Brilon. Das Dekanat Hochsauerland-Ost engagiert sich bei „Feldwege zum Coming Out“. Das passt vielen nicht. Es gipfelt in Hetze per Mail und WhatsApp.
Wer sich für lesbische, schwule, bisexuelle, trans und queere Menschen stark macht, der darf offenbar im Sauerland nicht stürmische und euphorische Reaktionen erwarten. Mitunter weht engagierten Menschen auch ein frostiger Wind der Ignoranz entgegen. Diese Erfahrung machen zurzeit für dieses Thema verantwortliche ehren- und hauptamtliche Mitarbeitende im Dekanat Hochsauerland-Ost. Seit Frühjahr 2024 wird auch im Altkreis der ausdrückliche Wunsch aus Paderborn umgesetzt, symbolisch betrachtet die Regenbogenfahne zu hissen und Toleranz gegenüber Menschen mit all ihren Individualitäten, Lebensprägungen und Lebensweisen walten zu lassen. Mehr noch: Es geht um eine „Kirche ohne Angst“, in der niemand Sorge haben muss, sich zum Beispiel für seine individuelle Art des Menschseins zu outen. Doch die Realität scheint manchmal anders auszusehen.

Vor Ort haben sich in erster Linie Jörg Willerscheidt und André Stielicke sowie Bernhard Schrader und Frank Manegold um diese Thematik gekümmert. Im Frühjahr 2024 wurden in allen Gemeinden sogenannte Queer-Boxen verteilt. Diese enthalten u.a. das Plakat mit dem Bibelspruch „Wenn Gott für uns ist, wer kann da gegen uns sein“, eine Regenbogenflagge und diverse Informationsschriften, die zum Beispiel Begriffe wie „Intergeschlechtlichkeit“ oder „Bisexualität“ erklären. Ganz bewusst wollen die Protagonisten informieren, in Schulen Sensibilität für Begrifflichkeiten wecken und „Betroffenen“ Schutzräume, Gesprächsangebote und Hilfen offerieren.

Auch interessant
Lesen Sie auch
- Karneval 2025 im Sauerland: Alle Details zu den Umzügen
- Nach Insolvenz in Winterberg: Das wird aus der Postfiliale
- Es war fantastisch: 48 Bilder der Kappensitzung in Medelon
- Kein Mülltrennen mehr dank KI? Wie nah diese Zukunft ist
- Peter Hoffmann macht in Brilon Jahrhundertfund mit Sonde
Ausstellung im Briloner Rathaus sorgt für Hass-Kommentare
„Wir waren bislang in einer Schule und hatten auch unser ,Ruhepol-Mobil‘ dabei. Das ist eine Mini-Kirche auf Rädern. Die Aktion war mit der Schule abgesprochen. Auf dem Schulhof haben wir Flyer und Infoschriften angeboten. Dann kam eine Lehrerin, hat uns das verboten und gesagt: ,So perverses Zeug wird hier nicht verteilt.“ Dass längst nicht in allen Gemeinden die „Queer-Box“ ausgepackt bzw. die Regenbogenfahne gehisst wurde – geschenkt! Dass beim offiziellen Start der Aktion vor einem Jahr einige Pfarrer nicht mit aufs Pressefoto wollten – ebenfalls eine persönliche Entscheidung. Dass aber jetzt das Rahmenprogramm um eine Ausstellung im Briloner Rathaus für Hass-Kommentare sorgt, überrascht nun auch die Veranstalter.

