Attendorn/Kreis Olpe. Der Kirchenkreis, zu dem Attendorn und Lennestadt gehören, wird von einem Missbrauchsfall erschüttert. Pastor Grote erklärt, wie er damit umgeht.
Nach 23 Jahren als Gemeindepfarrer in Attendorn wechselte Pastor Christof Grote vor fast einem Jahr als neuer Superintendent zum evangelischen Kirchenkreis Lüdenscheid-Plettenberg, zu dem aus dem Kreis Olpe neben seiner vorherigen Gemeinde auch Finnentrop, Lennestadt und Kirchhundem gehören. Im Interview spricht er darüber, wie sich seine Arbeit verändert hat, welchen Stellenwert die Gemeinden aus dem Kreisgebiet im Kirchenkreis haben und wie er mit einem Missbrauchsfall in Lüdenscheid umgeht.
Sie sind jetzt seit zehn Monaten der neue Superintendent im Kirchenkreis Lüdenscheid-Plettenberg. Was hat Sie in dieser Zeit am meisten beeindruckt?
Christof Grote: Es war eine schwierige Zeit, weil ganz viele Bestandteile kirchlichen Lebens wegen Corona nicht stattfinden konnten. Besonders beeindruckt hat mich, mit wie viel Kreativität in den einzelnen Gemeinden trotzdem versucht wurde und versucht wird, die Menschen zu erreichen – von Osterspaziergängen, über Meditationen, digitalen Gottesdiensten bis hin zu vielen weiteren Angeboten. Das hat mich sehr beeindruckt.
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Gab es auch unschöne Überraschungen?
Wir haben zu tun mit einem Fall von sexualisierter Gewalt in Lüdenscheid. Das wusste ich schon vor der Wahl, aber das ist natürlich sehr belastend und bedrückend, wenn man sieht, was da an Elend passiert ist.
Im vergangenen Jahr waren Vorwürfe gegen einen ehrenamtlichen Mitarbeiter, der über Jahrzehnte unter anderem eine Jugendgruppe betreut hat, öffentlich geworden. Was bedeutet das für die Glaubwürdigkeit der evangelischen Kirche?
In erster Linie ist das für die Betroffenen eine absolute Katastrophe. Aber es stellt natürlich insgesamt die Glaubwürdigkeit von Kirche infrage, wenn konträr zu dem gehandelt wird, was doch unser Markenkern sein soll: Dass Leute sich angenommen fühlen und geborgen sein können. Wenn all das so missbraucht wird, hat das eine Ausstrahlung, die über die einzelne Gemeinde hinausgeht.
Schulungen für über 1000 Mitarbeiter
Was haben Sie unternommen, um Vertrauen wiederherzustellen?
Wir haben als Landeskirche in Westfalen ein Konzept zur Prävention sexualisierter Gewalt erarbeitet und es gibt eine ganz große Bereitschaft, auch bei uns im Kirchenkreis, sich damit zu beschäftigen. Wir werden über 1000 haupt- und ehrenamtliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sehr umfangreich schulen und in allen Kirchengemeinden eigene Schutzkonzepte erarbeiten. In diesem Sommer haben wir auch Fachkräfte dafür angestellt. Insofern ist das ein bedrückendes, belastendes Thema, aber wir haben jetzt einen Weg, wie wir damit umgehen und wie wir so etwas in Zukunft hoffentlich vermeiden können.
Abgesehen von dem Missbrauchsfall, was hat sich in den ersten zehn Monaten als ihre wichtigste Aufgabe herausgestellt? Wo packen Sie gerade an?
Wir müssen unsere Strukturen an die personellen und finanziellen Bedingungen anpassen. Das macht einen wirklich großen Schwerpunkt aus, auch noch größer als ich erwartet habe.
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Weil die finanzielle Lage noch schwieriger ist, als sie vorher dachten?
Weil die finanzielle Lage schwierig ist. Und weil wir in der evangelischen Kirche jetzt auch etwas haben, was für Katholikinnen und Katholiken leider schon ganz vertraut ist: Pfarrermangel. Dass wir zu wenig theologischen Nachwuchs haben, um alle Stellen gut besetzen zu können. Da sind wir sehr gefordert.
Die Kirchengemeinde Attendorn-Lennestadt ist von der Fläche her fast genauso groß wie alle anderen 22 Gemeinden ihres Kirchenkreises zusammen. Trotzdem wirken dort derzeit nur drei hauptamtliche Pfarrer und ein Vertreter. Wie können Sie als evangelische Kirche über diese große Fläche trotzdem präsent sein und bleiben?
