Hochsauerland. Historisches Datum: Heute vor 50 Jahren wurde der Hochsauerlandkreis gegründet. Aber es gab jede Menge Widerstände, wie das Jahrbuch berichtet.
So ab und an züngelt das Flämmchen Lokalpatriotismus nochmal ein wenig, schnappt nach Luft und macht einen verzweifelten Versuch zur Flamme zu werden. Das passiert zum Beispiel immer dann, wenn wieder einmal über die Autokennzeichen diskutiert wird. Soll das „BRI“ oder „MES“ oder „AR“ für Brilon bzw. Meschede oder Arnsberg nicht doch vielleicht reanimiert werden oder soll es beim „HSK“ für alle bleiben? Aber eigentlich ist die Luft raus. Und ganz ehrlich, so langsam hat es auch der Letzte verinnerlicht: Wir sind der Hochsauerlandkreis. Am 1. Januar 1975 trat die Kreisreform in Kraft. Und daher beschäftigt sich das neue Jahrbuch des Hochsauerlandkreises fast ausschließlich mit diesem geschichtsträchtigen Datum von vor 50 Jahren.
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„Für Kreispolitiker und Bürger war das damals kein Grund zum Feiern“, schreibt Landrat Dr. Karl Schneider zu Anfang des 144 Seiten starken Buchs, das wie seine 39 Vorgänger beim Podszun Verlag in Brilon erschienen ist. „Von heute auf morgen waren im Oberen Sauerland aus über 200 Gebietskörperschaften zwölf Gemeinden zusammengeschnitten worden. So zum Beispiel die Stadt Schmallenberg mit einer Größe von 302 Quadratkilometern, die Stadt Arnsberg mit fast 80.000 und die Stadt Hallenberg mit 4500 Einwohnern. Bei diesen Vorgaben blieb gar keine andere Möglichkeit, als einen Kreis zu schaffen, der die unterschiedlichen Interessen der zwölf Städte und Gemeinden erfasste und abdeckte“, so Dr. Schneider.
Beispielhaft erinnert der Landrat an Widerstände gegenüber dieser Reform und an den „Kampf um Marsberg“, in dem erbittert um die Frage gestritten wurde, ob die Kommune beim Sauerland bleiben, oder Paderborn zugeordnet werden solle. Alle Städte und Gemeinden des HSK kommen in dem Buch zu Worte und berichten zum Teil von ihren sehr unterschiedlichen Befindlichkeiten im Rahmen dieser Zusammenlegung, von ihrer Entwicklung und von ihrem Status Quo. Leider haben nicht alle in den Beiträgen dazu Stellung bezogen, was der Zusammenschluss zum HSK den Gemeinden gebracht hat, welche Erwartungen und Hoffnungen es gab, welche erfüllt wurden und welche unerfüllt blieben. Aber alle Kommunen nutzen die Plattform, um sich und ihre beachtliche Entwicklung darzustellen. Und wer schon immer kompaktes Wissen über den HSK und seine Kommunen gesucht hat, der sollte sich das Jahrbuch nicht nur als Staubfänger zu den anderen Bänden ins Regal stellen, sondern es tatsächlich auch lesen. Denn auch hier gilt: Wer Geschichte nicht kennt, kann Zukunft nicht gestalten.
Ab sofort erhältlich
Das Jahrbuch für den Hochsauerlandkreis ist für 14,95 Euro im Buchhandel oder direkt beim Podszun Verlag in Brilon erhältlich. Die Schriftleitung und Koordination lag in den Händen von Susi Frank und Wolfgang Meier.
Marsberg äußerte damals zum Beispiel die Sorge, die Stadt müsse durch die Kreisumlage zur Finanzierung überörtlicher Einrichtungen des Entwicklungsschwerpunktes Arnsberg/Neheim Hüsten beitragen, ohne selbst einen Nutzen daraus zu ziehen. Heftiger Protest regte sich auch in den Gemeinden Essentho, Meerhof, Oesdorf und Westheim, die unter allen Umständen beim Amt Wünnenberg in Fürstenberg sowie beim Kreis Büren bleiben wollten. Vergeblich. Der Landtag NRW sprach schließlich am 26. September 1974 ein Machtwort. Das hatte zur Folge, dass der damalige Landrat des Kreises Brilon, Bertram Biederbeck aus Niedermarsberg, sein Amt hinwarf. Er hatte sich für einen Anschluss Marsbergs an den Kreis Paderborn-Büren ausgesprochen, was ihm wiederum heftige Kritik der Hochsauerland-Befürworter einbrachte.
