Essen. Erst Sachsen und Thüringen, nun auch Brandenburg: Die AfD feiert große Erfolge bei jungen Menschen. Das sagen Jungwähler aus NRW und ein Experte.
- Erst Sachsen und Thüringen, nun auch Brandenburg: Die AfD ist bei den Landtagswahlen die stärkste Kraft bei den jungen Wählerinnen und Wählern geworden.
- Warum setzt die Gen Z ihr Kreuz immer öfter bei extremen Parteien – auch in NRW?
- Fünf Erklärungsversuche von jungen AfD-Wählern und einem Politikexperten aus NRW.
Sie sind jung, gehen mit dem Trend und geben immer häufiger rechtsextremen Politikern ihre Stimme: Viele Jugendliche ab 16 Jahren konnten in diesem Jahr zum ersten Mal mitbestimmen, wer in der EU in Zukunft das Sagen hat. Ein Großteil hat sich für die AfD entschieden, obwohl die Partei in Teilen rechtsextrem ist. Und auch die Landtagswahlen in Brandenburg, Thüringen und Sachsen haben gezeigt, dass sie zunehmend populistische Positionen unterstützen. Warum setzt die Gen Z ihr Kreuz immer öfter bei extremen Parteien? Fünf Erklärungsversuche von jungen AfD-Wählern und einem Politikexperten.
„Ich habe Angst vor dem sozialen Abstieg“
„Die etablierten Parteien kümmern sich zu wenig um die Zukunft von jungen Leuten“, kritisiert Alexander. Der 22-Jährige hat bei der Europawahl zum ersten Mal sein Kreuz bei der AfD gesetzt, „aus Protest“. Während seiner Ausbildung bleibt ihm im Monat nicht mehr viel von seinem Gehalt übrig. „Die gestiegenen Kosten sind enorm. Ich muss mich in meinem Alltag finanziell sehr einschränken“, sagt er. Die Politik tue jedoch nichts. So habe er schon jetzt Sorge davor, später einmal in die Altersarmut abzurutschen.
Damit ist er nicht allein. Viele junge Menschen sehen schon jetzt bei ihren Eltern oder Großeltern, dass die Rente zu knapp ist und gleichzeitig etwa die Mietpreise immer weiter steigen. Diese Angst nutzt die AfD für sich und greift die Sorgen gezielt auf, wirbt in ihrem Programm etwa damit, Altersarmut „zu verhindern“ und Renten „zukunftsfest“ zu machen. Eine Studie des Instituts für Wirtschaftsforschung hat herausgefunden, dass vor allem Bürgerinnen und Bürger mit geringem Einkommen, die weniger gut ausgebildet sind, unter der Politik der AfD leiden würden.
Das kommt bei vielen AfD-Wählern nicht an. „Politische Organisationen wie die AfD versprechen oft schnelle Lösungen“, sagt Martin Teufel, Leiter der Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie an der LVR-Universitätsklinik Essen. Gerade Menschen, die in ihrem Alltag belastet sind, erhofften sich durch diese Versprechen schnelle Hilfe.
„Ich fühle mich fremd in meiner Stadt“
Gelsenkirchen ist eine der AfD-Hochburgen im Ruhrgebiet, viele Bürgerinnen und Bürger blicken dort pessimistisch in die Zukunft. „Immer mehr Stadtteile gehen hier den Bach runter, man traut sich durch einige Viertel gar nicht mehr durch“, sagt ein AfD-Jungwähler. In seiner Nachbarschaft leben viele Migrantinnen und Migranten. Dadurch, dass viele von ihnen kein Deutsch sprächen, fühle er sich wie in einer Parallelwelt. Und auch bei seiner Arbeit würden die Kollegen eher unter sich bleiben. „Ich finde keinen Anschluss.“
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Dabei ist gerade jungen Menschen ein Gefühl von Gemeinschaft wichtig. „Wenn eine Partei genau das anspricht und Jugendlichen einen Raum zur Vernetzung bietet, haben sie das Gefühl, dazu zu gehören“, sagt Psychosomatiker Martin Teufel.