„Feldwege zum Coming Out“ heißt diese Wanderausstellung, die noch bis zum 14. Februar im Foyer zu sehen ist. Lesbische, schwule, bisexuelle, trans und queere Menschen ganz unterschiedlichen Alters erzählen dabei in multimedialer Form von ihren Erfahrungen und Wünschen. Konzipiert hat die Ausstellung die Landesfachstelle „blick* LSBTIQ* Strukturen im ländlichen Raum“, die im Mai 2022 an den Start gegangen ist, um landesweit Impulse zu den Themen sexuelle und geschlechtliche Identität zu geben. Als Abschluss der Ausstellung und der Aktion, die u.a. auch mit einem Konzert verbunden war, ist nun für den 14. Februar um 17 Uhr ein ökumenischer Gottesdienst mit dem Titel „liebe“ in der Nikolaikirche geplant. Und dazu hat es mitunter unqualifizierte Kritik per Mail, per WhatsApp oder auch persönlich gegeben. U.a. heißt es da, dass queere Leute doch letztendlich alles Pädophile seien.
„Wir halten auf jedem Fall an dem Gottesdienst fest und hoffen, dass viele Teilnehmende kommen. Denn es geht dabei um einen ganz normalen ökumenischen Gottesdienst, bei dem das Thema Liebe im Mittelpunkt steht.“
Die Leiterin der „Landesfachstelle blick“, Jana Hansjürgen, die auch zur Ausstellungseröffnung in Brilon war, ist befremdet über derartige Reaktionen. Die „Feldwege zum Coming Out“ waren seit Ende September schon in vielen Städten zu sehen: „Wir waren in Stadt- und Uni-Bibliotheken und jetzt das erste Mal in einem Rathaus. Ich habe mich in Brilon mit der Thematik sehr wohl gefühlt und mich sehr gefreut, dass ein ganzes Dekanat sich um unsere Ausstellung bemüht hat. In der Tat ist es die erste Schau in kirchlichem Kontext gewesen und das Engagement der Leute vor Ort hat mir imponiert.“ Die Reaktionen anderswo seien bislang durchweg positiv gewesen. Auf dem letzten Aufsteller ist immer Freiraum für persönliche Stellungnahmen. Auch dort habe man das Feedback bekommen, dass gerade die authentischen Fälle sehr berührt hätten.
Ökumenischen Gottesdienst, bei dem das Thema Liebe im Mittelpunkt steht
Dass Menschen mit dem Thema „Queer“ immer noch Berührungsängste haben, sei nicht neu und auch nicht Sauerland typisch. „Ich finde, dass wir gerade in Zeiten wie jetzt demokratisch enger zusammenrücken und noch mehr für Vielfalt einstehen müssen. Ich kann den Verantwortlichen nur Mut machen, sich nicht unterkriegen zu lassen“, sagt Jana Hansjürgen.

Jörg Willerscheidt steckt den Kopf auch nicht in den Sand. Er ist auch nicht frustriert, sondern vielmehr enttäuscht und befremdet: „Dass einige wenige Mitchristen so reagieren, zeigt mir, dass ihnen das Thema zumindest nicht ganz egal ist. Alle, die bei solchen Aktionen mit Abwesenheit glänzen, sind für mich ein Ansporn, weiterzumachen. Ich hätte mir auch gewünscht, dass wenigstens ein geweihtes Haupt bei der Ausstellungseröffnung dabei gewesen wäre, um ein Zeichen zu setzen. Hier hat Kirche in meinen Augen eine Chance vertan. Wir halten auf jedem Fall an dem Gottesdienst fest und hoffen, dass viele Teilnehmende kommen. Denn es geht dabei um einen ganz normalen ökumenischen Gottesdienst, bei dem das Thema Liebe im Mittelpunkt steht. Es gibt keine Segnung von queeren Paaren – nichts dergleichen. Ich würde gerne einmal in die Köpfe der Leute gucken, die an so einer Form des Gottesdienstes Anstoß nehmen.“ Entmutigen lasse er sich durch diese Reaktionen nicht.
Die WP Brilon auf Social Media
- Abonniere den Kanal WP Brilon/Winterberg - Westfalenpost auf WhatsApp.
- Immer auf dem neuesten Stand bleiben: Unsere News-App gibt es auch für Android und iPhone
„Aktuell wird jegliche Form von Diskriminierung als politisches und gesellschaftliches Instrument genutzt, um Menschen gegeneinander auszuspielen“, weiß Jana Hansjürgen und verweist auch auf den sprachlichen Umgang: „Wir vermeiden in unserem Sprachgebrauch ganz bewusst den Begriff ,Homo-Phobie‘, weil eine Phobie im Allgemeinen eine Angst ist, für die niemand etwas kann. Wir sprechen von Homo-Feindlichkeit, weil es eine bewusste und aggressive Entscheidung gegen Menschen ist.“
Hier noch einmal der Termin des ökumenischen Gottesdienstes: Freitag, 14. Februar, 17 Uhr in der Briloner Nikolaikirche mit Propst Dr. Reinhard Richter, Pfarrerin Antje Jäkel und den Mitarbeitenden für queersensible Pastoral im Dekanat Hochsauerland-Ost.