Hagen. Staatsanwaltschaft und Polizei Hagen haben keinen Zugriff auf den flüchtigen Kopf einer Spielhallen-Familie. Er ist Unternehmer in der Türkei.
Geld macht begehrlich. Und mit ganz viel Geld lebt es sich gefährlich. Diese Erfahrung musste kürzlich ein Mitglied der legendären Spielhallen-Familie aus Hagen machen, sofern man ihm überhaupt glauben kann, dass er tatsächlich erpresst wurde. Ja, einer der fünf Brüder aus jener Großfamilie, die so gerne mit ihren auffällig bunten Luxuslimousinen, die allesamt ein Hagener „XS“-Kennzeichen trugen, protzig durch die Gegend kutschierten. Bis – dieses Bild hat sich unauslöschlich ins Gedächtnis eingeprägt – ein goldener Mercedes schließlich am Abschlepphaken des Finanzamts hing.
Noch immer wird Sami Söylemez, einstiger Kopf des millionenschweren kurdischen Familienunternehmens, mit internationalem Haftbefehl gesucht: Von den fünfeinhalb Jahren Gefängnis, die er eigentlich verbüßen sollte, ist immer noch eine erkleckliche Reststrafe offen, die er nicht absitzen will. Er ist nun als Bauunternehmer in der Türkei tätig.
Mit einem Trick abgesetzt
Der Wahl-Hasper hatte sich deshalb nach 208 Tagen hinter Gittern mit einem Trick in die Türkei abgesetzt: Die blauäugigen Richter hatten ihm geglaubt, dass er dort seine schwerkranke Mutter besuchen müsste und ihn für zwölf Tage auf freien Fuß gelassen. Nun ist er seit drei Jahren weg. Vor wenigen Tagen konnte er seinen 47. Geburtstag in Freiheit feiern.
Zunächst noch mal zurück zum ein Jahr jüngeren Bruder (46): Dieser hatte sich im Jahr 2018 in einem Düsseldorfer Groß-Bordell vergnügt und sei dort im verschlossenen Zimmer mit versteckter Kamera beim Liebesspiel gefilmt worden. Mit den kompromittierenden Aufnahmen hätte ihn der Chef des Rotlicht-Etablissements um 200.000 Euro erpressen wollen, behauptete der Hagener knapp zwei Jahre später gegenüber der Polizei.
Sauna-Club durchsucht
Daraufhin wurde der in Flughafennähe gelegene Sauna-Club im November 2021 von 200 Beamten nach Kameratechnik, Videoaufzeichnungen und Wanzen durchsucht. Beweise für die kühne Behauptung fanden sich jedoch nicht.
In dem Prozess, der kurz vor Weihnachten vor dem Düsseldorfer Amtsgericht stattfand, wurde der FKK-Club-Betreiber (43) vom Vorwurf der Erpressung freigesprochen. Denn der angeblich erpresste Hagener Spielhallen-Mann litt als Zeuge unter einem auffälligen Gedächtnisverlust: Er konnte sich, so der Richter im Urteil, „nicht mal daran erinnern, ob er im Sommer oder Winter 2018 erpresst wurde und gezahlt hat“.
Betreiber von 16 Spielhallen
Der freigesprochene Bordell-Boss zeigte sich davon überzeugt, dass die Anzeige wegen der Erpressung ein bloßer Racheakt gewesen sei. Spielhallen-Milieu gegen Rotlicht-Milieu: „Die Brüder aus Hagen wollten unbedingt unseren 5000 Quadratmeter großen Club übernehmen. Sie waren wütend, weil ich mich nicht auf darauf eingelassen habe.“
Dabei dürfte es am millionenschweren Kaufpreis nicht gelegen haben: Die Betreiber von seinerzeit 16 Spielhallen wären wohl locker in der Lage gewesen, die entsprechenden Geldbündel auf den Tisch zu legen, auch wenn das Finanzamt zu dem Zeitpunkt bereits 48 Millionen Euro Steuern nachforderte. Aber: Der Großbordell-Betreiber, ein türkischer Landsmann, hat nach eigenen Angaben selbst so viel Geld, dass er sich von „solchen Leuten nicht wegkaufen zu lassen braucht“.
Ein Mann aus ärmlichen Verhältnissen
„Diese Möchte-Gerne-Großkotze sind für mich kleine Pimpfe, die stecke ich in meine Hosentasche“, erklärte er im Gespräch mit dieser Zeitung. Dabei könnte man vor der Lebensleistung Sami Söylemez durchaus wesentlich mehr Respekt erwarten.
Er wurde 1975 in „ärmlichen bäuerlichen Verhältnissen“ im südöstlichen Teil der Türkei, nahe der Grenze zum Iran, in einem kleinen Dorf ohne Strom und fließend Wasser, geboren. Als Zwölfjähriger kam er nach Deutschland und erwies sich hier als fleißiger Schüler: Ein Jahr lang besuchte er die deutsche Sprachschule, dann die Hauptschule bis zur zehnten Klasse, anschließend absolvierte er eine dreieinhalbjährige Lehre zum Industriemechaniker bei der Deutschen Bahn.
Studium 2003 abgeschlossen
Während seiner Ausbildung besuchte er die Abendschule. Nach dem Fachabitur studierte er an der Fachhochschule Südwestfalen Maschinenbau und schloss dort im Februar 2003 sein Studium als „Diplom-Ingenieur (FH)“ erfolgreich ab.