Zählt man den Kollegen mit, der im Moment zusätzlich da ist, sind wir mit vier Pfarrerinnen und Pfarrern vertreten, mit zwei Jugendreferentinnen und -referenten und vor allen Dingen auch, das ist ja ein Wesensmerkmal von evangelischer Kirche und auch eine besondere Stärke, ganz stark auch über Ehrenamtliche vor Ort. Bei der Vereinigung der Gemeinde war ich ja noch als Gemeindepfarrer beteiligt und da haben wir immer gesagt, dass wir die vier Standorte Finnentrop, Grevenbrück, Altenhundem und Attendorn auf jeden Fall halten und natürlich auch Würdinghausen und Petersburg nicht aus dem Blick verlieren wollen.
Größte Gemeinde im ganzen Kirchenkreis
Und sind Sie immer noch optimistisch, dass das auch gelingt?
Ich bin da zuversichtlich. Und vor allem hoffe ich, dass sich in diesen Strukturen Menschen für den Glauben und die Mitarbeit in der evangelischen Kirche begeistern lassen. Denn begeisterte Menschen schaffen ihrerseits auch wieder Begeisterung.
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Alle anderen Gemeinden des Kirchenkreises sind evangelisch geprägt, der Raum Attendorn-Lennestadt hingegen ist ein Landstrich, in dem hauptsächlich Katholiken leben. Welchen Stellenwert hat diese Diaspora-Gemeinde neben den anderen?
Die Gemeinde ist natürlich schon durch das Umfeld ganz anders geprägt, ganz anders aufgestellt, hat aber ein großes Gewicht, allein schon durch ihre Größe. Über die Fläche haben wir schon gesprochen, aber man darf nicht übersehen, dass von den 76.000 Gemeindemitgliedern im Kirchenkreis rund 9000 aus dieser Gemeinde stammen. Damit ist sie die Größte in unserem Kirchenkreis. Und in den kreiskirchlichen Gremien, im Kreissynodalvorstand und in den Ausschüssen sind gerade aus der Gemeinde auch viele Menschen vertreten.
Wenn durch die Fusion so eine riesige Gemeinde entstanden ist: Warum war der Zusammenschluss dann überhaupt notwendig?
Als im Frühjahr 2020 Pfarrer Kessler nach über 30 Jahren in der Gemeinde Grevenbrück in den Ruhestand gegangen ist, war angesichts der Personalvorgaben und der Finanzsituation klar, dass die Stelle nicht wieder besetzt werden konnte. Damit kam die Frage auf: Wie kann man sich auch zukünftig so aufstellen, dass man gute Arbeit in der Fläche anbieten kann? Und das schafft man in einer gemeinsamen Gemeinde viel besser als in kleinen Einzeleinheiten, zum Beispiel bei der Frage: Wer springt ein, wenn mal jemand ausfällt?
Unterschiede zwischen Attendorn und Lüdenscheid
23 Jahre lang waren Sie Gemeindepfarrer in Attendorn, bevor Sie Superintendent wurden. Wie schwer ist es Ihnen gefallen, sich umzugewöhnen?
Es ist ein ganz anderes Arbeiten, allein weil man nochmal einen viel größeren Bereich im Blick hat. Ich bin sehr gerne Gemeindepfarrer in Attendorn gewesen, ganz eng verbunden mit der katholischen Gemeinde, mit Pastor Neuser. Aber um diesen Gedanken „Kirche ist auch evangelische Kirche“ musste man im Diaspora-Bereich immer ringen. Im Märkischen Kreis eine Selbstverständlichkeit. Das ist ein großer Unterschied.
Welche Erfahrungen, die Sie in einer Diaspora-Gemeinde gemacht haben, können Ihnen denn jetzt in neuer Funktion vielleicht auch weiterhelfen?
Zum einen den Kern der evangelischen Botschaft deutlich zu machen, Begriffe wir Rechtfertigung und Freiheit. Und zum anderen strukturell zu schauen, dass man die Gremien gut aufstellt und dass man möglichst viele Ehrenamtliche mitnimmt.
Wir haben über die schwierige finanzielle Situation gesprochen, über den Nachwuchsmangel, dazu kommen Kirchenaustritte und noch einiges mehr. Wie gelingt es Ihnen, Ihre Aufgabe trotzdem mit Zuversicht auszufüllen?
Ich glaube, das liegt an der Botschaft, die wir weitergeben dürfen. Da kann man gar nicht drüber resignieren, selbst wenn die äußeren Umstände jetzt vielleicht nicht so positiv sind. Und wenn ich dann sehe, wie viele Menschen sich ehrenamtlich einbringen und mit wie viel Fantasie und Kreativität Kirche in vielen Gemeinden gestaltet wird, dann kann man nur gerne dabei sein.