Brilon/Meßkirch. Ully Frigger aus Brilon baut eine Klosterstadt. Auf modernen Schnick-Schnack wird verzichtet. Auch das Essen schmeckt wie im Mittelalter
Ully Frigger aus Brilon lebt ihren Traum: Einmal ganz tief eintauchen in die Zeit des Mittelalters. Leben und arbeiten wie damals. Beim sogenannten „Campus Galli“ konnte sie ihrer Leidenschaft voll nachgehen. Bereits mehrere Wochen unterstützt sie das 2013 ins Leben gerufene Großprojekt im idyllischen Meßkirch in Baden-Württemberg. In dem Städtchen zwischen Bodensee und Donau entsteht eine beeindruckende Klosterstadt nach dem Motto „Bauen wie vor 1200 Jahren“ – ausschließlich mit Werkzeugen und Techniken, die zu jener Zeit bekannt waren..
Mehr von der Westfalenpost Brilon
- Kompost statt Sarg: Trend stößt in Brilon auf Ablehnung
- Krankenhausjob gekündigt: Milena Floren zieht nach Thailand
- Gymnasium Marsberg: Ratsherr kritisiert Elterninitiative
- Kurz vor Nikolaus kommt der Schnee zurück ins Sauerland
„Was ich schon seit vielen Jahren verfolge, ist das Projekt in Guédelon, Frankreich.“, sagt Ully Frigger. Dort im Burgund wird, ebenfalls nur unter Verwendung von Werkzeug und Materialien aus dem 13. Jahrhundert, eine mittelalterliche Burg errichtet.
Irgendwann sei dann in einem Bericht über die Burg der Campus Galli wegen einer Zusammenarbeit erwähnt worden. Gleich am nächsten Tag habe sie im Internet recherchiert , die Homepage gecheckt und dabei die Rubrik „Mitmachen“ entdeckt. „Da habe ich dann hingeschrieben und auch schnell eine Antwort bekommen, wo ich dann über Anforderungen und Bestimmungen aufgeklärt wurde“, so die Brilonerin. Es sei „so ein bisschen wie eine Stellenbeschreibung“ gewesen, auch wenn die Mitarbeit dort ehrenamtlich erfolgt. „Außerdem“, betont Frigger, „wurde deutlich gemacht, dass es weder ein Ort für einen Selbstfindungstrip noch ein Abenteuerspielplatz, sondern eben eine Baustelle ist.“ Manche absolvieren dort auch ihr FSJ, ihr Freiwilliges Soziales Jahr.
Trotzdem habe die Arbeit dort etwas sehr Therapeutisches für sie, weil man einfach nicht auf die Uhr schaue - schon allein deshalb, weil man keine tragen darf. „Authentizität wird im Campus sehr groß geschrieben“, erzählt die 58-Jährige, die auch bei der Briloner Gewandschneiderei aktiv ist, die im Jahr 2020 im Rahmen der Internationalen Hansetage gegründet wurde. „Ich habe mich einfach schon immer sehr für Geschichte interessiert und mich dann mal in solchen alten, mittelalterlichen Gewändern bewegen zu können, das war schon ein Traum.“ Die Mitglieder der Gewandschneiderei sind unter anderem auch immer wieder mal im Garten von Haus Hövener unterwegs, um ihn für die Besucher optisch etwas zu beleben.
Natürlich wollte sie ihre selbst genähten, mittelalterlichen Kleider auch gerne auf dem Campus tragen. „In dem Infoblatt stand aber schon drin, dass mitgebrachte Kleidung erst durch eine optische Kontrolle muss,“ so die fünffache Mutter, die sich in ihrer Freizeit auch für Gartenarbeit, Meerschweinchen und Judo begeistert. „Ich hatte mir extra zwei Ponchos genäht, aber ich durfte dann beide nicht tragen“, erzählt sie. „Weil beide aus Mischgewebe sind. Das war damals noch unbekannt.“ Auch ein Kleidungsstück aus nussbraun gefärbtem Leinen fiel durch die strenge Kontrolle, denn: „So gleichmäßig braun konnte man im Mittelalter noch nicht färben. Gleichmäßig dunkelbraune Kleidung gab es nur aus Wolle von dunkelbraunen Schafen.“ Auch ein selbst genähter Gugel, eine Kopfbedeckung, durfte nicht mit auf den Campus. „Das Schnittmuster entstand erst ein paar Jahrhunderte später.“
Strenge Vorgehensweise
Letztlich kamen also nur die ungefärbten Leinengewänder in Frage. Übertrieben findet sie die strenge Vorgehensweise jedoch nicht: „Alles soll eben vollkommen authentisch sein. Manchmal kommen ja auch Besucher vorbei, die Geschichte studiert haben und schauen sich das dann sehr genau an.“ Eine Ausnahme gibt es jedoch: Da es sich auch rechtlich um eine Baustelle handelt, müssen in der Regel moderne Sicherheitsschuhe getragen werden. Statt einer Uhr gibt es auf einem zentralen Platz eine Tabula, ein frei schwingendes Brett, auf das mit einem Hammer geschlagen wird - morgens um 10 Uhr, zu Beginn und Ende der Mittagspause um 13 Uhr und 14 Uhr und dann noch einmal zum Arbeitsende um 18 Uhr.