„Ich weiß vor lauter Krisen nicht mehr weiter“
Corona, Kriege, Umweltkatastrophen: Viele junge Menschen haben das Gefühl, von einer Krise in die nächste zu geraten. Die Trendstudie „Jugend in Deutschland 2024“ zeigt, dass 14- bis 29-Jährige pessimistisch in die Zukunft blicken, unzufrieden und verunsichert sind. Außerdem hat auch die Zahl der Krankschreibungen unter jungen Menschen in NRW deutlich zugenommen. Das geht aus Zahlen der AOK-Rheinland/Hamburg hervor. Immer häufiger sorgen psychische Belastungen für Fehltage bei der sogenannten Generation Z, also Menschen unter 30 Jahren.
„Je älter man ist, umso eher hat man Erfahrungen mit Krisen gesammelt. Das stärkt einen natürlich“, sagt Martin Teufel. „Junge Menschen spüren häufiger einen Kontrollverlust angesichts der vielen Krisen und Unsicherheiten der letzten Jahre.“ Als eine Art Abwehrmechanismus, um sich besser und weniger machtlos zu fühlen, neigten sie schneller dazu, Tatsachen zu verleugnen und sich von einfachen Lösungen verführen zu lassen.
„Ich habe andere Themen als Politik“
Wer bin ich? Wer will ich sein? Wie finden mich die anderen? Es sind vor allem Fragen wie diese, die junge Menschen beschäftigen. „Deshalb kann man nicht erwarten, dass sie in dieser Lebensphase großes Interesse für Politik entwickeln“, sagt Martin Teufel.
Und wenn sie sich dann doch über Parteien, Wahlen und Co. informieren wollen, dann tun das zwei Drittel von ihnen mittlerweile hauptsächlich auf Social Media. Auf der inzwischen beliebtesten Plattform TikTok erreicht keine andere Partei so viele Nutzer wie die AfD, auch in NRW. Der TikTok-Algorithmus bevorzugt Videos, in denen provokative und vereinfachte Positionen emotional verpackt werden. Daher haben populistische Parteien einen gewissen Vorteil. Zum anderen hat die AfD die Relevanz von TikTok viel früher erkannt. Während die meisten Politikerinnen und Politiker noch vor Datenschutz-Risiken warnten oder gar von einem Verbot der Plattform träumten, sprach die AfD online gezielt Jugendliche an.
Martin Teufel ergänzt: „Jüngeren Menschen fällt es teils schwerer, bei der Informationsflut in den sozialen Medien zu unterscheiden, was das eigentlich Relevante ist.“ Gerade komplexe und differenzierte Informationen gingen häufiger verloren.
„Ich werde nicht ernst genommen“
Faul, nicht belastbar, beziehungsunfähig: Vorurteile wie diese werden häufig über die Gen Z verbreitet, auch von etablierten Parteien. Sie wollen damit bei älteren Wählerinnen und Wählern punkten. Auch das treibt einige Jungwähler zur AfD. „Ich wollte den anderen Parteien einen Denkzettel verpassen“, sagt AfD-Wähler Alexander (22). Auch Jakob (19) findet: „Die anderen Parteien sehen unsere Probleme nicht. Niemand sollte sich wundern, dass die AfD jetzt so stark ist.“
Ernst genommen zu werden, sei jungen Menschen sehr wichtig, sagt Martin Teufel. „Das Gefühl ist oft, dass zu viel über sie und wenig mit ihnen gesprochen wird.“ Umso wichtiger sei es, dass Politikerinnen und Politiker sich direkt an die Jungwähler wenden, vor allem in den sozialen Medien. Außerdem sollte auf die Herausforderungen der jungen Generationen eingegangen werden und gezeigt werden, was sie schon geleistet haben. „Zum Beispiel, dass Junge während der Corona-Pandemie für die Alten zuhause geblieben sind“, sagt Teufel.
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