Hagen. Am Hagener Gesundheitsamt wird die weiße Flagge gehisst. Es gibt heftige Kritik an der Stadtspitze. Statt echter Unterstützung gebe es Kürzungen.
Die Vorwürfe wiegen schwer. Verstöße gegen das Arbeitszeitengesetz, Streichung von Zulagen, halbgare Lösungen und ein Verkennen des Ernstes der Lage. Aus einer Mitteilung der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi geht hervor, dass am Hagener Gesundheitsamt in diesen Tagen symbolisch die weiße Fahne gehisst wurde. Mit Blick auf die aus dem Ruder gelaufene Belastung der Mitarbeiter in der Pandemie heißt es: „Bisher ist nicht erkennbar, dass die Verantwortlichen im Hagener Rathaus den Ernst der Lage erkannt haben. Statt nach Lösungen zu suchen und die Kollegen zu motivieren, werden Eingruppierungen gesenkt und Zulagen gestrichen. Wer glaubt, dass ein Team, das an der Belastungsgrenze arbeitet, trotz finanzieller Einbußen motivierter arbeitet, trinkt vermutlich auch Schnaps, wenn er Durst hat.“
Personal auf Kante genäht
Die Folge, so geht aus dem Brief hervor, seien „überarbeitetes und ausgebranntes Personal, Tausende Überstunden, Urlaubsrückstellungen und eine regelmäßige Verletzung des Arbeitszeitgesetzes“ , die den Kollegen auf Magen und auf die Psyche schlagen würden. Zwar rekrutiere die Verwaltung Kollegen aus anderen Fachbereichen, ignoriere aber, dass die Personalbemessung überall auf Kante genäht sei.
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Wörtlich heißt es: „Die Kollegen im Gesundheitsamt sind allesamt an der Belastungsgrenze angekommen, deshalb fordern wir eine schnelle und nachhaltige Abhilfe. Verstöße gegen das Arbeitszeitgesetz sind nicht länger hinnehmbar. Die Kollegen brauchen eine Perspektive und keine halbgaren Lösungen. “
Verwaltung: „Mannschaft wurde verstärkt“
Die Verwaltungsspitze reagiert auf die Vorwürfe. Die Belastung der Kollegen im Gesundheitsamt ist kritisch. Die hohe Anzahl an Überstunden und rückgestellten Urlaubstagen folge u.a. aus der intensiven Nachverfolgung von Infektionsketten. „Wir sind jedoch nicht blauäugig in die neue Pandemiephase gegangen“, betont die Leiterin des Gesundheitsamtes, Dr. Anjali Scholten. „Die Mannschaft ist durch zahlreiche Neueinstellungen ebenso verstärkt worden wie durch Kollegen aus anderen Bereichen der Verwaltung.“
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22 weitere Mitarbeiter dazu
In konkreten Zahlen heiße das: Seit Beginn der Pandemie habe es bislang die befristete Einstellung von rund 40 externen Beschäftigten gegeben, die Zuweisung von rund 30 sogenannten „Containmentscouts“ über das Robert-Koch-Institut (RKI) sowie die interne Umbesetzung von mehr als zehn städtischen Kollegen sowie von zwei Auszubildenden. Mit Beginn dieser Woche würden nach einer Initiative des Verwaltungsvorstandes noch einmal 22 Mitarbeiter aus den unterschiedlichen Vorstandsbereichen Tätigkeiten zur Entlastung des Gesundheitsamtes wahrnehmen.
Außerdem habe Hagen seit Oktober 2020 regelmäßige Unterstützung durch Kräfte der Bundeswehr erhalten. „Dass trotz dieses proaktiven Handelns die Grenze der Leistungsfähigkeit erreicht ist, ist sicher auch eine Folge der langen Dauer der Pandemie. Hagen steht mit dieser Belastung nicht allein da“, erklärt die Verwaltung.
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Neue Gesetzesvorhaben würden bereits ihre Schatten vorauswerfen und nicht nur das Hagener Gesundheitsamt vor kaum lösbare Herausforderungen stellen. Beispielsweise solle ab dem 16. März 2022 für zahlreiche Berufsfelder im Gesundheitssektor ein Beschäftigungsverbot für Ungeimpfte in Kraft treten. Schon heute würden dem Gesundheitsamt mehr als 200 Anfragen von potenziell betroffenen Personen bzw. Einrichtungen vorliegen, die aktuell nicht abschließend beantwortet werden könnten. „Die Aussicht bleibt, dass eine hohe Impfquote zur Herabstufung von Covid-19 zu einer Grippe führen möge und die gesetzlichen Anforderungen an die Gesundheitsämter wieder ihren Möglichkeiten angeglichen werden“, so die Verwaltung.
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Personalrat stimmt Verdi zu
Der Personalrat der Stadt nimmt auf Anfrage Stellung: „Der Personalrat verkennt nicht die Bemühungen der Verwaltung. Gleichwohl halten wir im Ergebnis die Kritik von Verdi für berechtigt“, erklärt Vorsitzender Stefan Arnold. Die Handlungsfähigkeit des Gesundheitsamtes sei organisatorisch wie personell auf eine Inzidenz ausgelegt, die aktuell zigfach überschritten wird. Arnold: „Hier geht es uns nicht anders als allen anderen Gesundheitsämtern in NRW. Trotz aller Bemühungen bewegt sich die Arbeitsbelastung wieder auf einem nicht akzeptablen Niveau. Hier muss gesagt werden, was wir noch leisten können und was nicht.“