Bereits während seines Studiums war er mit der Spielautomaten-Branche in Kontakt gekommen: 2002 übernahm er von einem Freund seine erste, 60 Quadratmeter große Spielhalle in Haspe. Es wurde der Anfang eines millionenschweren Familien-Imperiums. Sami Söylemez beherrschte innerhalb von 15 Jahren ein Geflecht von 16 Zockerhöhlen in ganz NRW. Standorte waren in Hagen, Dortmund, Datteln, Duisburg, Hattingen, Langenfeld, Holzwickede und Hilden.
Nur Oberhaupt traf Entscheidungen
Mehrere Mitglieder seiner Großfamilie waren mit Stroh-Funktionen dabei: mal zwei Brüder, mal die Schwester, mal der Schwager. Sie mussten nach außen hin die Inhaber oder Geschäftsführer des Casino-Konzerns spielen, obwohl – wie das Landgericht später feststellte – „nur das Familienoberhaupt das eigentliche Sagen hatte und die unternehmerischen Entscheidungen traf“.
Der Patriarch erklärte als Angeklagter stolz, er habe die Sicherung des Lebensunterhalts seiner gesamten Großfamilie getragen: „Ich musste 30 Personen ernähren.“ Und, geradezu einsichtig: „Ja, ich habe auch einen auf dicke Hose machen wollen.“
Mercedes-Limousinen für Frauen der Familie
Innerhalb von fünf Jahren waren alle weiblichen Familienmitglieder, die Ehefrauen, die Partnerinnen und die drei Schwestern, mit Mercedes-Limousinen der Kompaktklasse ausgestattet worden, die allesamt auf die Spielstätten-GmbH angemeldet und als Betriebsvermögen steuerlich geltend gemacht wurden. Auch für ihn selbst und die beiden Brüder wurden, „auf ausdrücklichen Wunsch in bar“, ein Ferrari 458 Speciale (230.000 Euro) und ein Lamborghini Aventador (328.000 Euro) angeschafft. Zum Fuhrpark gehörten außerdem ein Lamborghini Huracan und drei Mercedes AMG. Sämtliche Fahrzeuge trugen das Kennzeichen „HA - XS“.
Am 27. September 2018 baumelten die bunten Protzkarossen dann am Haken: Im Rahmen eines spektakulären Großeinsatzes mit hunderten Beamten und Steuerfahndern wurden nicht nur alle Spielstätten in NRW durchsucht, sondern auch die Reihenhaussiedlung in Haspe. Der Spielhallen-Familie gehörten seinerzeit sieben Häuser und sechs Grundstücke im Gesamtwert von weit über vier Millionen Euro, in denen sie residierte.
Elitepolizisten sichern Geldtransporter ab
Allein aus dem Tresor der Mutter von Sami Söylemez stellten die Steuerfahnder vier Millionen und 557.810 Euro (zum Teil als Münzgeld) sicher. Elitepolizisten mit Maschinenpistolen mussten den Geldtransporter absichern. Das Familienoberhaupt, das in seiner unerschöpflichen Geldgier das Finanzamt austricksen wollte und jahrelang die tatsächlichen Einnahmen aus den Daddelautomaten mit Hilfe einer Spezialsoftware manipuliert hatte, wurde festgenommen und kam in Untersuchungshaft.
Im Dezember 2019 konnten ihm nach 35 Verhandlungstagen von der Großen Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts nur noch knapp 20 Millionen Euro an hinterzogenen Steuern nachgewiesen werden. Durch die Versteigerung der zehn beschlagnahmten Fahrzeuge hatte das Finanzamt eine Million und 53.000 Euro erzielt, in der Wohnung von Sami Söylemez konnten die Ermittler außerdem 71.500 Euro beschlagnahmen und in einem Safe der Sparkasse Hagen zudem 20.500 Euro sicherstellen. In seiner Spielhalle in Datteln lagen weitere 53.794 Euro, die zur Schadenswiedergutmachung verwendet wurden.
Wohnhäuser unter dem Hammer
Anfang August kamen im Amtsgericht auch die beschlagnahmten Hasper Wohnhäuser der ehemaligen Multimillionärsfamile unter den Hammer: Bei der Versteigerung von drei Reihenhäusern mit Grundstücken und Garagen (Verkehrswert: 890.000 Euro) erhielt ein Immobilienverwerter aus Sassenberg (bei Warendorf) für 500.000 Euro den Zuschlag. Er hat allerdings in allen drei Objekten (158 Quadratmeter, 209 und 181 Quadratmeter groß) die in Deutschland verbliebenen Angehörigen der Großfamilie als Mieter übernehmen müssen. Und diese brauchen, wie bereits vor Jahren mit dem älteren Bruder Sami Söylemez vertraglich vereinbart, lediglich die sehr geringe Miete von etwa 500 Euro pro Haus zu bezahlen.
So hatte der große Bruder noch rechtzeitig für das Wohl seiner Liebsten gesorgt, bevor er im fernen Istanbul abtauchte, um dort unbehelligt seinen erfolgreichen Baugeschäften nachzugehen. Die deutschen Behörden, die ihn übrigens von dort nicht zurückholen können, kennen seine Firmenadresse: Man kann sie im Internet finden.