium. Aber Pflegekräfte sind immer die gewesen, die zuarbeiten, die eher das „Care“ in sich tragen und haben, für uns auch nie beansprucht, andere Rollen im Gesundheitswesen innezuhaben. Das hat sich in den vergangenen Jahren aber deutlich verändert. Und darauf möchte der ICN (International Council of Nurses, dt.: Weltbund der Krankenschwestern und Krankenpfleger) hinweisen. Das diesjährige Motto soll verdeutlichen, wie wichtig Pflegeberufe für die Volkswirtschaften und deren Fortbestand sind, nicht nur in Deutschland, sondern international. In vielen anderen Ländern hat der Pflegeberuf ein höheres Ansehen als in Deutschland. Das verändert sich gerade. Einerseits hat natürlich der Fachkräftemangel geholfen. Andererseits aber auch die berufspolitische Arbeit, die Arbeit der Pflegekammer, der Pflegeverbände, die das Thema immer wieder unterstreichen. Pflegekräfte erkennen jetzt ihren Wert. Zum Thema „unterbezahlte Berufsgruppe mit hohen Arbeitsbelastungen durch Schichtdienst etc.“: Ja, Schichtdienst ist definitiv nicht immer schön, die Arbeitsbelastung ist hoch, aber wenn die Pflege eins nicht ist, dann deutlich unterbezahlt im Vergleich zu anderen Fachkräften. Wobei mehr natürlich immer gut ist. Im pflegerischen Setting gibt es viele Möglichkeiten. Und es gibt natürlich Unterschiede im Gehalt, je nachdem, in welchem Bereich man arbeitet, ob man viel oder wenig Schichtdienst hat, viel Verantwortung oder wenig Verantwortung, viel oder wenig Berufserfahrung: Die Bandbreite ist groß.
Aber was ist genau die Stärke der Pflege?
Flexibilität, Engagement, hohe Fachlichkeit und ein gewisses Durchhaltevermögen. Das wären die Adjektive, welche mir spontan in den Sinn kommen. Wobei es immer schwierig ist, so eine große Berufsgruppe mit ein paar Worten zu charakterisieren. Eine Pflegekraft in einer Senioreneinrichtung hat einen ganz anderen Schwerpunkt, eine ganz andere Intention, als eine Pflegekraft auf der Intensivstation, im ambulanten Dienst oder in der Psychiatrie. Je nach Bereich sammeln sich natürlich verschiedene Menschengruppen. Das ist auch das Schöne am Pflegeberuf.
Seit ein paar Monaten gibt es in den GFO-Kliniken Südwestfalen eine Stabsstelle Pflegeentwicklung. In welche Richtung wird oder muss sich Pflege denn in Zukunft entwickeln?
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Pflege darf nicht stehenbleiben. Pflege muss die aktuellen gesellschaftlichen Möglichkeiten, die ihr gegeben werden, aufgreifen, mitentwickeln und aus ihrer ewigen „Ich liege am Boden“-Mentalität herauskommen. Es gibt Berufsverbände und Pflegekammern, in denen man sich engagieren kann. Das ist die Makroebene. Wenn wir Pflege auf der Mikroebene, also in den GFO-Kliniken Südwestfalen, sehen, muss sie sich hier natürlich ebenfalls weiterentwickeln. Weil die Gesellschaft sich entwickelt und die Patienten sich verändern. Neue Generationen werden Patienten, mit neuen Anforderungen an Pflegekräfte. Es gibt andere Krankheitsbilder, andere Arbeitswelten. Neue Generationen von Pflegekräften bringen ganz andere Dinge mit an den Arbeitsplatz als die Generationen zuvor. New Work, Work-Life-Balance usw. muss ja auch am Arbeitsplatz integriert werden. Und mit der neuen Stabsstelle Pflegeentwicklung möchten wir genau da ansetzen. Wir haben dort mit Johanna Hannay eine Gesundheitspsychologin und Medizinpädagogin, die zum einen die pflegefachliche Entwicklung, zum anderen aber auch Themen wie die Betriebliche Gesundheitsförderung oder das Lean-Projekt vorantreibt und gemeinsam mit den Mitarbeitenden auf den Stationen Arbeitsabläufe kritisch hinterfragt, damit wir weiter vorankommen und am Ball bleiben.