Auch das angebotene Essen entspricht der mittelalterlichen Realität. So gebe es zum Beispiel eine Sorte Roggenbrot - Weizen war damals selten und teuer und somit nur reichen Leuten vorbehalten, Linsensuppe und eine besondere Mettwurst, die in Zusammenarbeit mit einem regionalen Metzger nach altem Originalrezept produziert wird. Gebaut wird die riesige Anlage nach dem einzigartigen St. Galler Klosterplan, der im Kloster Reichenau im Bodensee gezeichnet wurde und als älteste überlieferte architektonische Zeichnung Mitteleuropas gilt. Genauer gesagt ist es der einzige bekannte frühmittelalterliche Bauplan überhaupt und daher von unschätzbarem Wert. Auf fünf zusammen genähten Pergamentblättern aus Schafshaut sind die 52 geplanten Gebäude eingezeichnet - und werden heute, über ein Jahrtausend später, endlich errichtet. Ein Kloster war früher ein autarker Wirtschaftsbetrieb mit Landwirtschaft, Schmiede, Schindelmacherei, Gerberei und Färberei, Zimmerei und vielem mehr. Ully Frigger arbeitet in der Korbmacherei.
Auf dem Anmeldeformular habe sie angeben können, ob sie in einem bestimmten Gewerk Vorerfahrung hat. Da sie in einer Nebenerwerbs-Landwirtschaft groß geworden sei, habe sie Feldarbeit angegeben - „Ansonsten wollte ich mich aber überraschen lassen.“ Bei der Feldarbeit sei „ordentlich Manpower“ gefragt, so Frigger. Denn die Egge wird, um die Tiere zu schonen, von den Mitarbeitern selbst gezogen. Sie sei dann zunächst auf einem Feld eingesetzt worden, auf dem Leinen und Flachs angebaut wird, später sei sie dann zur Korbflechterei gewechselt. „Da kommt dann zum Beispiel mal jemand vorbei, der zum Steine sammeln auf dem Feld einen neuen Korb braucht, weil der alte kaputt gegangen ist.“ So anstrengend die Arbeit auch sei, so entspannend wirke sie gleichzeitig: „Es gibt keinen Zeitdruck. Alles dauert eben so lange es dauert.“
Die Westfalenpost Brilon auf Social Media
- Abonniere den Kanal WP Brilon/Winterberg - Westfalenpost auf WhatsApp.
- Immer auf dem neuesten Stand bleiben: Unsere News-App gibt es auch für Android und iPhone
Auf die Frage, woher ihre große Leidenschaft für das Mittelalter kommt, hat sie keine Antwort: „Geschichte und Archäologie waren einfach schon immer mein Ding, das war schon in der Schule so.“ Allerdings nur bis zu einem bestimmten Zeitpunkt. „Nach der Französischen Revolution finde ich Geschichte nicht mehr so fesselnd.“
Zuletzt war Ully Frigger bis zur Winterpause auf der „Karolingischen Baustelle“. Von Allerheiligen bis zum 1. April ruhen die Arbeiten. Die Teilnahme eignet sich für jeden, der sich speziell für das Mittelalter interessiert und Geschichte einmal hautnah erleben möchte. Kurz nach Ostern will sie direkt wieder hinfahren: „Es ist eine Entschleunigung. Mein Plan ist es, auf jeden Fall dabei zu bleiben.“