Weniger aufregend und kompliziert verlief die Gebietsreform zum Beispiel in Hallenberg, obwohl am äußersten Kreiszipfel gelegen. Mit etwa 1800 Arbeitsplätzen hat die Nuhnestadt im Vergleich zur Einwohnerzahl heute immer noch eine der höchsten Beschäftigtenquoten in ganz Nordrhein-Westfalen. 52 Baudenkmäler, eine Freilichtbühne, die seit ihrem Bestehen schon 1,1 Millionen Besucher/innen anlockte, und ein reges bürgerschaftliches Engagement prägen die kleinste Stadt im HSK. Im Konzert mit den größeren Kommunen schafft sie es immer wieder, durch Traditionsbewusstsein und Heimatverbundenheit zu punkten.
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Und so wie jede Kommune einerseits zwar zum Hochsauerlandkreis gehört, hat aber auch jede ihre Besonderheiten und sich ihren individuellen Charme bewahrt. Interessant ist daher auch der geraffte Historienritt durch die Geschichte Winterbergs, die einst von Landwirtschaft, Eisenverarbeitung und Bergbau geprägt war. Erst ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurde die Stadt für die sogenannten Sommerfrischler interessant und mit dem Bau der Eisenbahn 1906 sowie dem aufkommenden Wintersport entwickelte sich der Ort zu einer Touristenhochburg im Sauerland. Rund 1,5 Millionen Übernachtungen und 200.000 Tagesgäste sprechen eine eindeutige Sprache.
„Der Kreis hat sich als robust, effizient und wandlungsfähig erwiesen. Er wird auch künftig ein verlässlicher Verwalter und Gestalter sein.“
Ähnlich rasant, aber auf eine ganz andere Art abwechslungsreich verlieft die Geschichte Medebachs. Der Streifzug durch die Historie beginnt in vorchristlicher Zeit, verharrt in der Hanse-Vergangenheit und befasst sich neuzeitlich u.a. mit der Ansiedlung des Ferienparks, der in Zeiten wirtschaftlicher Not zum Lichtstreif am Horizont wurde. Gesundheitsstandort, Kneipp-Gedanke, große Erfolge beim Dorfwettbewerb, Innenstadtgestaltung oder auch zwei große Brände (Feuerwehrhaus und Aqua) zeigen am Beispiel Olsbergs, welchen Herausforderungen sich eine Kommune stellen muss und wie sie sie bewältigt.
Das Kapitel „Brilon“ fällt durch seine ungewohnte Erzählperspektive aus dem Rahmen. Ein „Babyboomer“, also Mitte der 1960-er Jahre geboren, betrachtet die Entwicklung der Stadt aus seinem Blickwinkel: „Vor den Weihnachtsferien zum Jahreswechsel 1974/ 75 sahen die Antworten auf den Arbeitsbögen im Fach Heimatkunde komplett anders aus als im Januar 1975. Durch die Veränderungen in der Verwaltungsgliederung mussten der Pläne und Unterrichtsinhalte angepasst und aktualisiert werden, mussten neu entstandene Städte und Gemeinden in den Unterricht integriert werden, um den Schülerinnen und Schülern ein korrektes Verständnis über die neuen Strukturen zu vermitteln.“
Sehr lesenswert auch der Beitrag, warum Bestwig eigentlich gar nicht existieren sollte…
Der Landrat zieht am Ende seines Beitrags sehr wohl ein Fazit über 50 Jahre Hochsauerlandkreis. Mit der vor 50 Jahren gefundenen Struktur des HSK habe man die Grundlage dafür gelegt, auch im 21. Jahrhundert über eine kräftige kommunale Ebene für örtliche und überörtliche Aufgaben zu verfügen. Dr. Schneider: „Er hat sich als robust, effizient und wandlungsfähig erwiesen. Er wird auch künftig ein verlässlicher Verwalter und Gestalter sein...“